Foto: Ryan Holloway – unsplash

Ist das Männerwahlrecht eigentlich eine gute Idee?

In Österreich, in den USA, in Deutschland: Frauen wählen sehr viel seltener Rechtspopulisten. Was würde also geschehen, wenn Männer nicht zur Wahl gehen dürften?

 

Ja, Männer und Frauen wählen anders

„Frauen haben die Wahl in Österreich entschieden“, so ist die Analyse des Wahlverhaltens der Österreicherinnen und Österreicher bei der Präsidentschaftswahl heute bei Zeit Online übertitelt. Hätten in den USA im November nur Frauen gewählt, würde nun Hillary Clinton im Januar 2017 als erste Präsidentin der USA vereidigt und nicht Donald Trump. Und obwohl die AfD in Deutschland darauf setzt, Frauen nach vorn zu stellen, ist der typische AfD-Wähler männlich – Frauen erreicht die rechtspopulistische Partei bislang kaum. Einer Emnid-Umfrage aus dem Januar zufolge konnten sich nur zwei Prozent der wahlberechtigten Frauen vorstellen, die AfD zu wählen. Trotzdem kann man aktuell davon ausgehen, dass die AfD im kommenden Jahr das erste Mal in den Deutschen Bundestag einziehen wird, da ist es egal, dass die überwiegende Mehrheit der Wählerinnen kein Kreuzchen für sie übrig haben wird; sie mobilisiert genügend Männer. Der Rechtsruck trägt also eine deutlich männliche Handschrift und in Anbetracht dessen drängen sich die Fragen auf: „War das mit dem Männerwahlrecht eigentlich eine so gute Idee?“, „Wäre die Welt nicht eine bessere, wenn Männer nicht wählen dürften, und stattdessen zum Beispiel … hm … sich einfach auf ihre langweiligen Meetings oder das Bügeln von Hemden konzentrieren würden?“

Hat das Wahlrecht für Frauen so viel verändert?

Doch die Sache ist komplexer. Heute morgen hielt der SPD-Politiker Martin Schulz auf einem Symposium zum Gedenken an den verstorbenen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher eine Rede, von der er zitiert wurde: „Worüber wir nie nachdenken: Das Wahlrecht für Frauen veränderte die Gesellschaft völlig.“ Gut, die Sicht von Martin Schulz auf „diese Sache“ ist weniger komplex. Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, dass die Öffnung des Wahlrechtes auch für Frauen die Gesellschaft grundlegend verändert hat. Jedenfalls stelle ich mir unter „grundlegend“ ein wenig mehr vor als Geld zu verdienen und weniger Kinder zu bekommen, als noch vor 50 Jahren. Das als eine grundlegend andere Welt zu verstehen, sehe ich eher als einen Mangel an Vorstellungskraft, aber da Männer mit „ihrer“ Welt im Allgemeinen ein wenig mehr zufrieden sind als viele Frauen, weil sie dort eben schon lange die Spielregeln machen, wundert es mich auch wenig, dass sie selten von einer wirklich anderen Welt träumen.

Genauso wenig würde es also die Welt grundlegend verändern, wenn Männer nicht mehr wählen würden. Denn käme die AfD im Herbst 2017 nun nicht in den Bundestag, ja, was würde das eigentlich großartig verändern? Dass die AfD bestimme Menschen an die Wahlurne bringt ist das eine – welche Menschen aber gar nicht erst wählen gehen, weil sie denken, dass es für sie eh nichts bewirkt, das andere. Wir – die Frauen, und all die verschiedenen Frauen, die so oft unter diesem Label zusammengefasst werden – müssten schon das ganze System einmal auf den Kopf stellen und neu erfinden – nicht nur das politische, sondern die Ideen von Gesellschaft in Diskussion miteinander verfeinern und etablieren, die Frauen für lebenswert halten.

Gleichstellung und Feminismus, so wie sie im Mainstream aktuell diskutiert werden – also in der anschlussfähigen Minimalsversion – sind nämlich nahezu effektlos für die Freiheit von Frauen, wenn die Gleichstellung sich an den Normen von Männern orientiert und es als Erfolg definiert wird, wenn Frauen in Systemen mitspielen dürfen, die Männer sich ausgedacht haben – sei es nun die Parteipolitik oder die Corporate-Welt mit Vorständen und Boni.

