Foto: Alice Donovan Rouse | unsplash

„Als Aktivistin muss man kein wissenschaftlich-feministisches Studium absolviert haben“

Das neue Bündnis „Feministisches Netzwerk“ will Aktionen zum 8. März sichtbar machen und neue Mitstreiter*innen gewinnen. Wir haben mit Mareice Kaiser, eine der Initiatorinnen, gesprochen.

Feminismus stärker vernetzen

Gestern hat ein neues feministisches Bündnis die Plattform „Feministisches Netzwerk“ gelauncht, über die Aktionen sichtbar gemacht und Gruppen miteinander vernetzt sowie mehr Menschen mobilisiert werden sollen, sich an Protesten zu beteiligen. Das Netzwerk hat sich im Vorfeld des 8. März, der Internationale Frauentag, zusammengefunden, um unter anderem den Generalstreik in den USA, der eine weitere Aktion des Women’s March ist, sowie die Streiks in Polen und Argentinien solidarisch zu unterstützen.

„Zusammen stellen wir uns dem menschenfeindlichen Rechtsruck in Deutschland und Europa entgegen. Wir treten für eine feministische Vision unserer Gesellschaft und Welt ein!“

Dass feministische Bewegungen länderübergreifend zusammenarbeiten, ist beim „Women’s March on Washington“, an den sich dutzende Schwestermärsche überall in der Welt anschlossen, sehr deutlich geworden. Doch auch in Deutschland ist der reaktionäre Backlash sichtbar und zieht mit Vertretern der AfD wieder vermehrt in die Parlamente ein. Die Partei vertritt ein besonders rückwärtsgewandtes Weltbild, das zahlreiche Menschengruppen herabsetzt und in ihren Rechten beschneiden möchte. Wie die feministische Vision einer Gesellschaft aussehen kann, hat das Feministische Netzwerk in Leitgedanken festgehalten. Jeder, der diesen Leitgedanken zustimmt, kann selbst Teil des Netzwerkes werden.

„Wir wollen Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit für alle, statt für wenige!“

Wir haben mit einer der Initiatorinnen, Mareice Kaiser, über Ziele und Aktionen des Bündnissen gesprochen.

In den USA ruft das Bündnis des Women’s March am 8. März zu einem Generalstreik unter dem Motto “A Day Without a Woman” auf. Warum ruft das Feministische Netzwerk nicht auch zu einem Streik auf?

„Wir begleiten den 8. März und den Generalstreik, bei dem hoffentlich viele mitmachen, mit einer Blog-Aktion. Unter dem Motto ,Ein Tag ohne Frauen, ein Tag ohne mich‘ rufen wir zu einer Blogparade auf, an der sich möglichst viele Stimmen beteiligen mögen. Dabei geht es um ganz individuelle Geschichten, um das Private, das politisch ist. Ich freue mich schon auf viele Blogartikel. Als Netzwerk haben wir den Wunsch, irgendwann auch selbst Aktionen und Veranstaltungen zu starten – nun sind wir aber erstmal damit beschäftigt, zu bündeln und sichtbar zu machen, was schon da ist.“

In Deutschland wird gern suggeriert, Gleichberechtigung sei im Prinzip schon erreicht. Auf welche Themen will das Netzwerk aufmerksam machen?

„Ob Gleichberechtigung schon erreicht ist, ist natürlich immer die Frage der Perspektive. Ich persönlich kann diesen Satz schlecht so stehen lassen (lacht). Die UN-Behindertenrechtskonvention zum Beispiel ist seit 2008 in Kraft, Inklusion ist ein Menschenrecht – und aktuell gibt es wieder große Debatten darum, ob Kinder mit und ohne Behinderung zusammen beschult werden sollen. Ein Menschenrecht wird in Frage gestellt, statt dafür zu kämpfen, es umzusetzen. Themen wie Inklusion, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind einfach – leider! – keine Selbstläufer. Wir müssen alle nachhaltig daran arbeiten, wenn wir in einer solidarischen Gesellschaft leben möchten. Als Netzwerk stehen wir für Menschenrechte und Demokratie, für Freiheit und Selbstbestimmung für alle, nicht für wenige.“

Lässt sich so etwas wie ein großes Ziel für das Netzwerk überhaupt definieren? Aus welchen Beweggründen können sich Interessierte dem Netzwerk anschließen?

„Ich würde das Ziel als Bandenbildung beschreiben. Bei der aktuellen weltpolitischen Lage wollen sich ja viele Menschen irgendwie aktiv für ihre Werte einsetzen und wissen dann nicht, wie und wo. Mit dem Feministischen Netzwerk möchten wir diese Leerstelle füllen. Wir möchten sichtbar machen, was wo passiert – und damit Mitstreiter*innen gewinnen. Und das deutschlandweit und global vernetzt.“

Viele Menschen bezeichnen sich erst einmal nicht als Feminist*n, obwohl sie vielleicht Anliegen des Netzwerkes teilen. Warum sollten sie mitmachen?

„Ich wurde auch nicht als Feministin geboren und finde Schubladendenken eh nicht gut. Wichtiger als diese Selbstbeschreibung finde ich eine Haltung, ein – im besten Fall gemeinsames – Ziel. Menschen, die gesellschaftliche Schieflagen erkennen und dagegen die Stimme erheben, müssen dafür ja kein wissenschaftlich-feministisches Studium absolviert haben. Erst recht nicht, um sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Und deshalb wünsche ich mir, dass viele Menschen diese Hürde der Begrifflichkeit überwinden und sehen, wie wichtig es gerade jetzt ist, sichtbar zu sein und die Bühne nicht den Rechtspopulisten zu überlassen. Mir persönlich ist vor allem wichtig, nicht nur gegen etwas, sondern vor allem für etwas zu sein. Wie wollen wir leben? Es gilt, gemeinsame Ziele anzuvisieren, Visionen zu erdenken, Haltungen zu entwickeln und gemeinsam danach zu handeln.“

Was wirst du selbst am 8. März machen?

„So wenig wie möglich. Die Idee des Generalstreiks nach dem isländischen Vorbild von 1975 finde ich super. Ich halte mir den Tag frei von beruflichen und familiären Terminen und werde bei der Frauen*kampftag Demo in Berlin dabei sein. Und ich werde küssen – Liebe ist doch noch immer eine der besten Antworten auf alles.“

Mareice Kaiser, Jahrgang 1981, lebt in Berlin und arbeitet als Journalistin vorwiegend zu den Themen Inklusion, Chancengerechtigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Kaiserinnenreich bloggt sie seit 2014, ihr erstes Buch „Alles inklusive: Aus dem Leben mit meiner behinderten Tochter“erschien 2016 im S. Fischer Verlag. Mareice Kaiser ist eine der Mitgründerinnen des Feministischen Netzwerks.

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Mareice Kaiser setzt sich als Aktivistin vor allem für Inklusionsthemen ein. (Foto: Carolin Weinkopf)

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