Man sieht mir meine Krankheit auf den ersten Blick nicht an. Auch nicht auf den zweiten Blick. Aber das bedeutet nicht, dass man sie deswegen nicht ernstnehmen muss! Warum wir alle etwas sensibler miteinander umgehen sollten, das hat unsere Community-Autorin Nadine Feger aufgeschrieben.
Nein, Krankheiten sind nicht immer offensichtlich
„Du hast doch gar nichts!“ oder „Stell Dich nicht so an!“ Kennt Ihr solche Sprüche? Diese Sätze kommen meist sehr schnell über die Lippen, doch sind sie deshalb auch ebenso häufig angebracht oder gerechtfertigt? Nein. Denn nicht immer sieht man das Problem. Aber was nicht offensichtlich ist, ist für viele einfach nicht da, nicht existent. Ich bin (einigermaßen) jung und ich sehe gesund und (manchmal sogar) frisch und lebendig aus. Doch wie so oft: Der Schein trügt.
Denn ich leide an einer unsichtbaren Krankheit: Fibromyalgie. Wobei „leiden“ momentan eher das falsche Wort ist. Denn es ging mir schon mal wesentlich schlechter und ich komme zur Zeit relativ gut damit klar. Doch was ist Fibromyalgie eigentlich?
Fibromyalgie: Das macht die Krankheit aus
Es handelt sich um eine chronische und unheilbare Erkrankung. Der Name Fibromyalgie wird mit Faser-Muskel-Schmerz übersetzt. Das bedeutet weit verbreitete Schmerzen in der Muskulatur, um die Gelenke, im Brustkorb und – bei mir besonders – im Bereich des Rückens. Außerdem Druckschmerzempfindlichkeit.
Aber das ist noch nicht alles. Es gibt noch eine ganze Reihe Begleitsymptome wie Müdigkeit, Schlafstörungen, steife Muskeln am Morgen, Konzentrationsschwäche, Antriebslosigkeit, Reizdarm, Schwellungsgefühl an Händen und Füßen und, und, und…
Die Liste könnte man noch eine ganze Weile fortführen. All das geht einher mit einer Schilddrüsen-Erkrankung und Neurodermitis, die ich aber momentan gut im Griff habe.
Der schwere Weg zur Diagnose
Das Problem an der Krankheit: man fühlt sich nicht ernst genommen, denn meist werden die Symptome erst einmal auf die Psyche geschoben. Daher war es für mich auch ein langer Weg bis zum endgültigen Befund. Anfänglich war mein größtes Problem starke Unterleib- und Regelschmerzen. Diverse Untersuchungen, wie zum Beispiel eine Kontrastmitteluntersuchung des Bauchraums, waren ergebnislos. Die Ärzte meinten, ich bilde mir das nur ein. Es wurde selbst von Frauenärzten oft abgetan, bis ich schließlich ein paar Jahre später mit Verdacht auf Endometriose einer Bauchspiegelumg unterzogen wurde. Doch auch dort wurde nichts gefunden.
Zufällig bekam meine Großcousine davon Wind. Ihr erging es genau wie mir und nach Jahren hat ein Heilpraktiker bei ihr Fibromyalgie festgestellt. Also las ich mich in das Thema ein, erkannte unzählige der Symptome bei mir und machte mich mit meiner neuen Erkenntnis wieder mal auf den Weg zum Hausarzt. Doch dieser wollte es wieder auf meinen seelischen Zustand schieben. Kurz nach dem Scheitern meiner ersten Ehe, wäre es ja wohl klar, dass meine Schmerzen durch Stress verursacht werden. Aber dieses Mal ließ ich nicht locker, bis ich eine Überweisung zum Rheumatologen in der Hand hielt.
Endlich bewegte sich was
Auf den Termin musste ich jedoch ein weiteres halbes Jahr warten. Als es endlich so weit war, musste ich mich einer echten Tortur unterziehen: Unzählige Untersuchungen, Blutentnahmen, Röntgenaufnahmen… ganze sieben Stunden verbrachte ich dort. Aber dieses Mal war es wenigstens nicht ergebnislos. Die Therapie bestand aus Krankengymnastik, Massagen, Entspannung, Schmerzmitteln – aber auch aus Antidepressiva. Zudem wurde mir eine Psychotherapie nahegelegt, denn vieles geht bei dieser Krankheit tatsächlich mit Stress einher.
