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Maaßen: Warum die Empörung über die Beförderung nur der Anfang sein kann

Der bisherige Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, wird zum Staatssekretär im Innenministerium befördert. Ist das wirklich überraschend oder Ausdruck einer deutschen Normalität, fragt sich unsere Redakteurin Helen Hahne heute in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.

Ein Fehltritt wird mit einer Beförderung belohnt

Was passiert, wenn man als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in einem Interview öffentlich die Echtheit eines Videos in Frage stellt, das rechtsextreme Angriffe auf Geflüchtete in Chemnitz zeigt – und dessen Echtheit wiederum hinreichend belegt wurde – und damit rechte Verschwörungstheorien und den Ruf nach „Lügenpresse” befeuert, während man sich damit auf die Seite der rechts- bis rechtsextremen Demonstrant*innen stellt? Richtig, man wird um zwei Besoldungsstufen in ein Amt als Staatssekretär im Innenministerium befördert.

Diese Beförderung sorgt seit Tagen für große Aufregung. Und das zu Recht: ist sie schließlich Ausdruck eines absurden Systems, in dem Kassiererinnen dafür entlassen werden, dass sie zwei Pfand-Bons mitgenommen haben, Verfassungsschutzpräsidenten für ihre Fehltritte aber noch belohnt werden. Das lässt viele Leute momentan an der Demokratie zweifeln, es befeuert Politikverdrossenheit und es bestätigt die sowieso selbstbewusste rechte Szene noch einmal in ihrem Unverwundbarkeitsgefühl.

Die öffentliche Empörung kommt zu spät

Die Empörung ist also richtig und wichtig. Und doch hätte sie viel früher kommen müssen, spätestens am 11. Juli mit dem Ende des NSU-Prozesses. Wenn den Opfern, Angehörigen, Anwält*innen und Aktivist*innen wirklich zugehört worden wäre, hätte die Forderung nach Maaßens Rücktritt, nach einer Reform oder sogar einer Abschaffung des Verfassungsschutzes aus der breiten Öffentlichkeit kommen müssen. Das, was Maaßen gegenüber der„Bild“ geäußert hat, war nur die Offenlegung dessen, was der Verfassungsschutz in seiner täglichen Arbeit tut und was all denen, die sich schon länger mit dem Inlandsgeheimdienst auseinandersetzen, klar ist: Nazis schützen, Akten vernichten, rechtsextreme Gewalt verharmlosen. 

Maaßen hätte als neuer Präsident für Aufarbeitung der Geschehnisse in Bezug auf den NSU sorgen müssen. Und als er das nicht getan hat, hätte die breite Gruppe aus Politiker*innen, Journalist*innen und Personen des öffentlichen Lebens, die sich nun so laut empören, schon damals seine Entlassung fordern müssen. Der eigentliche Skandal um die V-Männer und die geschredderten Akten wurde schon während des NSU-Verfahrens und der Arbeit der Untersuchungsausschüsse deutlich. Schon da hätte es die Empörung gebraucht, die seit ein paar Tagen herrscht. Mit der Selbstenttarnung des NSU ist deutlich geworden, dass der Verfassungsschutz eben da, wo er wirklich gebraucht worden wäre, nämlich  wenn es um Menschenleben geht, nicht als das „Frühwarnsystem” funktioniert, als das er sich selbst begreift. Und deshalb kann die Entlassung/Beförderung Maaßens nur der Anfang sein.

Der Verfassungsschutz muss insgesamt in Frage gestellt werden

Die nächste Forderung muss lauten: Den Verfassungsschutz umstrukturieren, wenn nicht sogar abschaffen. Warum? Weil er nicht bei der Aufklärung hilft, sondern bei der Vertuschung. Weil er die rechte Szene, die in Chemnitz so selbstbewusst und gewaltbereit ihre hässliche Fratze gezeigt hat, durch Gelder an V-Männer mitfinanziert und mit aufgebaut hat und dies aller Wahrscheinlichkeit nach weiterhin tut. Problematische Verbindungen in die rechte Szene gibt es auf jeder Ebene in der Behörde.

Die Causa Maaßen zeigt einmal mehr, wie groß das Problem mit strukturellem Rassismus in Deutschland ist. Maaßens Versetzung ins Innenministerium muss kritisiert werden, aber eben nicht, weil sie so wahnsinnig überraschend kommt, sondern weil sie Ausdruck einer Struktur ist, in der die Unterstützung rechter Verschwörungstheorien zu einer Beförderung statt zu einer Entlassung führt. 

Der Verfassungsschutz hat die Verfassung niemals wirklich vor Nazis geschützt. Und genau deshalb reicht es nicht, die Person Maaßen zu kritisieren, es ist an der Zeit, den Verfassungsschutz insgesamt in Frage zu stellen. Maaßens Haltung, die in diesem „Bild“-Interview so exemplarisch Ausdruck fand, ist Normalität. Und das nicht erst, seit Maaßen die Behörde leitete.

Er selbst kam 2012 als Nachfolger Heinz Fromms, der aufgrund des Skandals um die vernichteten Akten in Bezug auf den NSU in den vorzeitigen Ruhestand ging. Maaßens Aufgabe wäre es gewesen, diese Vernichtung aufzuarbeiten und die Aufklärung der Taten des NSU, ihrer Mittäter*innen und Unterstützer*innen voranzutreiben, stattdessen hat der Verfassungsschutz auch unter seiner Führung weiter gegen diese Aufklärung gearbeitet und mit dafür gesorgt, dass für die Opfer und Angehörigen weiterhin so viele Fragen offen sind und die rechtsextreme Szene eher gestärkt als geschwächt aus dem Prozess herausging. Das Bittere: Maaßens Haltung ist Normalität beim Verfassungsschutz. Und wenn man dieser Normalität entgegentreten will, wird das mühsam, unbequem und langwierig. Aber das macht es nicht weniger wichtig.

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