„Emanzipation zerstört die Erotik“, titelte kürzlich allen Ernstes die „Süddeutsche Zeitung“. Gleichberechtigung auch noch im Bett? Wo kämen wir denn da hin? Eine einigermaßen fassungslose Replik von Svenja Gräfen.
Die Gender-Schürze im Bett ausziehen?
An sich eine schöne Idee bei der „Süddeutschen Zeitung“: eine Recherche-Reihe zum Thema Gleichberechtigung. Da sind bisher ganz nette Texte dabei, zum Beispiel ein Feminismus-Glossar.
Kürzlich las ich allerdings einen Artikel von Violetta Simon. „Emanzipation zerstört die Erotik“. Der Lifehack schlechthin gleich zu Beginn: „Wer mehr als nur kuscheln will, sollte die Gender Schürze im Bett ausziehen.“
Ach ja, diese olle Gender-Schürze. Tja, die gehört wirklich zu meinen Lieblingskleidungsstücken. Ich bin regelrecht traurig, wenn sie mal in der Wäsche ist. Sie ist momentan ja einfach so dermaßen hip und trendy, dass ich sie am liebsten permanent tragen würde. Mit ebenjener Gender-Schürze meint die Autorin vermutlich diese überaus anstrengende feministische Einstellung. Und die sollte nun also wenigstens im Bett abgelegt werden. Weil? Na ja, nervt halt. Ich meine, Gleichberechtigung auch noch im Bett? Wo kämen wir denn da hin? Violetta Simon weiß es: zu sexueller Unlust.
Erstmal dürfen aber alle aufatmen, denn es ist im Jahr 2016 immerhin bereits geklärt, wer den Müll rausbringt: beide. Im Grunde braucht sich also niemand mehr um das Thema Care-Arbeit (so schön erklärt im Glossar) zu kümmern. Als nächstes kommen dann aber die Sexualwissenschaftler (sic!) ins Spiel. Die haben nämlich in einer Studie* erforscht, dass „Paare mit traditioneller Aufgabenverteilung […] häufiger Sex [haben] im Vergleich zu jenen, die sich gleichberechtigt auch ,typisch weibliche’ Aufgaben teilen.“
Traditionen muss man wahren, sonst… ja, was eigentlich?
Ich kriege ja immer schon ein bisschen Gänsehaut bei dem Adjektiv ,traditionell’ in Bezug auf Aufgabenverteilung. Okay, als ich Teenager war, war es gewissermaßen Tradition, dass ich die Spülmaschine ausräumte. Das war aber primär der Tatsache geschuldet, dass ich eine recht faule Jugendliche war und meine Eltern wollten, dass ich wenigstens irgendetwas tat.
Aber dass es ,traditionell’ sein soll, dass die Frau™ die ,typisch weiblichen’ Aufgaben wie Kochen, Putzen, Waschen, Pflegen übernimmt… vielleicht halten wir’s lieber so fest: Dieselben patriarchalen Strukturen, die Frauen lange Zeit den Zugang zum gesellschaftlich-politischen Leben verwehrten, zwangen sie außerdem dazu, die Aufgaben zu erledigen, die eben so anfallen, wenn man irgendwo lebt und unter Umständen Kinder hat. Deshalb ,typisch weiblich’. Alles klar.
Violetta Simon betont, dass der Grund für den wenigen Sex, den gleichberechtigte Paare sohaben, nicht der ist, dass die Care-Arbeit viel Zeit in Anspruch nimmt. Liegt ja auch auf der Hand: Wenn sich zwei Personen die Arbeit teilen, die sonst eine allein erledigt, dann ist diese Arbeit doch sogar doppelt so schnell getan. Ich glaube ja – ich weiß, fiese Unterstellung – Violetta erwähnt den Punkt nur deshalb, weil dieses ,Jetzt nicht, Schatz, ich muss erst noch deine Blusen bügeln!’ so schön dazu passt. Und das ist witzig. Oder nicht? Ich meine, als ob ein Mann™ jemals Blusen bügeln würde. Hahaha.
Die Soziologin Julie Brines jedenfalls, um mal wieder auf den Punkt zu kommen, habe herausgefunden: „Je weniger Unterschied zwischen den Geschlechtern, desto weniger sexuelles Begehren“. An dieser Stelle ist vielleicht wichtig zu erwähnen: Wir sprechen hier selbstredend nur von heterosexuellen Paaren. Ist eh klar, ne? Immerhin haben wir 2016 und die ,traditionelle Familie’ ist ja sowieso hetero.
