In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Wie kann ich jedem meiner Kinder gerecht werden?
Mehr als einem Kind gerecht werden – geht das?
Wir fragen ja jedes neue Mitglied unserer EDITION F-Familiengruppe, ob es ein Thema gibt, das sie oder ihn besonders beschäftigt – um ein Gefühl dafür zu bekommen, was das Leben von Leuten mit Kindern heute prägt, was sie umtreibt, was sie bewegt. Die Antworten spiegeln sehr klar die gesellschaftlichen Voraussetzungen wieder, unter denen Menschen mit Kindern heute ihr Leben auf die Reihe kriegen müssen.
Weit abgehängt auf Platz eins: Die Antwort „Vereinbarkeit“. Wie bekomme ich es hin, im Job einigermaßen oder sogar richtig zu performen, den Kindern gerecht zu werden und eventuell sogar die Partnerschaft, sofern vorhanden, nicht komplett schleifen zu lassen? Wie kriege ich es hin, zwischen all dem auch irgendwie selbst nicht verloren zu gehen, meine eigenen Bedürfnisse irgendwie zu berücksichtigen? Und auf Platz zwei: Ich habe mehr als ein Kind, wie kann ich allen gerecht werden?
Das ist eine Frage, mit der ich mich eigentlich jeden Tag beschäftige, seit es in meinem Leben mehr als ein Kind gibt, und erst recht, seit es drei gibt; und das, obwohl ich die Antwort doch schon vor Jahren gefunden habe: gar nicht. Du wirst nie allen gerecht, das geht überhaupt nicht. Das muss man einfach so schlucken.
Wie soll das denn auch bitte gehen, wenn ein Siebenjähriger mit dir auf den Bolzplatz, eine Fünfjährige Dobble spielen will und ein einjähriges Baby alles zerstört, was sich ihm in den Weg stellt? Oder halt den steinharten Fußball an die Birne kriegt und dramatisch zu Boden geht, falls man dann doch mal versucht hat, mehreren Kindern gleichzeitig gerecht zu werden?
Niemand kann gleichzeitig mehr als einen bespaßen!
Insofern würde ich wirklich raten, im Alltag vor allem: Mut zur Lücke.
Mein zumeist äußerst unspektakulärer Alltag: Ich hole ein Kind aus der Nachmittagsbetreuung der Schule ab und dann zwei Kita-Kinder, gegen 16.30 sind alle zu Hause, falls wir nichts mehr unternehmen („Was unternehmen wir heute noch?“ ist eine Frage, die das fünfjährige Kind standardmäßig erwartungsvoll stellt und mir schon vorher den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Nichts, verdammt nochmal. Nach Hause gehen, das unternehmen wir!). Irgendwann muss es abends etwas zu essen geben, und wenn man nicht sieben Tage die Woche Käsestulle offerieren oder einen Lieferdienst bemühen will, muss tatsächlich auch noch gekocht werden.
Vielleicht gelingt es sogar mal, mit dem Ältesten eine Runde „Deutschlandreise“ zu spielen, in der Regel einhändig, mit der anderen halte ich das sich windende und zornig quäkende Kleinkind vom Spielbrett fern.
Ungünstigerweise kommt erschwerend hinzu: Ich spiele nicht so gern. