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Czarny Protest – Warum Polinnen in diesem Jahr wieder für ihre Rechte auf die Straße gehen

2016 gingen in Polen über 100.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Verschärfung der Abtreibungsregelungen zu protestieren. Ein Jahr später zieht es sie wieder auf die Straße.

 

Frauen treiben ab, auch wenn es verboten ist

Zum Feiern ist den Polinnen nicht zu Mute, obwohl sich der Schwarze Protest gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts zum ersten Mal jährt: Wieder sammeln Abtreibungsgegner Unterschriften für einen Gesetzesentwurf, der das restriktive Abtreibungsgesetz weiter einschränkt, noch immer müssen ungewollt schwangere Frauen heimlich Tabletten schlucken, die neben Schwangerschaftsabbrüchen auch zu großen Schmerzen führen und statt Sexualkundeunterricht steht „Erziehung zum Leben in der Familie“ auf dem Stundenplan.

Wenn Katarzyna Łabędz über den polnischen Schwarzen Protest vor einem Jahr spricht, dann schwankt ihre Stimme. „Ich habe immer noch eine Gänsehaut“, sagt die Mitarbeiterin von Federacja, einer Warschauer Organisation für Frauen- und Reproduktionsrechte. Zwei Stunden lang erzählt Łabędz von ihre Arbeit beim Sorgentelefon der Federacja: Es sind Geschichten von Frauen, die aus ihrem Alltag gerissen werden und weitreichende, schwere Entscheidungen treffen müssen – einsam, und im Geheimen. Trotz Fassungslosigkeit, Mitleid und der Wut über die Rückschläge im Kampf um die Rechte der Frau bleibt Łabędz sachlich. Emotionen kommen nur, als sie sich an die Demonstration gegen das geplante ganzheitliche Abtreibungsverbot, den sogenannten Czarny Protest, erinnert: „Es hat den ganzen Tag durchgeregnet, ich war durchnässt bis auf meine Unterwäsche, stand da mitten zwischen den Demonstrierenden und habe geweint, weil es so schön war.“ Fast 100.000 schwarz gekleidete Frauen und Männer gingen am 3. Oktober 2016 in verschiedenen polnischen Städten auf die Straße. 

Wirklich geholfen hat der Protest nicht: Der Gesetzentwurf wurde zwar gekippt, dennoch sind Abtreibungen nur in wenigen Fällen erlaubt, und der Zugang dafür noch seltener garantiert. Deshalb müssen die Frauen weiterhin heimlich Tabletten schlucken oder ins Ausland fahren, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden.

Am Sorgentelefon: Zuhören, aber nicht helfen

Offiziell sind Abtreibungen nur legal, wenn der Embryo schwere Behinderungen aufweist, die Gesundheit der Mutter gefährdet ist, oder die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist. Aber selbst dann suchen die Betroffenen oft vergeblich nach Ärztinnen und Ärzten, die den Eingriff vornehmen würden. Die Ärzte dürfen den Schwangerschaftsabbruch unter Berufung auf die Gewissensklausel verweigern und vermitteln die Schwangeren nicht an andere Stellen weiter. So müssen sich die Betroffenen allein zurecht finden, selbst wenn ihnen eine Abtreibung zustünde. 

In solchen Fällen rufen manche Frauen oder ihre Männer bei Katarzyna Łabędz und ihre Kolleginnen beim Sorgentelefon der ‚Federacja’ an: „Die sind am Boden zerstört und sagen, dass sie nicht weiter wissen, weil der Arzt, die Instanz von der sie Hilfe erwarten, sie nur weggeschickt hat“, sagt Łabędz. Die Aktivistinnen beraten die Betroffenen über die Vorgehensweise, oder vermitteln sie direkt an Ärzte, die Abtreibungen durchführen.