So weit, so… äh, gut
Im nächsten Abschnitt: Auftritt US-Paartherapeutin: „Egal, wie oft der Mann die Spüle schrubbt oder im Supermarkt einkauft, […] die Frau wird [ihn] deswegen nicht sexuell anziehender finden“, sagt die. Ach so – ich wusste noch gar nicht, dass der eigentliche Zweck hinter all diesem Gleichberechtigungs-Blabla der ist, dass die Frau ihren Mann sexuell anziehender finden soll! Dann verstehe ich natürlich, dass man herzhaft enttäuscht ist, wenn der Mann sein „,Neandertaler-Ich’ zugunsten der Gleichberechtigung“ so sehr verbiegt, dass sich die Frau schließlich, ich zitiere, fragen muss: „Was ist aus dem souveränen, chaotischen Kerl geworden, in den ich mich verliebt habe?“ Ich übersetze: ,Was ist bloß aus dem alten Chauvi geworden, in den ich mich verliebt habe, weil er mir das Vertrauen schenkte, seine dreckige Unterwäsche wegzuräumen, ihn zu bekochen und, wie heißt’s so schön, ihm den Rücken freizuhalten? Ist er etwa dem ganzen Gender-Gaga zum Opfer gefallen und am Ende gänzlich verweichlicht?’
Seriously? Allein ,verbiegen’ in diesem Zusammenhang. Als wäre es wider die männliche™ Natur, den Fußboden zu wischen.
Die Paartherapeutin berichtet beweisführend von einem Paar, das sich die Care-Arbeit teilte und dann aber, zack, vor dem Problem stand, dass die Frau kein sexuelles Interesse mehr hatte – was beim Mann natürlich die Befürchtung auslöste, wegen all der Hausarbeit nicht mehr attraktiv zu erscheinen. Jaja, das ist, worüber ich mich ständig mit meinen Heten-Freundinnen austausche: Trägt dein Typ auch immer so furchtbar unsexy den Müllbeutel durch den Hausflur? Die Frau in der Paartherapeutinnen-Anekdote jedoch fand ihren Typen eigentlich nach wie vor anziehend, vor allen Dingen, wenn er „verschwitzt aus dem Fitnessstudio“ kam und sie dann seine Muskeln sehen konnte, wenn er sich zum Duschen auszog. Ich stelle mir da folgende investigativen Fragen: Hatte er das Abo im Fitnessstudio gekündigt? Duschte er nicht mehr? Duschte er etwa angezogen?? Oder warum wird das damit in Verbindung gebracht, dass sich die beiden die Arbeit im Haushalt teilten?
Violetta Simon weiß es, denn immerhin gilt als wissenschaftlich belegt**, dass „der tolerante, fürsorgliche Mann, mit dem wir zusammenleben wollen, [nicht] der Mann [ist], mit dem wir schlafen wollen – und umgekehrt.“ ACH SO! Jetzt weiß ich’s! Das Dilemma liegt also im veralteten, ’traditionellen’, monogamen Hetero-Familienbild?
Nope.
Aber dies ist die offizielle Begründung dafür, dass in weiblichen™ Sexfantasien immer diese Typen mit dreckigen Stiefeln herumlaufen und das Geschirr beiseitefegen dürfen. Yas! In meinen erotischen Träumen kommt eines auch definitiv immer vor: Geschirr. Schließlich bin ich ja ne Frau, hihi. Und logisch, dass das dann nicht zusammenpasst, wenn der Mann im real life Hausschuhe trägt und das Geschirr bloß abwäscht. Das ist ja wirklich unsexy, so im Vergleich.
Für die Männer ist das Dilemma übrigens genauso groß, schließlich schätzen sie zwar „eine verlässliche, selbstbewusste Partnerin […], die einem ernstzunehmenden [sic!] Job nachgeht“, aber für die Libido ist das jetzt nicht gerade der Bringer. Warum, fragt man sich? Ganz einfach, sagt Violetta Simon: Das passt halt nicht zum Selbstbild eines richtigen Mannes™. Der ist nämlich Ernährer und Entscheider und steht drauf, nun ja, die Frau zu ernähren und für sie zu entscheiden – im Idealfall auch im Bett. Und dann läuft’s auch mit der Sexualität. It’s easy like that.
Vorsichtig ist das neue Scheiße
Ich habe mir eigentlich fest vorgenommen, nicht auf jeden Absatz einzugehen, aber der nächste ist einfach zu geil: Die Paartherapeutin wieder, ein anderes Paar, die Frau ermuntert ihren Mann, „beim Sex energischer, ja, grober vorzugehen.“ Das Ergebnis sei unfreiwillig komisch gewesen. ,Er versuchte sein Bestes, aber er war dabei so … vorsichtig’“. Um Himmels Willen. I totally feel her! Vorsichtig. Brrrrr, da läuft’s mir kalt den Rücken runter. Das ist wirklich ein ernstzunehmendes sexuelles Problem, mein Tipp: Sie sollte den Kerl verlassen und sich einen suchen, der ,Konsens’ für eine neuartige Kampfsportart hält.
Aber es ist freilich nicht der Mann, der hier etwas falsch (sic!) gemacht hat, sondern die Frau, denn immerhin hat sie doch vorher immer rumgezetert, dass sie ihm ja wohl gleichgestellt sei – und jetzt nimmt sie sich allen Ernstes raus, sich darüber zu beschweren, dass er vorsichtig im Bett ist? Echt mal. Ich nehm’ meinen Tipp mit sofortiger Wirkung zurück. Die hat’s nicht anders verdient.
