„Am siebten Tage sollst du ruhn.” Wer sich die heutigen Arbeitszeitmodelle ansieht, kann gar nicht glauben, dass dieser Spruch über 2.000 Jahre alt ist. „Geöffnet: Montag bis Freitag”, „Regelarbeitszeit”, „Nine to five”. Sieht so eine innovative, flexible, auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Arbeitswelt aus? Wer hat eigentlich festgelegt, dass man fünf Tage die Woche arbeiten soll? Und warum fallen uns bei diesem Thema an Alternativen nur ‚Home Office’ und ‚Vier-Tage-Woche’ ein?
Wo bleibt die 15-Stunden-Woche?
Unsere Gesellschaft hat sich seit Einführung der Industrialisierung enorm weiterentwickelt. Doch beim Arbeitszeitmodell hinken wir 100 Jahre hinterher. Seit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die Arbeitszeit der Menschen extrem verkürzt. Erst kam der Acht-Stunden-Tag, später dann die Fünftagewoche. 1930 prophezeite der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes noch optimistisch, dass in 100 Jahren Drei-Stunden-Schichten oder 15 Stunden Arbeit pro Woche völlig ausreichen würden. Momentan sieht es danach allerdings nicht aus, seit den Achtzigerjahren stagniert der Trend zu weniger Arbeitszeit.
Weniger Arbeit fördert die Gleichstellung
Dabei muss die Arbeit nur besser verteilt werden. Das alte Modell „Mann arbeitet viel, Frau gar nicht oder in Teilzeit” ist schon lange tot. In einer Zeit, in der sich die Arbeitswelten von Männern und Frauen immer stärker annähern, sollten Mitarbeiter selbst die Kontrolle über ihren Work-Life-Plan übernehmen und damit die Arbeits- und Familienzeit in einer Beziehung flexibler aufteilen können. In der Firma, in der ich arbeite, leben wir seit unserer Gründung 2006 die Viertagewoche. Sie gilt für alle: nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für das Management. Die Verteilung der 32 Stunden ist jedem selbst überlassen,
vorausgesetzt eine reibungslose Zusammenarbeit mit Kollegen und Kunden wird von
jedem einzelnen gewährleistet. Gerade für Mitarbeiter mit Familie ist dies ein
attraktives Konzept, das auch immer mehr Männer für sich nutzen, die Familie
gleichberechtigter leben wollen.
Dieses Modell zahlt sich für beide Seiten aus. Einige Mitarbeiter haben tolle Projekte ins Leben gerufen wie „Lieschen Müller“, ein Label für Holzschmuck, oder engagieren sich in Gemeinschaften wie „nie:solo“, eine Coworking-Plattform, die selbstständigen Müttern und Vätern hilft, unabhängig und flexibel zu arbeiten.
Das Unternehmen wiederum profitiert von frischen Ideen, Anregungen und Erfahrungen, die unser Team von außen mit einbringt. Eine beliebte Frage bei Vorstellungsgesprächen, aber auch in alltäglichen Konversationen, ist die Frage nach dem „Fünften Tag“ und was man da machen wolle.
Home Office ist uns zu kurz gesprungen: Statt es willkürlich zu erlauben – wie Microsoft – oder zu verbieten – wie Yahoo – wollen wir unsere Arbeitsplätze so attraktiv gestalten, dass Mitarbeiter sich dort lieber aufhalten als zu Hause: Offene Plätze schaffen, in denen Kollaboration möglich ist. Räume für Inspiration, für Rückzug, aber auch für lautes Arbeiten gehören genauso dazu wie Büro-Kitas, Hunde-Sitter oder die Abnahme von
Behördengängen. Das alles führt dazu, dass Home Office nur die zweitbeste Option zum Arbeiten ist.
Flexicurity ist das Arbeitsmodell der Zukunft
Arbeitnehmer beginnen vorhandene Arbeitsstrukturen und Prozesse zu hinterfragen. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis, sie aktiv mitzugestalten. Das Unternehmen von morgen muss diese Möglichkeiten bieten können. Flexicurity heißt das Zauberwort – die Mischung aus Flexibilität und Sicherheit. Mitarbeiter müssen beweglich sein können, andererseits brauchen sie aber auch Balance und einen sicheren Hafen, auf den sie sich verlassen können. Ergebnisorientierung und Eigenverantwortung ersetzen mehr und mehr starre Arbeitszeiten und Anwesenheitspflicht. Flexicurity aber auch, dass eine Firma gemeinsam die Disziplin weiterentwickeln und jedem Einzelnen den Raum und die Sicherheit geben sollte, sich im Sinne dieser Vision weiter zu bilden bzw. zu spezialisieren.
Warum das Team so wichtig ist
Ich bin davon überzeugt, dass flexible Arbeitswelten, die sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten, ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sind. Es geht nicht mehr um Ressourcenplanung, sondern darum, die Begeisterung des Einzelnen zu wecken und Potenziale gemeinsam zu erforschen. Wir müssen Arbeitsumgebungen und Organisationen gestalten, die sich mehr an den Bedürfnissen der Mitarbeiter orientieren und das Potenzial der „Crowd“ in flexibler Arbeitszeit maximal ausschöpfen. Es geht nicht länger darum, wann, wieviel oder mit welchem Jobtitel gearbeitet wird, sondern wie die Fähigkeiten des Teams kombiniert
werden, um gemeinschaftlich bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Mit der
Viertagewoche geben wir uns deshalb noch lange nicht zufrieden. Wir arbeiten
ständig an der Weiterentwicklung unseres Modells und tüfteln an den nächsten
Schritten in Richtung selbstbestimmtes und ungebundenes Arbeiten. Damit wir in
ein paar Jahren vielleicht sagen können: „Ruh, wann du willst.”
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