Foto: Lisa-Marie Schmidt

Franziska: „In der Rückschau habe ich überlegt: Weshalb wollte ich so dringend dieses Kind?“

Vor 40 Jahren kam das erste Baby zur Welt, das außerhalb des Körpers gezeugt wurde.Bei uns im Magazin erzählen Frauen von ihrem Weg durch die Kinderwunschbehandlung. Für Franziska brach eine Welt zusammen, als sie und ihr Partner entschieden, die Kinderwunschbehandlung nach vielen psychischen und körperlichen Qualen abzubrechen.

Franziska Ferber, 40:

„Die ärztliche Prognose für uns war eigentlich gut, als wir mit der ersten ICSI* anfingen, der Arzt ging davon aus, uns helfen zu können. Entgegen aller ärztlicher Vermutungen hatten alle unsere drei ICSI-Versuche katastrophale Ergebnisse, von insgesamt über 50 Eizellen, die entnommen wurden, ließ sich nur eine einzige befruchten, und auch die hatte schlechte Qualität. ,Dr. Hoffnung‘, wie ich meinen Arzt nenne, wunderte das sehr, und unser Fall wurde schnell und dann mehrmals einer ,Härtefallrunde‘ vorgestellt, in der Ärzt*innen sich gegenseitig beraten und Ideen austauschen. Die Ärzt*innen verstanden es auch nicht, hatten keine Erklärung.

Ich denke, wenn es zumindest ein bisschen vorangeht bei einer solchen Behandlung, es irgendwelche Teilerfolge gibt, dann gibt das ein wenig Hoffnung, bei uns lief es von Anfang an nur schlecht. Wir wissen bis heute nicht, was bei uns das Problem war. Mir ging es jedenfalls in dieser Phase extrem schlecht, das Ganze war für mich eine unvorstellbare psychische Belastung, ich habe viel geweint, ich war mir selbst komplett fremd, erkannte mich selbst nicht wieder.
Und als ich dann auch noch zu Hause stürzte und mir einen Kieferbruch zuzog, weil ich einfach bewusstlos wurde und beim Kaffeekochen auf den Boden fiel, war uns endgültig klar: Wir müssen aufhören. Wir fragten uns, was noch passieren müsste, mit wir endlich kapieren, dass wir aufhören müssen. Der Notarzt sagte damals, dass das schon ein gefährlicher Sturz gewesen sei, weil ich eben ungebremst einfach umgefallen bin. Die Ärzt*innen im Krankenhaus vermuteten, dass die Medikamente für die Kinderwunschbehandlung, die ich überhaupt nicht vertragen habe, der Grund für diese Ausfallerscheinung gewesen sein könnten.

Warum wünschen wir uns so sehr ein Kind?

Nach dieser Entscheidung mussten wir unser Leben und uns selbst erst einmal komplett neu sortieren; wir haben natürlich alle Optionen durchgespielt; ein Pflegekind kam nicht in Frage, denn das kann einem, mal zugespitzt formuliert, jederzeit wieder weggenommen werden, und das hätten wir seelisch nicht verkraftet; ,Adoption‘ ist so ein Schlagwort, das dann immer sofort in den Ring geworfen wird; aber die Zahl der zur Adoption freigegebenen Kinder in Deutschland ist verschwindend gering im Vergleich zu den Paaren, die adoptieren wollen.

Ich habe mich dann intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, warum wir uns so sehr ein Kind wünschen. Um das erst einmal klar zu sagen: Ein Kind zu haben, eine Familie zu werden, ist natürlich ein Wert für sich. Niemand muss sich erklären, weshalb sie oder er gerne Mutter oder Vater werden möchte. Aber in der Rückschau habe ich für mich weiter überlegt: Weshalb wollte ich so dringend dieses Kind? Bei wir war es damals so, dass ich in einer Unternehmensberatung arbeitete, es vor allem darum ging, den Umsatz zu steigern. Irgendwann war ich an dem Punkt, an dem ich mir eine SINNvollere Aufgabe wünschte… einen Sinn im Leben, eine echte Aufgabe, etwas Nachhaltiges, … die Spuren im Sand – um die ging es mir. Dazu kommt: Ich habe ein Riesenherz und wollte Verantwortung übernehmen und Fürsorge und Mütterlichkeit leben; all das wollte ich geben.

Meine Liebe zu den Menschen ist ja weiterhin da

Ich überlegte also, wie ich diese Wesenszüge an anderer Stelle einbringen kann.
Und ich bin tatsächlich den Weg gegangen, dass ich heute als Kinderwunsch-Coach Frauen berate, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich damals, die sich von ihrem Kinderwunsch verabschieden müssen oder noch den schweren Weg durch die Kinderwunschbehandlung gehen. Ich begleite die Frauen auf diesem wahnsinnig schweren Weg. Mein Herz, meine ganze Liebe zu den Menschen ist ja weiterhin da, auch wenn ich kein Kind habe. Ich helfe den Frauen, herauszufinden, wie sie mit ihren Gefühlen und ihrem Wesen umgehen können, während sie den Kinderwunsch aushalten oder er sich sogar nicht mehr erfüllen wird.