Die Antidepressiva rissen mich aber erst so richtig runter. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie schlecht ich mich fühlte. Nach drei Monaten warf ich die Pillen weg und entschied mich für ein pflanzliches Mittel. Mit dem ging es dann bergauf. Endlich! Ich konnte wieder schlafen und befand mich nicht mehr den ganzen Tag im Dämmerzustand. Auch wenn das natürlich nur eine subjektive Erfahrung ist und anderen klassische Antidepressiva helfen können – mir hat der Entschluss dagegen gut getan.
Alltag und Krankheit: Das ist nicht immer einfach
Eine Therapie habe ich nie angefangen. Ich habe mich später mit der Musik selbst therapiert – so doof sich das anhört, für mich hat es funktioniert.
Als ich noch im Beruf stand, ging es mir oft schlecht. Je stressiger es war, umso schlechter ging es mir. Die Situation dort war so oder so schon immer angespannt. Doch als die Firma ihre Zentrale schließlich vom Hinterland in den Ruhrpott verlegte und ich dort das Weite suchte, ging es schlagartig bergauf: Kein Stress, kaum Schmerzen. Erneut im Beruf wurde es wieder etwas schlechter. Dann wurde ich Mutter, und das war anfangs auch sehr schwierig. Aber das blieb zum Glück nicht so.
Heute geht es mir meistens relativ gut. An ein gewisses Schmerzlevel gewöhnt man sich. Oder eher: man arrangiert sich damit. Mein Rücken, vor allem der Nacken, tut immer weh. Wenn ich den Kinderwagen schiebe, schmerzen meine Arme. Wenn ich lange laufe, verhärten sich sämtliche Muskeln in meinen Beinen und irgendwann bewege ich mich, wie eine alte Frau. Ein Muskelkater bleibt oft eine ganze Woche und ist sehr schmerzhaft. Aber das kommt nicht so oft vor. Mit all dem kann ich ganz gut leben und will nicht meckern – denn es gibt viele, denen es wesentlich schlechter geht als mir. Das halte ich mir dann immer vor Augen. Eigentlich geht es mir doch gut. Eigentlich.
Ich kann damit leben – und doch muss meine Krankheit ernstgenommen werden!
Worum es mir in dem Text aber eigentlich geht, ist: Man sieht mir die Krankheit auf den ersten Blick nicht an. Auch nicht auf den zweiten Blick. Und deswegen wird man häufig nicht ernstgenommen, wenn man sagt, dass es einem nicht gut geht. In der Regel behalte ich das zwar sowieso lieber für mich, doch wenn man sich dann mal Luft macht und sich anhören muss: „Du hast doch gar nichts!“, dann kann das schon ein wenig verletzend sein.
Ich würde nie auf die Idee kommen, eine solche Äußerung von mir zu geben, denn ich möchte ernstgenommen werden – und nehme deshalb auch andere ernst, die an einer unsichtbaren Krankheit oder andere Dingen leiden, die man nicht auf den ersten Blick wahrnimmt. Und dazu gehört nicht nur Fibromyalgie. Auch Depressionen, Angstzustände, Morbus Crohn, Diabetes und noch jede Menge mehr…
Ich habe neulich diesen Satz gelesen, dessen Verfasser mir unbekannt ist, die Problematik aber ganz gut auf den Punkt bringt:
„Es ist schwierig jemandem zu erklären, der keine Ahnung hat und sich nicht vorstellen kann, was es bedeutet, jeden Tag mit Schmerzen zu erwachen, ständig müde zu sein, während Du nach außen lächelst, als ob nichts passieren würde.“
Ja, es ist wirklich schwierig etwas zu erklären, das man nicht sehen kann. Jemandem die Bedeutung klar zu machen. Wenn Ihr also jemanden kennt, der an einer solchen Krankheit leidet: nehmt ihn oder sie ernst. Es geht der Person oft nicht gut, auch wenn sie das vielleicht niemals zeigt. Wir sollten alle etwas sensibler für das werden, was nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.
Dieser Text ist zuerst auf dem Blog Zwischen Windeln und Wahnsinn erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.
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