Katrin Rönicke schreibt in ihrem Debüt „Bitte freimachen“, warum wir endlich eine ernstzunehmende Alternative zum traditionellen Alleinverdienermodell brauchen – und wie das aussehen könnte.
Wer ist eine richtige Frau und wer ein richtiger Mann?
„Schon als ich ein kleines Mädchen war, haben Ideale über Weiblichkeit begonnen, meinen Bewegungsradius als Mensch einzuschränken. Jedoch ohne dass mit das bewusst gewesen wäre. Erst spät erkannte ich die Wirkmächtigkeit von Rollenvorstellungen und Stereotypen, die Mann und Frau beeinflussen.“ Das schreibt Katrin Rönicke im Vorwort ihres neu erschienenen Buches „Bitte freimachen. Eine Anleitung zur Emanzipation.“ Darin beschreibt sie, wie allgegenwärtig Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft sind, wie diese vorgeben, wie wir zu sprechen und auszusehen haben – und sie zeigt auf, was wir tun können, um dabei nicht länger mitzumachen. Wir veröffentlichen einen Auszug:
Kapitel 12: Her mit dem schönen Leben
Als emanzipierte Frau steht man ganz
schön unter Druck. Man soll auf eigenen Beinen stehen, Karriere
machen und in nichts, aber auch gar nichts den Männern nachstehen.
Aber was bedeutet das in der Umsetzung genau? Denn wenn Kinder kommen
oder Kranke gesund gepflegt werden wollen, wird es schwierig.
Soll
ich als Frau vierzig und mehr Stunden in der Woche arbeiten, so wie
es die Männer tun? Oder gibt es Dinge im Leben, die mir genauso
wichtig sind wie Arbeit und wegen denen ich lieber weniger arbeiten
möchte? Was ist ein gutes Leben? Der Sozialforscher Neil Gilbert hat
in seinem Buch „A Mother’s Work – Wie Feminismus, der Markt und
die Politik das Familienleben formen“ das Dogma der Vollzeit
arbeitenden Mutter untersucht.
Die „Zeit“ fragte Gilbert, warum es denn
kein „weibliches Modell“ gebe, eines, bei dem Frauen sich weder
ganz dem Haus, noch ganz dem Arbeitsmarkt verschreiben müssten.
Seine Antwort ist verblüffend banal: „Es gab ein weibliches
Modell, und das hieß, Lehrerin zu werden. Die Arbeit dauerte täglich
von neun bis drei, man hatte Ferien und konnte Arbeit und
Mutterschaft wunderbar miteinander verbinden. Frauen konnten kaum
Medizin studieren oder Jura, aber dieser Weg stand gebildeten Frauen
offen, die Arbeit suchten.“
Familie, Kümmern, Haushalt: Alles Frauensache
Gilbert beschreibt viele Probleme
klug und differenziert, doch er ist, wie viele seiner Kollegen, auf
einem Auge blind. Er sieht, spricht und schreibt über die
Bedürfnisse und die familiäre Arbeit der Mütter. Die
Familienarbeit der Väter kommt bei ihm nicht vor. Familie, Kümmern,
Haushalt, das sind bei ihm und bei vielen seiner Kolleginnen und
Kollegen reine Frauenangelegenheiten.
Die Männer und Frauen haben ja
viele Jahrzehnte lang diesem Bild auch entsprochen und lange wurde es
staatlich unterstützt. Durch das Ehegattensplitting und die
Unterhaltsregelungen, durch großzügige Rentenanteile für Ehefrauen
und soziale Anerkennung durch Eltern, Freunde und Bekannte.
Finanziell, politisch und sozial wurde die Frau, die sich kümmert,
unterstützt. Doch dann begann man, all das zurückzuschrauben –
das Alleinverdienermodell hatte ausgedient. Das
Alleinverdienermodell, also jenes Arrangement von heterosexueller
Beziehung, in dem die Frau wenig bis gar nicht arbeitet, der Mann
dafür umso mehr, ist die Wurzel vieler Strukturen und
Ungleichheiten, die bis heute nachwirken.
Der deutsche Sozialstaat
machte es möglich, dass unsere Väter ihr Leben lang den gleichen
Job hatten und in diesem fast immer nur aufstiegen, während unsere
Mütter sich manchmal ein Taschengeld dazuverdienten. Sie sind die
Generation der Babyboomer, und das typische Arbeitsmodell nannte sich
Normalarbeitermodell – weil es in diesem Land normal und die Regel
war: Vollzeitjob mit Überstunden, dafür ordentlich bezahlt, sozial
abgesichert, obendrauf das kleine Reihenhaus.
Mehr Eigenverantwortung der Frauen per Gesetz
Doch die Töchter und
Söhne der Babyboomer stellen nun fest, wie schwierig es heute ist,
auf eigenen Beinen zu stehen – nicht nur, aber gerade auch für
Frauen, die sich längst nicht mehr auf das Alleinverdienermodell
verlassen wollen. Und sich darauf auch nicht mehr verlassen können.
Denn die Gesetze haben sich geändert, hin zu mehr Eigenverantwortung
der Frau, auch während der Ehe. Das neue Unterhaltsrecht, das seit
2010 in Kraft ist, sieht vor, dass ehemalige Partner ab einem
gewissen Alter der eventuell vorhandenen Kinder wieder arbeiten gehen
und selbst für ihr Einkommen sorgen. Sie können nicht mehr
erwarten, dass ihr früherer Ehepartner weiterhin für ihren
Lebensunterhalt sorgt, so wie das viele Jahre lang der Fall war.