Es ist auch weniger Ausdruck von zu wenig guter Gleichstellungsarbeit in Politik und Wirtschaft, dass Frauen dort seltener mitmachen möchten, sondern vielmehr Ausdruck des freien Willens von Frauen, dass sie keine Lust haben, nach diesen Regeln zu spielen. DAX-30-Vorstand zu werden ist nun einmal nicht das Schönste, Verrückteste und Erstrebenswerteste, dass die überwiegende Mehrheit der Frauen sich vorstellen kann. Es juckt sie nicht. Von daher ist mit Lean-in-Feminismus für das eine Prozent der Frauen, die das irgendwie sexy findet, auch kein Wahlkampf zu machen und die Durchschnittsfrau davon zu überzeugen, sich für die Interessen anderer Frauen zu engagieren. 

Sind Männer der Maßstab?

„Noch immer gilt: frei sein und politisch relevant können nur Menschen, die den Männern gleich sind. Auch wenn sie heute manchmal einen Rock tragen“, das sagte die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp in einem Vortrag 2009 zum Thema „90 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“ und lieferte damit einen Hinweis darauf, warum u.a. so wenig Einfluss auf grundlegend andere Geschlechterpolitik gehabt hat, dass der Anteil von Frauen in der repräsentativen Politik gestiegen ist und Deutschland seit mehr als zehn Jahren eine Bundeskanzlerin hat. 

Wir kommen nicht ins feministische Paradies, wenn 50 Prozent Frauen in Vorständen sind, 50 Prozent Männer bei Aldi an der Kasse arbeiten und wirklich jeder Papa mehrere Monate Elternzeit nimmt und jeden zweiten Tag selbst den Müll herunterbringt.

Sicherlich gibt es immer noch Benachteiligungen, aber ich glaube nicht, dass sie der wesentliche Kern dessen sind, was heute weibliche Freiheit behindert. Sondern das wesentliche Problem ist das Fehlen weiblicher Autorität, oder anders gesagt, Tatsache, dass die Integration von Frauen in eine ehedem männliches System nichts an der grundsätzlichen Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche geändert hat: All die Fördergesetze, die Ermutigungskurse für erziehungswillige Väter oder die Wie-werde-ich-Topmanagerin-Ratgeber für Frauen sind nur Flickwerk, solange wir uns nicht noch einmal der grundsätzlichen Frage zuwenden, die nicht nur Simone de Beauvoir, sondern auch die ganzen Feministinnen, die für das Wahlrecht gekämpft hatten, beschäftigt hat: 

Was ist Freiheit? Wie wollen wir leben? Wie gestalten wir unsere Beziehungen? Was ist der Sinn unseres Lebens? Wie wollen wir arbeiten und in der Welt tätig sein? Welche Bedeutung geben wir der Geschlechterdifferenz?“

Wer mit dieser Überlegung von Schrupp etwas anfangen kann und eine Idee davon entwickeln möchte, was (weibliche) Freiheit eigentlich für sie selbst bedeutet, muss auch zu dem Schluss kommen, dass es wenig wert ist, dass die Stimmen von Frauen den Rechtsruck abschwächen können oder sie gerade in Österreich einen rechtspopulistischen Präsidenten verhindert haben. Wichtig dabei ist der historische Verweis von Schrupp, dass zum Beispiel die allererste Frau, die sich 1872 als Präsidentin der USA bewarb, Victoria Woodhull, das Wahlrecht für Frauen nicht als notwendig sah, um sich engagieren und äußern zu dürfen, sondern die Sache andersherum sah: „Wenn Frauen erst einmal selbstbewusst sind und sich als politisch verantwortliche Wesen verstehen, wenn sie sich aktiv einmischen, dann wird das Wahlrecht automatisch irgendwann kommen.“

Gerade diese Haltung sollte Frauen dazu ermutigen, sich mit den Frauen zusammenzuschließen, die auch jetzt kein Wahlrecht haben: Vielleicht, weil sie zu jung sind oder gern in Deutschland eine neue Heimat finden würden und einen ausländischen Pass besitzen. Die Veränderung, die Frauen sich wünschen, muss nicht durch Wahlen allein herbeigeführt werden – und der Stimmanteil der Geschlechter wird absehbar nicht das sein, was die Gesellschaft grundlegend verändert.



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