Der Start der EDITION F-Serie

40 Jahre IVF: Wie Frauen heute eine Kinderwunschbehandlung erleben

Am 25. Juli 1978 wurde in Großbritannien Louise Joy Brown geboren, das erste Retortenbaby der Welt, gezeugt außerhalb des Körpers. Mittlerweile gibt es Millionen Kinder, die so entstanden sind – doch für jedes Paar, jede Frau ist eine Kinderwunschbehandlung bis heute eine Zeit voller körperlicher und seelischer Herausforderungen. Und von politischer Seite wird vielen Paaren bis heute die Unterstützung verweigert. Weiterlesen

Hoffnung und Lebewohl – so nenne ich diese Phasen, die ich selbst durchlaufen habe. Das ist ein langer Weg. Bei mir hat es bestimmt drei Jahre gedauert, bis ich wirklich abgeschlossen hatte. Das verläuft ja in Wellen: Mal ging es mir gut für ein paar Monate, dann fiel ich wieder in ein Loch, aus dem ich dann auch wieder rauskrabbelte. Drei Jahre dauerte es, bis ich sagen konnte: OK, ich mag mein Leben, so wie es jetzt ist. Als Paar muss jeder seinen Weg in das neue Leben finden, wir haben uns nicht gegenseitig in eine Richtung gedrängt. Mir hat es geholfen, viel und laut darüber nachzudenken, wie es weitergeht, mein Mann wollte nicht so viel darüber reden wie ich. Für ihn war es besonders schlimm, dass es mir jahrelang so unglaublich schlecht ging, körperlich und psychisch, das hat ihn hilflos gemacht, fassungslos, dass er nichts tun konnte –  allein als er sah, dass ich stabiler werden, ging es ihm besser.

Wir leihen uns die Kinder unserer Freund*innen aus

Ehemalige Raucher finden ja oft Raucher ganz schlimm, sobald sie selbst aufgehört haben; wir wiederum wollten auf gar keinen Fall zu Kinderhasser*innen mutieren, nur weil wir keine eigenen haben, im Gegenteil: Wir leihen uns heute die Kinder unserer Freund*innen aus, wenn wir Lust haben, etwas Schönes mit Kindern zu machen, zum Beispiel ins Spaßbad gehen. Mein Mann genießt es, dass er mit den Kindern unserer Freund*innen Fußball spielen kann. Und unsere Freunde geben lachend zu, dass sie auch gerne mal ein wenig Zeit für Zweisamkeit haben. Wir freuen uns darüber, so einen Weg der Teilhabe für uns gefunden zu haben.

Das Problem, wenn man in der Kinderwunsch-Behandlungsschleife drin ist: Es wird einem, wie ja sonst auch im Leben, suggeriert: ,Du kannst alles schaffen, wenn du dich nur genug anstrengst‘ – das ist in vielen von uns ja seit der Kindheit in den Köpfen – ,wenn du dich anstrengst, schaffst du die bessere Note‘. Die Populärpsychologie rät ständig: Gib nicht auf! Und die Frauen, mit denen ich arbeite, glauben an diese Haltung, sie sind so von der Hoffnung beseelt wie ich es war und denken, es liegt an ihnen, wenn sie sich genug anstrengen und dranbleiben, dann wird es irgendwann klappen – das ist beim Thema Kinderwunsch aber nicht so, das Schicksal spielt eine große Rolle, ich mache den Frauen klar, dass sie nicht allein ,zuständig‘ sind; dass sie ihre Stärken für sich und nicht gegen sich nutzen sollen: Anstrengung ist gut, aber niemand sollte etwas tun, das die eigenen Kräfte und Grenzen übersteigt. Sonst geht es ihnen am Ende wie mir damals: Komplett ausgelaugt und völlig erschöpft – und kinderlos. Ja, meine Suche nach der Nadel im Heuhaufen nach dem, was uns endlich ein Kind schenken würde und die damit verbundene Anstrengung hat sich nicht gelohnt.

Wie mit der Schwere umgehen?

Im Coaching erarbeiten wir, wie sie für sich in dieser schweren Zeit sorgen können und wie sie die Fähigkeiten und Stärken, die in ihrem Wesen liegen für sich selbst in dieser Situation einsetzen können. Ja, wir entwickeln auf Grund der Stärken neue Bewältigungsstrategien um mit der Schwere umzugehen.

