Warum kann eine Mutter nicht einfach ein Mensch sein? Mit Fehlern. Ein Text darüber, warum Idealbilder von Müttern und Vätern es allen viel schwerer machen, als das Elternsein sein müsste.
Ein Wort, das niemand braucht
Neben mir schlummert das Baby auf dem Sofa, ich sitze dort mit zerzaustem Haar und trinke den ersten Kaffee. Die E-Mail, die ich gerade geöffnet habe, beginnt mit: „Liebe Teresa, du als Working Mom …”. Ich stoppe, atme tief ein, atme aus und schließe die Mail. Der Begriff hat mich schon irritiert, bevor ich selbst Mutter geworden bin. Zum Beispiel dann, wenn Frauen ihn in ihren Selbstbeschreibungen in Onlineprofilen nutzten. Es ist ein gängiger Begriff – keine Frage. Doch für mich ist es ein Wort, das wir dringend aus unserem Vokabular streichen sollten. Das hat drei Gründe.
1) Alle Mütter arbeiten – immer
Wer Mutter ist, arbeitet immer – egal ob sie am Ende des Monats dafür von einem Unternehmen Geld überwiesen bekommt oder nicht. Der Begriff „Working Mom“ ist daher ein Pleonasmus: Zu sagen, dass Mütter arbeiten, ist überflüssig. Sie tun es so oder so, sogar sehr hart. Das ist jedenfalls die Erfahrung, die ich in den ersten Monaten in meiner neuen Rolle gemacht habe. Kein Job war bislang so anstrengend wie der, rund um die Uhr für ein kleines Kind da zu sein. In dem Moment, in dem mein Freund wieder arbeiten ging, wurde es umso härter. Den Job, den eine Mutter macht, die mit zwei oder mehr Kindern den Tag verbringt, möchte ich – ehrlich gesagt – momentan nicht haben. Dafür bin ich nicht tough genug.
Ich schmunzele immer noch über die Kommentare, die ich kurz vor der Geburt meines Baby häufig zu hören bekam: „Genieß’ diese viele freie Zeit. Du wirst so viel lesen können“, „Ich bin ja so neidisch auf dich, ich hätte auch gern einmal so lange am Stück frei“ oder „Warum nimmst du denn nicht ein ganzes Jahr Elternzeit?”
Geburt, Wochenbett und Kinderbetreuung sind keine Ferien – sie sind Schwerstarbeit für Körper und Seele – obendrauf noch eine Belastungsprobe für die Partnerschaft. Ich bin also nicht ausgeruht in den Job zurückgekehrt, sondern von einem sehr herausfordernden Projekt, das ich überlebt habe. Ich wünsche mir, dass Mütter und Väter, die die Herausforderung Full-Time-Parent annehmen, die entsprechende Anerkennung bekommen. Von ihren Partnern, die abends nach Hause kommen und denken: „Ach, der Tag mit dem Baby muss so schön und leicht gewesen sein“, von Freundinnen und Freunden, aber auch später von Unternehmen, die eine Mutter erst einmal behandeln, als habe sie nun ein Jahr oder mehr etwas verpasst. Sie kommt zurück mit jeder Menge neuer Erfahrung – und ganz bestimmt tougher.
Und ja, ich finde, wir müssen darüber nachdenken, ob wir als Gesellschaft diese Form der Carearbeit bezahlen wollen. Das Betreuungsgeld von 150 Euro war dafür ein denkbar schlechter Ansatz, und auch das Elterngeld ist nicht optimal, weil es beispielsweise einer Studentin, die Mutter wird, sagt: Deine Arbeit als Mutter ist im Monat nur 300 Euro wert, die einer anderen Frau aber 1.300. Und Erwerbslose gehen beim Elterngeld komplett leer aus. Wäre das Grundeinkommen also auch für Stay-at-home-Eltern eine Idee? Ich finde jedenfalls: Über den Wert von Carearbeit müssen wir weiter diskutieren. Jede Mom arbeitet – und das braucht Anerkennung.
2) Wir brauchen keinen neuen Muttermythos
„Working Moms“ stellt für mich aber auch eine Abgrenzung zu anderen Müttern da, die ich kontraproduktiv finde. Die Mommy-Wars toben ohnehin, sei es zum Thema Impfen, Stillen oder Familienbett. Mütter, die Geld mit Erwerbsarbeit verdienen, sollten aber weder medial noch von ihrem sozialen Umfeld als die krassen Überfliegerinnen gesehen werden, die mehr Respekt als andere verdienen. Wir brauchen keinen neuen Muttermythos. Wir sind dabei, uns vom Ideal zu lösen, dass die perfekte Mutter rund um die Uhr für ihre Kinder da ist und Erfüllung dabei findet, Babybrei im Thermomix zu pürieren. Ein neues Ideal, das propagiert, dass die perfekte Mutter außerdem Managerin ist, um 4 Uhr morgens aufsteht, um den Brei zu kochen und abends für den Marathon trainiert, braucht niemand. Wir könnten uns stattdessen fragen: Was polarisiert so am Muttersein, dass wir nach Ikonen suchen? Warum kann eine Mutter nicht einfach ein Mensch sein? Mit Fehlern.
