In Debatten gibt es für Ostdeutschland meist nur zwei Optionen: Entweder wird die Region komplett ignoriert oder alle sind Nazis. Beides muss aufhören. Ein Kommentar.
Nichts über Kommunalwahlen
Wer am Sonntag gegen 18 Uhr bei den öffentlich-rechtlichen Sendern einschaltete, die*der hätte meinen können: nichts gewesen im östlichen Teil Deutschlands. Denn im Programm war zwar völlig zu Recht die Europawahl Hauptthema. Neben Schalten nach Paris gab es lediglich noch welche nach Bremen. Dort wurde eine neue Bürgerschaft gewählt, das Landesparlament für Bremen und Bremerhaven. Bremen wird seit über 70 Jahren von der SPD regiert und ist damit ein wichtiger Gradmesser für die Sozialdemokrat*innen und für die Große Koalition. Hat also alles seine Berechtigung.
Doch was auch hätte gesendet werden müssen, sind ausführliche Analysen zu den Kommunalwahlen, die gestern in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt stattfanden. Zugegeben, die Ergebnisse aus einigen ostdeutschen Kommunen und Städten sind schwer zu ertragen. Hier nur eine Auswahl:
- In Chemnitz wird die AfD mit 17,9 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU (19,9 Prozent). Zusammen mit der rechtsextremen Pro Chemnitz verfügen die Rechten über ein Viertel der Sitze im Stadtrat.
- In Gera in Thüringen gewinnt die AfD deutlich mit 28,8 Prozent. Auf Platz zwei liegt die Linke mit 18,3 Prozent.
- Im Landkreis Spree-Neiße in Brandenburg bekommt die AfD ebenfalls mit Abstand die meisten Stimmen: 26,5 Prozent. Es folgen CDU mit 20,5 und SPD mit 15 Prozent.
- In Görlitz in Ostsachsen hat der AfD-Kandidat Sebastian Wippel die Oberbürgermeisterwahl im ersten Durchgang klar für sich entschieden.
Einfach nicht wichtig genug?
Natürlich sind die Kommunalwahlen keiner Redaktion entgangen. Sie sind offensichtlich einfach nicht wichtig genug. Und das ist fatal. Denn die Wahlergebnisse zeigen einmal mehr, wie sehr sich rechte Ideologien normalisiert haben, wie gut es der AfD gelingt, sich lokal zu verankern. In Parlamenten auf kommunaler Ebene wird über wichtige Themen entschieden, die gerade im Kampf gegen rechts zentral sind: Jugendarbeit, Kultur- und Sportangebote. Kommunal finanzierte Projekte zu politischer Bildung, Demokratieförderung und Antidiskriminierung dürften in Zukunft noch mehr unter Druck stehen als ohnehin schon.
Genauso schlimm wie ignorieren ist der bekannte Abwehrmechanismus: brauner Osten, Mauer wieder hochziehen, allenfalls noch Leipzig zur links-grünen Enklave in Sachsen machen. Weder ist ganz Ostdeutschland braun, noch hat das mit Menschen im Westen Deutschlands nichts zu tun. Ja, es gibt in Ostdeutschland Strukturen, die dafür sorgen, dass sich Rechte hier wohler fühlen als anderswo. Die Gründe sind aber komplex. Einige werden derzeit auf Twitter unter dem Hashtag #wirimosten gesammelt.
In Parlamenten auf kommunaler Ebene wird über wichtige Themen entschieden, die gerade im Kampf gegen rechts zentral sind: Jugendarbeit, Kultur- und Sportangebote.
Ein wichtiger Faktor ist, dass Politiker*innen in Regierungsverantwortung das Problem ignoriert haben oder es sogar mit Reden über Einzelfälle oder vermeintliche Linksextreme relativiert haben. In der DDR gab es offiziell keine Nazis und entsprechend auch keine gesellschaftliche Aufarbeitung und Debatte. In Sachsen regiert seit über 30 Jahren die CDU, die Rechtsextremismus die meiste Zeit totschweigt. Der erste sächsische CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf prägte den Satz: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“. Ganz im Stile von „Was es nicht geben darf, das gibt es auch nicht“. Niemand in Sachsen ist immun gegen Rechtsextremismus. Genauso wenig wie alle anderen Menschen in diesem Land.
Eine klare Absage an eine schwarze-blaue Koalition
Die Kommunalwahlen sind auch ein bedrohlicher Ausblick auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst. In allen drei ist mit einem starken Ergebnis der AfD zu rechnen. In manchen könnte die AfD sogar Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erheben. Sollte die CDU einknicken, könnte dieser Anspruch sogar Realität werden. Wer dachte, dass es so schlimm schon nicht kommen wird, dürfte nun wohl etwas weniger daran zweifeln, wie ernst die Lage ist.
Was es jetzt braucht, ist ein klares Bekenntnis der übrigen Parteien in Ostdeutschland und insbesondere der CDU, Rechtsextremismus zu bekämpfen und der AfD eine klare Absage für eine Zusammenarbeit zu erteilen. Dabei versagt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer zumindest teilweise, wenn er sowohl AfD als auch Grüne als Parteien bezeichnet, die ihre eigene Position als absolut betrachteten und keine Kompromisse schließen könnten. Statt über die eigene Arbeit zu reflektieren, stellt er damit zwei Parteien auf eine Stufe, auf der diese nebeneinander nichts zu suchen haben.
Vom Rest Deutschlands braucht es ein klares Bekenntnis, dass rechte Ideologien kein ostdeutsches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem sind. Und die Bereitschaft, jene zu unterstützen, die bedroht werden oder versuchen, dort etwas zu verändern.
Der Originaltext von Nina Monecke ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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