Wann der Moment gekommen ist, sich vom Kinderwunsch zu verabschieden, keine weiteren Versuche zu unternehmen? Schwierig, das zusammenzufassen, aber ich würde sagen, wenn man merkt, dass die Lebensqualität dauerhaft beeinträchtigt wird durch die ständige Präsenz des Themas Kinderwunsch(-behandlung); wenn man sich nicht mehr traut, einen Urlaub zu buchen, weil ja genau in dem Slot eine Behandlung liegen könnte; wenn man Feiern und Einladungen meidet, denn es könnte ja sein, dass Freund*innen dort die frohe Botschaft ihrer Schwangerschaft verkünden und man denkt, dass man das nicht erträgt. Wenn also eine Mischung aus Erschöpfung, Durchhaltekampf und sozialem Rückzug begonnen hat. Bei Hochzeiten, die kirchlich geschlossen wurden, habe ich oft in der Kirchenbank gesessen und bei der Frage ,Wollt Ihr die Kinder annehmen, die Gott euch schenkt?‘ tief geschluckt. Ich fragte mich wieder und wieder, weshalb wir unser Wunschkind nicht geschenkt bekommen.

Wie weit wollen wir gehen?

Die Reproduktionsmedizin bewirkt für viele Menschen so viel Gutes … aber es ist ja auch ein Geschäft mit der Hoffnung. Kinderlosen wird wie in der Medizin allgemein der Eindruck vermittelt, der Ist-Zustand müsse nicht akzeptiert werden, es gäbe Möglichkeiten, dem Ziel näher zu kommen. Ich dachte damals auch, ganz handfest und pragmatisch, aber vielleicht auch etwas naiv: Mein Auto bringe ich in die Werkstatt, damit es repariert wird, und ich gehe zur Kinderwunschbehandlung, damit uns da geholfen wird – und tatsächlich gibt es ja immer mehr Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin, was man alles versuchen kann; aber auch hier machen die vielen Optionen der Multioptionsgesellschaft nicht unbedingt glücklich, jeder und jede muss sich kritisch fragen: Wie weit will ich gehen? Wie weit kann ich es verantworten – wie weit tragen mich meine Werte?

Und wenn man dann beschließt, hier ist Schluss, also sich zum Beispiel dagegen entscheidet, weitere Behandlungsoptionen – beispielsweise auch im Ausland – zu probieren, kriegt man womöglich noch zu hören ,Dann kann euer Kinderwunsch ja nicht so groß sein‘ – dann musst du dich also in einer ohnehin schon schweren Situation noch erklären und dafür rechtfertigen, dass du deine eigenen Werte einer wichtigen Entscheidung zugrunde legst! Das hat mich fassungslos gemacht und den Weg nicht leichter. Aber ich bin heute dankbar, sagen zu können, dass mein Leben – trotz der unerfüllten Kindersehnsucht – einen Sinn und eine Aufgabe hat. Das macht mich zutiefst dankbar.”

*ICSI geht noch einen Schritt weiter als IVF, Eizelle und Spermien werden nicht nur in der Petrischale für die Befruchtung zusammengebracht, sondern ein Spermium wird direkt in die Eizelle gespritzt, um sie zu befruchten. Diese Methode wird angewandt, wenn die Spermien besonders unbeweglich sind.

Protokoll: Lisa Seelig

Hier findet ihr alle Protokolle der Serie

„Die Kinderwunschbehandlung hat mein Verhältnis zu meinem Körper verändert“.
„Die Rolle der frustrierten Kinderwunschpatientin fand ich schlimm“

Lisa spricht über die jahrelange Angst, dass die eigene Lebensplanung womöglich komplett über den Haufen geworfen wird. Weiterlesen

„Manchmal ist da diese schiere existentielle Angst: Was ist, wenn es nie klappt?“ 

Sophie* sagt nach vielen erfolglosen Versuchen: Ich mache so lange weiter, bis mir jemand sagt, dass es keinen Sinn mehr macht. Weiterlesen

„Heiraten für die Kinderwunschbehandlung? Ich habe mich so ausgeliefert gefühlt“

Franziska war erstaunt, dass ungewollte Kinderlosigkeit immer noch ein solches Tabu zu sein scheint – und hat gemeinsam mit ihrem Mann entschieden, offen mit ihrer Situation umzugehen. Weiterlesen

Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei

Mehr bei EDITION F

Ungewollt kinderlos: „Zu erkennen, dass ich keine Schuld trage, hat mich gerettet“. Weiterlesen

Warum mir jede neue Schwangerschaft im Freundeskreis einen Stich versetzt. Weiterlesen

Unerfüllter Kinderwunsch: Wenn der Körper nicht mitspielt und der Druck unerträglich wird. Weiterlesen

Anzeige