Foto: flickr I Amir Farshad Ebrahimi I CC BY-SA 2.0

Was wir von den mutigen iranischen Frauen lernen können, die gegen den Kopftuchzwang protestieren

Am 27. Dezember 2017 stieg Vida Movahed auf einen Stromkasten in Teheran, legte ihr Kopftuch ab, band es an einen langen Stock – und löste damit eine neue Protestwelle gegen den Kopftuch-Zwang in ihrem Land aus, die unter dem Motto „My Stealthy Freedom” bekannt ist.

Iranische Frauen protestieren gegen den Kopftuch-Zwang 

Seit Mai 2017 tragen einige Frauen im Iran jeden Mittwoch Weiß. Damit protestieren sie gegen den gesetzlichen Kopftuchzwang, der in der Republik seit 1979 herrscht. #WhiteWednesdays wurde von der in den USA lebenden iranischen Journalistin Masih Alinejad ins Leben gerufen. Alinejad gründete bereits 2014 die Online-Bewegung „My Stealthy Freedom”, „Meine heimliche Freiheit”, deren Facebook-Seite mittlerweile mehr als eine Millionen Likes hat. „My Stealthy Freedom” ist eine Plattform für iranische Frauen, auf der sie Fotos und Videos von sich ohne Kopftuch teilen. Seit dem vergangenen Jahr gibt es zusätzlich jeden Mittwoch den #WhiteWednesday.

Ein „White Wednesday” war auch der 27. Dezember 2017, der Tag, an dem die 31-jährige Vida Movahed in der Enghelab Street, der „Revolutions-Straße”, die seit der Islamischen Revolution 1979 so heißt, in Teheran auf einen Stromkasten stieg, ihr Kopftuch abnahm, dieses an einen langen Stock band und wie eine Flagge hin und her schwang – und damit gegen das Gesetz verstieß. Eine Stunde stand sie so auf dem Stromkasten, bevor die junge Mutter festgenommen wurde, ihre Tat löste dennoch eine Bewegung aus. Seitdem haben es ihr viele iranische Frauen überall im Land nachgetan. Diese Frauen riskieren jeden Tag, verhaftet zu werden, nur, weil sie sich weigern, sich vorschreiben zu lassen, was sie zu tragen haben.

29 Festnahmen seit dem 27. Dezember wurden bisher offiziell bestätigt. Vida Movahed ist mittlerweile wieder frei. Narges Hosseini hingegen, die zwei Tage später in der gleichen Straße ihr Kopftuch abnahm und an einen Stock band, werden die „Ausführung einer sündhaften Tat”, die „Verletzung der öffentlichen Scham” und die „Aufforderung zur Unsittlichkeit oder Prostitution” vorgeworfen. Auf diese Vorwürfe stehen insgesamt bis zu zehn Jahre Haft. Trotzdem weigert sie sich laut der iranischen Menschenrechts-Anwältin Nasrin Sotoudeh, die auch Hosseini vertritt, Reue zu zeigen. Der „New Yorker“ zitiert diese: „Sie widerspricht dem Kopftuch-Zwang und sieht es als ihr Recht an, dagegen zu protestieren.”

Der Iran seit 1979

Was ist der Iran für ein Land? Der amtierende Präsident Rouhani gilt in der Außenperspektive oft als moderat. Aber obwohl er zum Beispiel gerade eine Umfrage der Regierung aus dem Jahr 2014 veröffentlicht hat, in der fast die Hälfte der Iraner keinen gesetzlichen Kopftuch-Zwang mehr wollen, steht er an der Spitze eines islamistischen Regimes, das immer wieder Regimekritiker verhaftet, foltert und sogar ermordet. Gerade ist der bekannte iranisch-kanadische Umweltaktivist Kavous Seyed Emami in der Haft umgekommen. Laut den iranischen Behörden war es Suizid, doch seine Familie und Menschenrechtsaktivistinnen fordern eine unabhängige Autopsie, die ihnen die Regierung nicht gewähren will. Emami ist allein 2018 der dritte politische Gefangene, der unter mysteriösen Umständen im Gefängnis gestorben ist. Der Iran steht immer noch unter Wirtschaftssanktionen, die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 13, inoffiziell bei bis zu 35 Prozent –unter Jugendlichen sogar bis zu 50 Prozent. Auch unter Rouhani werden Oppositionelle verhaftet. Die Vernichtung Israels ist weiterhin erklärtes Staatsziel

Seit der Islamischen Revolution 1979 wurden die Rechte der Frauen stark eingeschränkt. Frauen gelten als weniger wert, das Rechtssystem steckt voller diskriminierender Gesetze, Ehemänner können zum Beispiel entscheiden, ob ihre Ehefrau außerhalb des Hauses arbeiten darf. Der Protest gegen den Kopftuch-Zwang ist auch ein Protest gegen die allgemeine Rechtslage für iranische Frauen. 