Wenn aber Schwangere anrufen, die sich aus anderen Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, darf die Organisation nur bedingt helfen: Zuhören geht – und ist wichtig, weil Abtreibungen gesellschaftlich so stigmatisiert sind, dass darüber nicht gesprochen wird. Je nach Bedarf bietet das Sorgentelefon rechtliche, gynäkologische und psychologische Hilfe an. Fragt die Anruferin aber danach, wie sie die ungewollte Schwangerschaft beenden kann, müssen die Mitarbeiterinnen abblocken: Von den drei Ausnahmen abgesehen sind Abtreibungen in Polen illegal. Sie würden sich strafbar machen, wenn sie Auskünfte geben würden, und achten daher genau darauf, keine Informationen weiterzugeben. „Das tut sehr weh“, sagt Katarzyna Łabędz, „weil wir so gerne helfen würden, aber es nicht dürfen. Das polnische Recht verweigert es uns, diesen Frauen zu helfen“, berichtet sie. Auch sie müssen die Frauen mit ihrem Schicksal allein lassen. So bleibt ihnen nur, aufs Internet zu verweisen.

Abtreibung für 70€ und Schüttelfrost

Wer im Internet sucht, findet aber Mittel und Wege, Abtreibungen zu organisieren. Für 400 bis 500 Euro können Polinnen in deutschen, tschechischen oder slowakischen Krankenhäusern eine Abtreibung vornehmen lassen. Wer sich die verhältnismäßig hohen Kosten nicht leisten kann, bestellt übers Internet Tabletten, die daheim geschluckt werden können, aber schmerzhafte Auswirkungen haben. Die Frauen, die sich dafür entschieden, berichten von starken Schmerzen, von Schüttelfrost oder hohen Temperaturschüben, von Übelkeit, Schwindel und Erbrechen. „Nach 30 Minuten habe ich mich auf dem Bett gekrümmt vor Schmerzen, die mit jeder Minute zugenommen haben. Ich wollte Schmerzmittel nehmen, die habe ich aber alle sofort wieder ausgekotzt“, schreibt eine Frau im polnischsprachigen Forum ‚Ich habe abgetrieben’. „Ich hatte furchtbaren Schüttelfrost, habe die Kontrolle über meinen Körper komplett verloren“, berichtet eine andere unter dem Pseudonym „Nat“ und weißt darauf hin, an dem Tag der Abtreibung nur Wasser zu trinken und Obst zu essen: „Da kotzt es sich leichter.“

Ihre Erlebnisse veröffentlichen die Frauen im Internet, weil auch sie zuvor von den Berichten anderer profitiert haben und sich oft nur so mit anderen Menschen austauschen können. Denn die Betroffenen halten die ungewollte Schwangerschaft oft vor der Familie, sogar vor der besten Freundin geheim und trauen sich in den meisten Fällen nicht einmal zu Psychologen. Wenn es dann auch keinen unterstützenden Partner gibt, hüllen sich die Frauen in Schweigen und müssen die Entscheidung alleine mit sich ausmachen, beobachtet Łabędz: „Die Frauen, die bei uns anrufen sind total allein, sie stehen unter Schock, sind desorientiert, aber vor allem sind sie einsam, weil das Wort ‚Abtreibung’ so ein großes Tabu ist.“ Neben dem Sorgentelefon sind Internetforen die einzigen Anlaufstellen.

„Aber im Internet sind auch viele Betrüger unterwegs und Menschen, die aus dem Leid der Frauen ihren Profit schlagen wollen“, beklagt die Aktivistin. Oft seien die verkauften Tabletten nicht geprüft oder würden nicht zu den gewünschten Zielen führen. Den illegalen Markt kontrolliert niemand, daher fehlen Beweise, aber es gibt Frauen, die sich beklagen, dass im Internet gekaufte Medikamente nicht gewirkt haben. Und es grassieren Gerüchte über Abtreibungsgegner, die harmlose Lutschpastillen als Abtreibungsmittel verkaufen.

Sicher sind Bestellung auf der Seite der internationalen NGO „Women on Web“, die sich für weltweite Abtreibungsrechte einsetzt, auch wenn sie ihren Preis haben: 70 Euro sind für ein Päckchen Tabletten zu zahlen. Ein Päckchen enthält zwölf Tabletten, von denen die Frau alle drei Stunden vier unter die Zunge legen soll, bis sie sich auflösen. Sie enthalten den Wirkstoff, der auch in Deutschland zur medikamentösen Abtreibung verwendet wird. „Man soll die Tabletten auf keinen Fall alleine einnehmen“ warnt die Webseite – zu hoch das Risiko eventueller Komplikationen. Dennoch sind relativ sichere Abtreibungen für Frauen in Polen und anderen Ländern dank „Women on Web“ möglich geworden.

