In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: das schlechte Gewissen.
Perfekte Mutter, perfektes Kostüm
Fasching ist ja jetzt zum Glück wieder vorbei – einer der klassischen Anlässe, zu denen Eltern (und ich fürchte: besonders Mütter) den Drang entwickeln, zu zeigen, was in ihnen steckt; nicht alle, versteht sich. Für das kleine Kind hatte ich in diesem Jahr von Freunden ein Erdbeerkostüm ausgeliehen, das ich dem Kind unter Zwang überstreifte, um es anschließend gewaltsam davon abzuhalten, sich des Kostüms umgehend wieder zu entledigen, damit ich wenigstens ganz schnell fürs alljährliche Foto-Buch ein Beweisfoto schießen konnte; eben jenes Foto-Buch, für dessen Konzeption ich im Dezember zwanzig
Abende verschleiße und das an nahe Verwandte und uns selbst verschenkt wird und uns Jahre später glauben lassen wird, auch 2016 sei ja mal wieder ein prächtiges, farbenfrohes, lustiges und ausschließlich von wunderbaren Familienaktivitäten in der freien Natur geprägtes Jahr gewesen. So.
Das Kind bekam einen Wutanfall und riss sich das Erdbeerkostüm vom Leib. Kein Foto. Das größere Kind immerhin hatte schon vor drei Tagen, als das Paket von „Faschingsbedarf24“ geliefert wurde, sein Ritterkostüm an- und seitdem auch nachts nicht mehr ausgezogen, was
man ihm leider ansah (12,99 Euro inklusive Versand, 100 Prozent Polyester, der Hinweis auf der Verpackung, „von offenen Feuerquellen fernhalten“, war nie angebrachter – was wollte man also auch anderes erwarten als silbrige Polyesterfäden-Nester in der gesamten Wohnung).
Als wir bereits aus der Tür waren, fiel dem kleinen Kind ein, dass es diese Saison gern als Katze gehen würde. In der dumpfen Gewissheit, dass wir es angesichts der dann zu erwartenden Wutattacke heute nicht zur Kita schaffen würden, sollte dieser Wunsch unerfüllt bleiben, stürzte ich ins Bad, fand einen Haarreif und klebte zwei schwarze Dreiecke aus Papier fest. Kostüm fertig. Kind glücklich.
Perfekte Mutter, perfekte Einladungskarte
Es gibt ein paar Anlässe im Jahr – klassischerweise Ostern, Geburtstag, Weihnachten und eben Fasching – wo sich die Spreu vom Weizen trennt. Ich (Spreu) also leihe Kostüme aus und bestelle billigste Chinaware bei Ebay und komme damit gut zurecht; das funktioniert aber auch bei mir nicht immer:
Wenn ich, wie neulich, ausführlich darüber lese, wie Mütter gemeinsam mit den Kindern entzückende Einladungskarten für die Motto-Drachen-Party samt in die Einladung integrierter Drachenmaske fertigen, dann hab ich eine schlaflose Nacht, weil ich Kindergeburtstagseinladungen in Form einer Mail an die Eltern zu verschicken pflege.
Ich kann aber auch anders! Hier zum Beispiel. Und beim zweiten Geburtstag des kleinen Kindes letzten Sommer, da hab ich es genau gesehen, dieses ungläubige und ehrfurchtsvolle Staunen in den Augen der anderen Eltern, als der Blick auf die in mühevoller Konditorenarbeit gefertigten Affenmuffins fiel. Strike!
Ein Geständnis: Ich nähe nicht selbst!
Jedenfalls: Neulich las ich einen sehr erhellenden Artikel der amerikanischen Autorin Jessica Grose: „Against Maternal Guilt“: Sie berichtet darin fassungslos von einem Facebook-Eintrag einer Freundin rund um Halloween, den diese als „Geständnis“ ankündigte, so als ob sie gleich ein mit Scham behaftetes Geheimnis lüften würde: Sie habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie das Pandabär-Kostüm für die vierjährige Tochter nicht selbst nähen würde. Bei der Frau handelte es sich um eine Vollzeit berufstätige Mutter in einer Führungsposition, die keine Verwandten in der Nähe wohnen hat und jeden Tag lange zur Arbeit pendelt, und die zu allem Überfluss auch überhaupt keinen Spaß an DIY hat. Was in aller Welt, fragt sich Jessica Grose, treibt diese Frau zu dem Gedanken, es könnte eine gute Idee sein, ihre wertvolle Freizeit mit etwas derart Überflüssigem wie der Herstellung eines selbstgenähten Kinderkostüms zu verschwenden?