Im nächsten Absatz ist es dann endlich soweit: die Unterwerfungsfantasien. Ich hab sie sehnlichst erwartet. Alle Frauen™ hatten die nämlich immer schon. (Am liebsten natürlich Unterwerfung PLUS irgendwas mit Geschirr.) Und mit all dieser Gleichberechtigung ist das natürlich nicht mehr möglich. Denn Gleichberechtigung bedeutet am Ende noch, dass beide gleichberechtigt (!!) ihre Wünsche im Bett äußern können. My ass. An dieser Stelle sind wir nicht mehr allzu weit von der Aussage entfernt, dass Frauen eh immer ,Ja’ meinen, wenn sie ,Nein’ sagen.
Jenseits (wie, jenseits?) von all diesem Blabla à la politische Korrektheit und Emanzipation sieht die Autorin übrigens genetisch verankerte, geschlechtertypische Bedürfnisse, die man weder leugnen kann noch soll. Ich fasse die nochmal kurz zusammen: Der Mann = Ernährer und Entscheider. Die Frau = unterwürfiges Mäuschen, das gern den Haushalt schmeißt. So ist das eben im binären Paradies.
Weiter im Text. Sex ist Machtkampf, Liebesspiel, Rollenspiel, eine_r übernimmt die Führung, eine_r gibt die Kontrolle ab (hier übrigens ganz offen formuliert, dass auch der Mann das mal darf. Wie fortschrittlich!), so ist das halt und „wer das als Schlag in die Magengrube des Feminismus versteht, hat etwas Grundlegendes nicht verstanden: Unser Unterbewusstsein fragt nicht nach gesellschaftlichen Normen. Unser Sexualtrieb schert sich nicht um Debatten über Hausarbeit. Unsere Fantasien sind, gelinde gesagt, politisch unkorrekt, mitunter peinlich, ja, unaussprechlich.“
Liebe Violetta Simon,
Verzeihung, aber ich glaube, Sie haben hier etwas Grundlegendes nicht verstanden: Wir sind hier nicht in den 50ern. Wir können ganz offen über Sex sprechen. Auch über Fantasien. Auch über Machtspiele im Bett. Das ist nicht peinlich. Das ist nicht mal politisch unkorrekt. Politisch unkorrekt hingegen ist zum Beispiel Sex, der nicht konsensual vonstatten geht. Ich persönlich halte den dann sogar für ein Gewaltverbrechen. Wir leben tatsächlich aber noch in so rückwärts gewandten Verhältnissen, dass die Justiz das nicht unbedingt tut.
Löblich finde ich den Ansatz, dass sich unser Unterbewusstsein wie auch unser Sexualtrieb nicht um gesellschaftliche Normen scheren sollten. Davon abgesehen, dass Gleichberechtigung (die ist doch gemeint, oder? Unser Sexualtrieb schert sich nicht um Gleichberechtigung?) traurigerweise längst nicht die Norm ist: Leider sind genau da, im Unterbewusstsein, solche patriarchalen Strukturen verankert, die zum Beispiel bei Ihnen dafür sorgen, dass Sie, so unterstelle ich Ihnen einfach mal nach der Lektüre Ihres Artikels, davon ausgehen, dass Sex vorrangig etwas zwischen Mann™ und Frau™ sei. Und dass Mann™ und Frau™ hierbei genetisch bedingt bestimmte Rollen erfüllen müssen. Dass Sie, schlussendlich, ganz ernsthaft konsensuale Unterwerfung (oh ja, das gibt es!) im Bett in Zusammenhang mit gerechter Aufteilung der Care-Arbeit bringen.
Dass Sie denken, den armen Männern™ sei eine unbequeme Gender-Schürze umgeschnürt, die ihr wahres Neandertaler-Ich so lange unterdrückt, bis die Frau™ sie dann schließlich nicht mehr sexy findet. Und dass, obwohl sie doch die ganze Schuld am Dilemma trägt, denn immerhin wollte sie sich hier gegen die Genetik wehren mit dem Gleichberechtigungs-Blabla.
Jetzt muss ich mich entschuldigen, denn es ist Samstag. Da erledigt man Hausarbeit. Vielleicht hab ich danach auch noch Sex. Denn stundenlanges Staubsaugen und Fensterputzen, während mein Typ Fußball schauen geht, das turnt mich einfach immer total an. Diese ,Gender-Schürze’ werde ich dabei dann aber anbehalten. Die ist nämlich kein modisches Accessoire.
* und **: Ich wurde darauf hingewiesen, dass sich die zitierte amerikanische Studie auf Daten von 1992-1994 (!) bezieht. Weiter spricht der zitierte wissenschaftliche Text nicht von einem Paradox, sondern davon, dass bestimmte Fantasien gerade durch kulturelle Variablen bestimmt werden. Was ohnehin sehr logisch erscheint, hätte Violetta Simon mit ein wenig Recherche auch herausfinden können. Danke @V_jne!
Dieser Text erschien zuerst auf Svenjas Blog. Wir freuen uns sehr, dass wir ihn auch bei uns veröffentlichen können.
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