Eine neue Generation des feministischen Protests 

Schaut man sich die vielen Videos und Bilder mutiger iranischer Frauen an, die für ihr Recht auf Selbstbestimmung eine Haftstrafe, vielleicht sogar Folter und ihr Leben riskieren, kommt tatsächlich die Hoffnung auf, dass diese Frauen gerade die Geschichte ihres Landes verändern – auch wenn es seit 1979 immer wieder Proteste gegen den eingeführten Kopftuch-Zwang gegeben hat. Direkt nach der Implementierung des Gesetzes gingen über 100.000 Iranerinnen und Iraner in Teheran auf die Straße, um gegen das Gesetz zu protestieren. Immer wieder sind Frauen in den vergangenen 40 Jahren verhaftet worden. Immer wieder gab es feministische Proteste. Und dennoch bleibt die Hoffnung, dass sich dieses Mal wirklich etwas verändern könnte.

Bei EDITION F hatten wir bislang noch nicht über die neue Protestwelle in Iran berichtet. Das wurde uns in der vergangenen Woche in einem Zeit-Artikel vorgehalten: In seinem Text insinuiert der Zeit-Redakteur Jochen Bittner, es müsse doch Gründe dafür geben, dass ausgerechnet die Twitter-Kanäle von Feministinnen wie unserer Chefredakteurin Teresa Bücker oder der Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski zum Thema Iran „auffällig schweigen“ würden. Für uns mutet das absurd an: Sich gezielt zwei Feministinnen auszusuchen und sie mit nebulösen Unterstellungen dafür anzugreifen, dass sie sich zu einem Thema (noch) nicht auf Twitter geäußert haben – eine Möglichkeit von vielen, über Themen und miteinander zu sprechen.

Feministische Unterstützung für die Frauen im Iran 

Die Frage, warum wir noch nichts dazu gemacht haben, ist aber dennoch berechtigt. Zur Beruhigung des Zeit-Autors: Wir können ausschließen, dass eine heimliche Agenda dahintersteckt; jeden Tag gibt es viele Themen, wichtige Themen, über die EDITION F nicht berichten kann, weil wir kein klassisches Nachrichtenmedium mit großer Redaktion sind, so dass viele Themen, die unsere Leserinnen und Leser und wir selbst relevant finden, hier leider nicht oder erst später aufgreifen. 

Grundsätzlich haben wir im Journalismus beobachtet: Je diverser Redaktionen werden, desto diverser und damit besser werden auch die journalistischen Erzeugnisse. Aber, und das bringt uns zu dem, was diesen verdammt großartigen Feminismus ausmacht, wir sind ja nicht alleine. Und Teresa und Margarete zum Glück nicht die einzigen (twitternden) Feministinnen. Es gab sie, die deutschen feministischen Stimmen zu den Protesten, die Solidaritätsbekundungen, die Tweets und Retweets. Feministinnen sind keine Einzelkämpferinnen – zum Glück, sonst hätten Frauen überall in der Welt in den letzten Jahrzehnten nicht immer wieder ihre Anliegen erfolgreich durchsetzen können.

Und vor allem gibt es die Stimmen der iranischen Feministinnen, die in der Diaspora leben. Auch das ist etwas, das wir von diesem Protest lernen können: die Art, wie Aktivistinnen wie Masih Alinejad, die dem Protest eine Plattform, ein Sprachrohr bieten, ohne ihn für sich zu vereinnahmen – und ohne die Forderung mit einer Kritik an den Frauen zu verbinden, die sich freiwillig entscheiden, ein Kopftuch zu tragen. Die Protestierenden, im Iran und außerhalb, fordern im Tausch für die Aufhebung des Kopftuch-Zwangs kein Kopftuch-Verbot. Und genauso gibt es viele iranische Frauen und Frauen überall auf der Welt, die ein Kopftuch tragen und die Proteste trotzdem unterstützen. Denn was gefordert wird, ist nicht mehr als die Wahlfreiheit für Frauen. So simpel, so essentiell. Die Frauen im Iran müssen endlich Gehör finden.

Man muss sich selbst nicht einmal als Feministin oder Feminist bezeichnen, um diesen Protest und die Stimmen der iranischen Frauen zu teilen und zu unterstützen. Dennoch ist es das, was Feminismus ausmacht: Solidarität und Unterstützung für die Kämpfe der anderen. 

Eines der neuesten Bilder des Protestes unter „My Stealthy Freedom”. Quelle: Twitter | Masih Alinejad

Titelbild: flickr/Amir Farshad Ebrahimi

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