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Egal ob sexualisierte Gewalt oder Nazis: Nennt die Dinge endlich beim Namen!

Was sagt das eigentlich über unsere Gesellschaft, wenn aus sexualisierter Gewalt ein „Sexskandal” gemacht wird und Nazis nur noch „Rechte” sind? Das fragt sich unsere Volontärin Helen heute in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.

„It´s a Mad Mens World”

Mein Serienverhalten ist oft so wie die Ehe für alle: ganz schön spät dran. Ich schaue gerade „Mad Men”, eine Serie, über die sich die meisten Menschen wohl das letzte Mal vor vier Jahren unterhalten haben. Das Setting ist eine Werbeagentur im New York der 1960er Jahre. Und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mit der Serie warmgeworden bin. Am Anfang ging es vor allem um weiße Männer, die den ganzen Tag rauchen, trinken und ihre Frauen betrügen. 

Im Laufe der Staffeln entwickeln sich aber vor allem zwei Frauenfiguren (Peggy und Joan <3) und der Serie gelingt es, die absurden Zustände der damaligen Welt authentisch nachzuzeichnen. Es geht um Alltagssexismus, um sexualisierte Gewalt, um Vergewaltigungen in der Ehe, um das Patriarchat, um Machtverhältnisse und was passiert, wenn diese auch nur im kleinsten Anstz bedroht werden. Immer wieder fasst man sich an den Kopf und denkt sich: „Wow, wie scheiße war die Welt für Frauen früher eigentlich?! Gut, dass diese Zeiten vorbei sind …” Und gerade wenn man es sich mit diesem Gedanken gemütlich gemacht hat, klopft Harvey Weinstein leise an, um daran zu erinnern, dass Sexismus, sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt immer noch Alltag sind. Dass ein mächtiger Mann auch heute noch damit durchkommt. Dass Frauen auch heute noch oft schweigen, weil sie Angst haben müssen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Und dass sexualisierte Gewalt immer noch als „Sexskandal” bezeichnet werden kann. 

Sex an sich ist aber kein Skandal – wenn er einvernehmlich stattfindet. Das Wort „Sexskandal” verharmlost die Taten Weinsteins. Es vergisst, dass all die Frauen, die er in den letzten 30 Jahren bedrängt, belästigt, vergewaltigt hat, Gewalt erfahren haben und diese Taten persönliche aber auch juristische Grenzen weit überschritten haben. Es vergisst, dass Weinstein selbst Täter ist. Es gibt dem ganzen fast einen Partycharakter. Ja, Sprache kann das. Sprache kann aus sexualisierter Gewalt eine Party machen, die leider etwas aus dem Ruder gelaufen ist. „Sprache ist niemals unschuldig”, wusste schon der französische Philosoph Ronald Barthes. Sprache schafft Realitäten. Und in diesem Fall relativiert sie die Erfahrungen von den Frauen, die verletzt wurden.

Rassismus ist nicht harmlos 

Das gleiche passiert in der deutschen Debatte mit Menschen, die Rassismus erfahren ahben. Auch Rassismus wird oft nicht als dieser benannt. Auch für Nazis finden wir immer wieder harmlosere Begriffe. Auch die Erfahrungen der Opfer rassistischer Gewalt werden relativiert. Auch hier fällt oft der Satz: „So war das doch bestimmt nicht gemeint.” Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, wenn wir verharmlosen, relativieren, wenn wir Täter sogar zu Opfern machen und deren vermeintliche Ängste ernster nehmen, als die der tatsächlich Betroffenen? Die Frankfurter Buchmesse hat es gerade wieder gezeigt.

Dort war dieses Jahr auch der Verlag Antaios um Götz Kubitschek vertreten, der Bücher und Schriften von Rechtsextremen verlegt. „Der Übergang ­­– Bericht aus einem verloren Land”, „Mit Linken leben”, „Die Hierarchie der Opfer”, „Finis Germania”, um nur einige Highlights zu nennen. Der Medienrummel um den Stand war groß, Antaios ist es gelungen, zumindest den Eindruck zu erwecken, dass auch der Besucheransturm groß gewesen sei. Immer wieder kam es zu Diskussionen mit anderen Messeständen und Besuchern. Die Protagonisten der sogenannten „Neuen Rechten” störten mit ihrer mittlerweile altbekannten Taktik immer wieder andere Diskussionsveranstaltungen. Sie wurden aber auch gewalttätig. Zum Beispiel gegen den Verleger des linken Musikverlags Trikont, der sich durch Rufe in eine Lesung des Antaios Verlags einmischte und dafür von einem Zuschauer niedergeschlagen wurde und bei Lesungen am Samstag, bei denen es einmal mehr zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll und Journalisten angeblich bedrängt wurden. Die letzte Lesung des Tages mit Martin Sellner, dem wohl bekanntesten Mitglied der Identitären Bewegung und dem Ex-Neonazi Mario Müller, wurde dann aber tatsächlich von Gegendemonstranten verhindert.