Übrigens müssen Mütter mit Beruf nicht die beneidenswerten Organisationstalente sein, zu denen sie gern stilisiert werden, wenn die Unterstützung stimmt. Wenn Mütter genügend Unterstützung erfahren – vom Partner, von Freunden, von der Familie, von flexiblen Arbeitgebern und guten Betreuungsmöglichkeiten – dann können wir vielleicht auch wieder leichter einfach Mutter sein – und nicht Familienmanagerin. Wenn Muttersein endlich kein Wettbewerb mehr ist, sind wir einen bedeutenden Schritt weiter – vielleicht sogar in demografischen Fragen. Denn ich verstehe jede Frau, die ein Feld, in dem sie so leicht versagen kann, gar nicht erst betritt.
Nach der Geburt schnell wieder zu arbeiten, ist übrigens für viele Frauen keine „Karriereentscheidung“, sondern schlicht ein ökonomischer Zwang – womit ich wieder beim Thema monetäre Anerkennung für Carearbeit wäre. Ich wäre nach acht Wochen Mutterschutz körperlich und psychisch kaum in der Lage gewesen, wieder ins Büro zurückzukehren. Ich persönlich würde allen Müttern wünschen, dass sie beim Zeitraum, nach dem sie wieder in den Job zurückwollen und zurückkönnen, ohne dass sie selbst daran Schaden nehmen, mehr Spielraum hätten.
Wir müssen daher auch fragen: Welche Frauen haben überhaupt das Privileg, zu entscheiden, ob sie einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen oder nicht?
3) Was ist mit den „Working Dads“?
Der Begriff „Working Mom“ hält für mich zudem am traditionellen Familienbild fest: Der Vater arbeitet selbstverständlich, die Mutter „verdient dazu“. Wie die jüngste Allensbach-Studie zum Thema Partnerschaftlichkeit in Familien gezeigt hat, ist dieses Muster auch nach wie vor hochaktuell. In der Mehrheit der heteronormen Familien ist der Mann Haupternährer. Immer noch. Nur 15 Prozent der Mütter gehen nach der Geburt ihres ersten Kindes wieder in Vollzeit arbeiten, jede zehnte kehrt niemals wieder in den Beruf zurück.
Doch Sprache verstärkt die Bilder, die wir von Familien im Kopf haben. Den Begriff „Working Dad“ gibt es im Sprachgebrauch nicht – wohl aber den Begriff „Hausmann“, der oft abfällig dahergesagt wird. Das limitiert jedoch auch die Möglichkeiten von Vätern. Aktuell wird der tiefe Wunsch, den viele Väter empfinden, gesellschaftlich nicht ausreichend anerkannt: Sie wollen Zuhause bei ihrer Familie sein – und zwar bedeutend mehr, als es ihnen ein Vollzeitjob ermöglicht. Bedeutend mehr als die zwei Monate Elternzeit, die auch nur ein Bruchteil von Männern mit ihrem Arbeitgeber aushandeln können. Ich bin überzeugt davon, dass sehr viel mehr Väter lange in Elternzeit gingen oder ihre Stellen reduzieren würden, wenn es finanziell möglich wäre. Ebenso glaube ich, dass es sogar viele Väter geben würde, die gerne „Hausmann“ wären – und ihre Frau zur Familienernährerin werden ließen.
Eine wirkliche freie Wahl ihrer Rollen haben alle Eltern erst dann, wenn weder die „Working Mom“ als Rabenmutter betrachtet wird noch die Hausfrau als Heimchen am Herd, und auch der Hausmann kein „Weichei“ ist und Vätern zugestanden wird, dass nichts so männlich ist, wie sich mit Haut und Haaren um seine Kinder kümmern zu wollen. Denn auch wenn der „Working Dad“ als Begriff nicht existiert – ausschließlich über die Rolle des Familienernährers und den Erfolg im Beruf Anerkennung zu finden, ist eine starre Norm, die Männern nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten gibt und sie durchaus unglücklich macht.
Und wie macht ihr es? Bezeichnet ihr euch selbst als „Working Mom“ oder gar „Stay-at-home-Dad“?
Titelbild: Philippe Put – Flickr – CC BY 2.0
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