Und genau dieses lähmende und verkrampfte Pflichtbewusstsein, schreibt Grose, würde sie bei vielen Müttern um sich herum beobachten. Für sie liegt das an der gesamten Mittelklasse-Mütter-Kultur, die diese Frauen umgibt. Eigentlich, schreibt sie, wäre es Müttern gerade heute eigentlich endlich möglich, eigene Standards für ihre Vorstellungen von Mutterschaft zu setzen, in einer Zeit, in der die unterschiedlichsten Familienkonstellationen möglich sind und Frauen darin bestärkt werden, karrieretechnisch ihr Ding zu machen.
Und weiter, der Satz hat mir besonders gefallen: Anstatt anzuerkennen, dass Kinder sich mit ganz verschiedenen Bezugspersonen wohlfühlen und prächtig gedeihen, scheint es so, als verstehe unsere Gesellschaft unter einer idealen Mutter eine unheilige Allianz zwischen Marissa Mayer und einer mormonischen Mommy-Bloggerin. Die Botschaft der Gesellschaft an Frauen: Du musst dich im Job so stark reinhängen, wie du nur kannst, und zusätzlich ein Pinterest-taugliches Familienszenario zu Hause erschaffen, vollgestopft mit selbstgebasteltem Plunder und Kindern, die glücklich die hausgemachten Quinoa-Küchlein verzehren. Passend dazu nochmal das hier.
Schöne neue Instagram-Gemütlichkeit
Grose nennt drei aktuelle Trends, die zurzeit auf Mütter (und Väter) einwirken: „Intensive Parenting“, also die Vorstellung, dass Eltern heute mehr Zeit und Ressourcen für ihr Kind aufwenden sollten als je zuvor; die anhaltende Begeisterung für alles, das irgendwie natürlich und handgemacht daherkommt; und die immer stärker gewordene Rolle von Social Media als eine Art moderner Schaukasten für das zeitgeistige und verantwortungsvolle Elterndasein. Merke: Wer seinem Kind kein Faschingskostüm näht, der kauft fürs Kita-Fest womöglich toxischen Fertigkuchen aus dem Supermarkt!
Um das mal anhand der Kostüm-Thematik durchzudeklinieren: Mit dem selbstgenähten oder -gebastelten Kostüm schlägt man drei Fliegen mit einer Klappe:
1. Man ist die Super-Mutter/der Super-Vater, die keine Mühe gescheut und zwölf Abende in Pappmaché gebadet haben, bis die Yoda-Maske in Perfektion erschaffen war;
2. So konnte man natürlich darauf achten, dass das Kind nur mit Bio-Kleber und Recycling-Papier in Berührung kommt und nicht mit von unschuldigen Kinderhänden genähtem China-Chemie-Schund; und man hat ein geiles Bild für Instagram.
Ich kann mich je nach Stimmungslage und Befinden (und je nachdem, auf wie vielen DIY- und Mama-Blogs ich mein schlechtes Gewissen gepampert habe) mal mehr, mal weniger freimachen von dem Druck, der unheiligen Allianz möglichst nahezukommen. Ich nehme an, das geht den meisten Eltern so. Manchmal klopfe ich mir selbst auf die Schulter und fühle ich mich wie ein echter Revoluzzer, der sich vollkommen frei machen kann von all dem Intensive-Parenting-Social-Media-DIY-Druck; im nächsten Moment ertappe ich mich dabei, wie ich den Link für die Bastelanleitung der Drachen-Einladungskarten in ein bereits 18 seitiges Word-Dokument namens „Demnächst mit den Kindern machen“ kopiere und Rezepte von Seiten wie dieser an mich selbst maile.
Welche Strategien es gibt, um die unheilige Allianz zu bekämpfen? Dazu kann man natürlich ganze Bücher schreiben; auf die Schnelle hilfreich könnte aber zum Beispiel folgender Gedanke sein: Es gibt niemanden, dem die Frage „Selbstgenäht oder Billig-Schund aus China?“ egaler ist als jenen, die das Zeug am Ende anhaben.
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