Manchmal bleiben die ausländischen Pakete im Zollamt hängen, und so bangen die ungewollt Schwangeren jeden Tag, bis die Tabletten endlich in ihrem Briefkasten landen. Im ersten Reflex griff nicht nur die Elftklässlerin „Normalo“ zu banaleren Methoden, wie sie im Forum schreibt: „In der Woche in der ich auf die Tabletten gewartet habe, habe ich abwechselnd Alkohol getrunken und Zigaretten geraucht, weil ich dachte, dass es dann vielleicht einfach von alleine weggeht. Ich habe mich richtig volllaufen lassen. Und das obwohl ich sonst nicht geraucht und maximal zwei Bier getrunken habe.“

Aufklärungsunterricht: mangelhaft

1040 Frauen haben in Polen 2015 laut offiziellen Zahlen abgetrieben. Federacja geht von jährlich 100.000 bis 150.000 Schwangerschaftsabbrüchen aus, und das größte Meinungsforschungsinstitut Polens CBOS gibt an, dass 25 – 35 Prozent aller Polinnen in ihrem Leben abgetrieben haben. Die Zahl müsste nicht so hoch sein, findet die Aktivistin: „Ich bin mir sicher, dass die Situation der Abtreibungen und der Verhütung ganz anders aussehen könnte, aber das Problem beginnt schon bei der Aufklärung“, sagt sie. Im Juni wurde die „Pille danach“ wieder rezeptpflichtig. Seit Jahren steht statt Aufklärungsunterricht das Fach „Erziehung zum Leben in der Familie“ auf dem Stundenplan. Die Federacja hat den Lehrplan analysiert und herausgefunden: Nur zwei Mal wird dort das Wort ‚Sex’ verwendet, und das „in einem sehr negativem Kontext“, dafür findet sich das Wort ‚Familie’ 173 Mal. „Und allein das spricht für die Gewichtung der Themen und Blickrichtung dieses Unterrichts“, sagt Łabędz. Das im Unterricht vermittelte Familienbild sei traditionell, für alternative Modelle kein Platz, und auch nicht dafür „sich an Sex zu freuen“, sagt sie. Verhütungsmittel würden als unzuverlässig dargestellt, und Selbstbefriedigung stigmatisiert: Nach ihrer Verhütungsmethode gefragt, geben die Polen an zweiter Stelle den Coitus Interruptus an, nur das Kondom wird häufiger verwendet. „Aber das ist keine sichere Verhütungsmethode und zeugt ja davon, auf was für einem Stand die Aufklärung der polnischen Bevölkerung ist“, beklagt sie. Davon zeugen auch die kuriosen Fragen einzelner Jugendlicher, die beim Sorgentelefon anrufen: „Kann ich schwanger werden, wenn ich mich mit dem Handtuch meines Bruders abgetrocknet habe?“, oder „Bin ich schwanger wenn ich nach meinem Papa ein Bad genommen habe?“ gehören dazu.

Wieder sammeln Abtreibungsgegner Unterschriften für eine Petition, die Abtreibungen weiter einschränken soll. „Es wird zu einer Situation kommen wie letztes Jahr“, mutmaßt  Łabędz, die mit ‚Federacja’ und anderen Frauenverbänden wiederum eine Gegenpetition für eine Liberalisierung geführt hat. An einen Erfolg ihres Anliegens glauben sie nicht. Ganz aussichtslos erscheint die Initiative trotzdem nicht: „Seit dem Czarny Protest sind wir Frauen viel besser organisiert, die Zustimmung zu generellen Abtreibungen sind gestiegen, wenn auch nur minimal. Vor allem aber wissen die Menschen viel mehr über ihre Rechte und engagieren sich seitdem mehr in Protesten.“



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