Der Leiter der Buchmesse Jürgen Boos brach die Veranstaltung ab. Und verurteilte im Nachhinein im Namen der Frankfurter Buchmesse gemeinsam mit Alexander Skipis, dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels: „jede Form der Gewalt. Sie verhindert den Austausch von politischen Positionen. Wir werden sie als Mittel der Auseinandersetzung nicht zulassen.” In der Stellungnahme wird von gezielten Provokationen, Sachbeschädigungen und tätlichen Übergriffen zwischen Linken und Rechten gesprochen. Die Gewalt an sich wird kritisiert, es findet keinerlei Gewichtung statt. Auch hier verharmlost die gewählte Sprache die Geschehnisse. Wer daran zweifelt, sollte sich zum Beispiel den Thread der Twitter-Nutzerin Miau durchlesen. Sie berichtet, wie es sich angefühlt hat, als Migrantin auf der Frankfurter Buchmesse Nazis gegenüber zu stehen, welche Angst sie hatte, wie bedroht sie sich gefühlt hat, wie verloren, weil sie plötzlich nicht mehr wusste, wer sie schützen würde. 

Die Erfahrung einer Migrantin auf der Buchmesse. Quelle Twitter | Miau.

Die Stellungnahme der Frankfurter Buchmesse geht auf solche Berichte nicht ein. Weiße, alte Männer entscheiden, dass ein Dialog möglich und wichtig ist. Die Ängste derer, die wirklich bedroht sind, spielen keine Rolle. Das ist eine Niederlage für unsere Gesellschaft. Für Martin Sellner und der den rechtsradikalen Buchverlag Antaois war die Buchmesse anscheinend ein Erfolg. Er schrieb auf Twitter: „Was für ein geiler Tag heute!“

Martin Sellner am 14. Oktober auf Twitter. Quelle: Twitter | Martin Sellner 

Rassismus und sexuelle Belästigung bzw. sexualisierte Gewalt haben eins gemeinsam: Die Täter haben bislang kaum etwas zu befürchten. Damit sich das ändert, müssen wir vor allem eins: zuhören. Die Frauen, die von Harvey Weinstein belästigt und vergewaltigt wurden, Besuchern, die sich auf der Buchmesse von Nazis bedroht gefühlt haben, Menschen jüdischen Glaubens, die auf ihren täglichen Bahnfahrten antisemitische Angriffe erleben. Und das auch dann immer noch,  wenn die Aufmerksamkeit um #metoo und die Frankfurter Buchmesse abgenommen haben wird. Sexuelle Belästigung und Rassismus finden jeden Tag statt. Und deshalb müssen sie auch jeden Tag benannt werden. Diese Verantwortung können wir nicht den Menschen übertragen, die darunter leiden. Diese Verantwortung liegt bei uns allen. 

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  1. Ich habe einen Migrationshintergrund, bin allein deshalb schon sehr multikulturell ausgerichtet, arbeite beruflich im Integrationsbereich und habe mich Zeit meines Erwachsenenlebens für geschlechtliche Gleichberechtigung eingesetzt. Aufgrund der aktuellen Lage engagiere ich mich z.Z. besonders antifaschistisch, auch wenn ich das im Grunde schon ein Leben lang mache.

    Ich habe mein Wertesystem Ende der 60er Jahre entwickelt, weshalb ich von manchen Leuten auch als „Alt 68er“ bezeichnet werde, und seit dem ständig hinterfragt und korrigiert. Und da bin ich schon beim Punkt: Jetzt bin ich alt. Dazu bin ich schon immer männlich und wegen meiner deutschen Mutter auch ziemlich weiß.

    Wenn in Kolumnen oder Kommentaren mit Inhalten, die ich ohne zu zögern unterschreiben würde, die voll und ganz meine eigene Meinung widerspiegeln, von „weißen alten Männern“ die Rede ist, und dieser Begriff dann selbstverständlich negativ konnotiert ist, fühle ich mich diskriminiert, mehr noch, ich fühle meine Menschenwürde angegriffen und die Anstrengungen einer ganzen Generation um eine bessere Welt mit den Füßen getreten.

    Nicht, dass mir das Gefühl grundsätzlich neu wäre. Jemand mit meiner Historie kommt da eh nicht drum herum. Aber in diesem Kontext tut es besonders weh.

    Liebe Kolumnistin, vielleicht magst du auch einmal darüber nachdenken, dass jemand der weiß ist, ebenso wenig etwas für seine Hautfarbe kann, wie jemand der braun, schwarz oder sonst etwas ist. Vielleicht auch darüber, dass bei allem was Frauen in den letzten paar tausend Jahren zugefügt worden ist, kein Mann etwas dafür kann, dass er als solcher geboren wurde und auch nicht durch Geburt mitschuldig ist. Und vielleicht auch daran, dass du auch irgendwann mal alt sein wirst, ebenso, wie ich, der Dalai Lama, Joschka Fischer, Peter Singer, Julian Nida-Rümelin, Mick Jagger und all die anderen, ohne das du darüber deine ursprünglichen Werte verloren hast.

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