Eigentlich ist es gut, dass diese alte Rollenaufteilung aufgebrochen
ist, die die Frau ins Haus verdonnerte und den Mann auf die Arbeit.
Aber uneigentlich haben wir damit etwas verloren und durch nichts
anderes ersetzt, nämlich die vom Staat unterstützte Solidarität
zwischen Menschen. Es war zwar eine sehr einförmige, eindimensionale
und heterozentristische Solidarität, in vielen Fällen
wahrscheinlich auch mehr Abhängigkeit als Zuneigung, aber es war ein
Füreinanderdasein, ein Mitziehen, ein Miteinander.
Wenn zwei
Menschen sich das Ja-Wort gaben, bedeutete das meistens wirklich,
dass sie zusammenblieben bis dass der Tod sie schied. Es bedeutete,
dass man miteinander lebte, füreinander Verantwortung übernahm,
sich umeinander kümmerte. Die Frau war sozial aktiv, der Mann
ökonomisch. Und beide fanden das gut so, beide waren mit diesem
schönen Leben zufrieden, denn sie hielten einander auch den Rücken
frei. Wenn sich heute zwei Menschen solidarisch miteinander zeigen,
so bleibt das Indivuelle in ihrer Beziehung dennoch im Mittelpunkt,
die mögliche Trennung steht immer im Raum, und man ist gezwungen,
nicht zu viel Verantwortung aus der Hand zu geben – das FDP-Dogma
der Eigenverantwortung hat seinen Siegeszug in den Schlafzimmern der
Nation vollendet.
Das Nachfolgermodell für die Ehe fehlt noch
Mann und Frau gehen miteinander keine Symbiose auf
Lebenszeit ein, sie stehen allein auf weiter Flur in einer
fürchterlich stürmischen Gesellschaft. Die Millenials spüren den
Solidaritätsverlust zwischen den Menschen noch nicht, weil man ihnen
auf Facebook zwanzigmal am Tag versichert, dass sie „gefallen“.
Das übertüncht die Einsamkeit ihrer Generation, die vom Heiraten
nichts hält und sich der Individualisierung voll hingibt. Mit
steigendem Alter jedoch kommt die Aufmerksamkeit für das, was fehlt:
Miteinander und Solidarität. Das Miteinander der Ehe mag für diese
Leute altbacken wirken, aber sie haben es nicht geschafft, es durch
ein neues Modell zu ersetzen.
Franziska Brantner ist seit ihrer
Jugend politisch aktiv und sitzt für die Grünen im Bundestag.
Unmittelbar nach dem neuen Unterhaltsgesetz hat sie mit mir über die
drängende Frage der Solidaritätslücke nachgedacht. Wir haben es so
ausgedrückt: „Es muss eine Balance zwischen den Nachteilen der
absoluten Individualisierung und denen der ungesunden Abhängigkeit
voneinander ermöglicht werden. Unabhängigkeit und Solidarität sind
keine natürlichen Gegensätze, sie können sich gegenseitig ergänzen
und auch in den unterschiedlichen Lebensphasen abwechseln. Einer
Phase der Fürsorge für Kinder oder alte Menschen folgt wieder eine
Phase der eigenen Bildung oder Karriere und umgekehrt.“
An dieser Prämisse sollte sich die
Arbeitspolitik für Menschen jeden Geschlechts orientieren. Denn ob
man gerne zu Hause ist und sich um Kinder kümmert oder lieber
schuftet wie ein Pferd, ist keine Frage des Geschlechtes. Deswegen
brauchen wir das Modell der Lehrerin für alle. Wenn wir also ein
schönes Leben wollen, dann muss es einerseits eines sein, in dem wir
den Boden unter den Füßen behalten, auch wenn wir uns trennen. Aber
es braucht auch Strukturen und Rahmen in der Gesellschaft, in der
Solidarität wachsen kann und Menschen füreinander Verantwortung
übernehmen können. Verantwortung nicht im patriarchalischen,
sondern im modernen Sinn. Frauen gegenüber Frauen. Männer gegenüber
Männern. Frauen gegenüber Männern. Männer gegenüber Frauen.
Staatlicher Solidaritätsvertrag nach französischem Vorbild?
Wie
wäre es mit einer Art staatlichem Solidaritätsvertrag, den Menschen
miteinander schließen können, die sich genau dieses Versprechen
geben: Wir kümmern uns umeinander. Darin könnte vereinbart werden,
wie man nach einer Trennung miteinander umgeht und vor allem, wie es
für den- oder diejenige ausgeht, der oder die die Kinder betreut. In
Frankreich gibt es mit dem pacte civil de solidarité (PACS) seit
1999 eine gesetzliche Institution, in der sich Menschen egal welchen
Geschlechts zu gegenseitiger Hilfe und Solidarität verpflichten
können. Der PACS ermöglicht fernab der Ehe eine Gütergemeinschaft
und steuerlich günstige Erbbestimmungen. So ein ziviler
Solidaritätspakt wäre auch für Deutschland sinnvoll.
Unabhängigkeit und Solidarität sind keine natürlichen Gegensätze,
sie können sich gegenseitig ergänzen und auch in den
unterschiedlichen Lebensphasen abwechseln.
Auszug aus: Bitte freimachen. Eine Anleitung zur Emanzipation, Metrolit Verlag, Juli 2015, 224 Seiten, 22 Euro
Mehr bei EDITION F
„Väter in Elternzeit dürfen nicht mehr uncool sein.“ Weiterlesen
Gleichberechtigung: Was wollen Männer? Weiterlesen
„Papa kann auch stillen.“ Weiterlesen