Die Autorin Sibel Schick erhielt Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, ihre Adresse wurde veröffentlicht. Mit einer Petition fordert sie einen besseren Schutz für Betroffene von digitaler Gewalt.
11.000 Unterschriften
Jedes Mal, wenn ihre Adresse online veröffentlicht oder getwittert wurde, dachte Sibel Schick, es wäre das letzte Mal. Dass die Hetzer*innen und Trolle sie bald vergessen würden. Aber der Hass und die Gewalt, die Zettel im Briefkasten, die unbezahlten Essensbestellungen, die zu ihr nach Hause geliefert wurden, ebbten nicht ab. „Am Anfang war es noch irgendwie auszuhalten. Aber mit der Zeit wurde es immer schlimmer.“
Nachdem ein rechter Blogger auf dem FAZ-Blog 2018 einen Beitrag über Schick verfasst, wird sie mit einer bis dahin ihr unbekannten Welle von Hasskommentaren überflutet, erhält Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Es war der Journalistin lange ein Anliegen, dagegen anzugehen, wie wenig Konsequenzen digitale Gewalt in Deutschland hat. „Ich habe nicht das Gefühl, dass dieses Problem irgendwen interessiert.“ Um das zu ändern, hat sie eine Petition gestartet, in der sie besseren Schutz für Betroffene von Onlinekriminalität fordert. Inzwischen haben über 11.000 Menschen ihre Aufforderung an Innenminister Seehofer und Justizministerin Lambrecht unterzeichnet.
Dass es zu dieser Petition gekommen ist, darüber klingt Sibel Schick selbst etwas verwundert. Dann, wenn sie erzählt, wie sie sich mit der Zeit fast an die Gewaltandrohungen gewöhnte. Nach dem 100. Mal fühle sich eine hasserfüllte Nachricht weniger schwerwiegend an als beim ersten Mal. „Ich habe die ganze Zeit gedacht: Das ist normal, was mir passiert. Ich stehe in der Öffentlichkeit und habe eine große Fresse.“ Erst durch Gespräche mit anderen habe sie realisiert, dass das, was ihr passierte, nicht normal war.
Ein neues Ausmaß des Hasses
Es war nicht das erste Mal, dass der Name von Sibel Schick mit kontroversen Debatten in Verbindung gebracht wurde. Doch das Ausmaß und die Intensität, mit der Menschen nach dem FAZ-Blogbeitrag begannen, sie anzugehen und zu bedrohen, sei anders gewesen. „Davor waren es vereinzelte Accounts, die etwas gelesen haben und ihren Saft dazu geben wollten.“ Die Menschen, die Schick inzwischen mit Nachrichten überhäufen, sind nicht an einer argumentativen Auseinandersetzung interessiert. „Die dachten wohl: Wir zeigen ihr jetzt, was es bedeutet, sich öffentlich hinzustellen und so etwas zu sagen.“
„Wenn gleichzeitig 50 Kommentare ankommen, die spöttisch sind, kann sich das anfühlen wie ein Hatestorm. Bevor der Blogartikel erschienen ist, war das eher meine Erfahrung. Entweder haben sich Leute lustig gemacht über das, was ich gesagt habe, oder sie haben Gegenargumente gebracht. Das war’s dann aber auch.“ Beleidigungen habe es zwar immer wieder gegeben, aber Gewaltandrohungen und die Erfahrung, dass Menschen ihre Bilder bearbeitet oder Videos neu zusammengeschnitten hätten, habe sie vorher nicht machen müssen. Das sei erst passiert, nachdem sie ins Visier des sogenannten Sifftwitter geraten sei. „Was da passiert, ist einfach nur pure Gewalt.“
Was ist Sifftwitter?
Sifftwitter nennt sich die bisher am besten organisierte Community von Trollen auf Twitter. Die Accounts sind untereinander vernetzt und gehen seit 2016 mit Hetze, Gewaltandrohungen und Beleidigungen Accounts an, deren Meinung ihnen nicht passt. Menschen mit Behinderungen, trans Menschen, Feminist*innen, Personen, die von Rassismus betroffen sind oder sich mit Geflüchteten solidarisieren, geraten besonders häufig in den Fokus von Sifftwitter.
„Plötzlich ging etwas los, und ich konnte es anfangs gar nicht einordnen“, sagt Sibel. Erst rückwirkend habe sie verstanden, dass der Blogbeitrag der Auslöser für all den Hass war. Den Blogger, der den Beitrag über Sibel Schick geschrieben hatte, kannte sie davor nicht. „Durch Gespräche mit anderen habe ich erfahren, dass sie fast identische Erfahrungen gemacht haben.“ Das Ziel solcher massiven Angriffe auf Betroffene ist es, diese einzuschüchtern und unter Druck zu setzen. „Wenn sie mir schreiben ‚Ich werde dich umbringen und ich weiß, wo du wohnst‘, dann ist ihr Ziel, dass ich Angst habe.“
Die Macht von Petitionen
So, wie die Situation aktuell bestellt sei, habe man als Betroffene*r wenige Optionen. Bei der Polizei habe man ihre Schilderungen zwar ernstgenommen, passiert sei allerdings nichts. „Ich hatte das Gefühl, dass sie erstens nicht genug Personal haben, um diesen vielen Anzeigen hinterher zu laufen. Und zweitens sind sie technisch nicht in der Lage.“ Sie habe von anderen Betroffenen gehört, die Anzeige erstattet hätten und Drohungen mit Links belegt hätten. „Die Polizei hat sich bei ihnen zurückgemeldet und gesagt: ‚Wir haben keinen Zugang zu diesem Youtubelink. Bitte brennen Sie uns eine CD mit dem Video.‘ Das ist so oldschool.“ Außerdem habe sie niemand über psychologische Anlaufstellen informiert, an die Betroffene sich wenden können.
Sifftwitter nennt sich die bisher am besten organisierte Community von Trollen auf Twitter. Die Accounts sind untereinander vernetzt und gehen seit 2016 mit Hetze, Gewaltandrohungen und Beleidigungen Accounts an, deren Meinung ihnen nicht passt. Menschen mit Behinderungen, trans Menschen, Feminist*innen, Personen, die von Rassismus betroffen sind oder sich mit Geflüchteten solidarisieren, geraten besonders häufig in den Fokus von Sifftwitter.
Schick ist sich bewusst, dass Petitionen meist keine Gesetzesänderung nach sich ziehen: „Diese Petition allein hat überhaupt kein Gewicht.“ Zwar muss der Petitionsausschuss des Bundestags sich mit jeder ordnungsgemäß eingereichten Petition auseinandersetzen. Einzelsitzungen zu bestimmten Petitionen gibt es allerdings nur, wenn innerhalb von vier Wochen mehr als 50.000 Unterschriften zusammenkommen. Und selbst dann ist der Bundestag nicht zum Handeln verpflichtet.
Trotzdem hat sich Sibel Schick dafür entschieden, durch ihre Petition ihre Erfahrungen mit digitaler Gewalt sichtbar zu machen. „Dadurch, dass sich dieser gewaltvolle Umgang in den sozialen Medien immer weiter verbreitet, sind immer mehr Menschen davon betroffen.“ Sie will das Thema sichtbar machen und einen möglichen Lösungsansatz aufzeigen. Für eine wirkliche Veränderung im Schutz für Betroffene digitaler Gewalt müssten allerdings Politiker*innen handeln.
Der Originaltext von Katharina-Alexander ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.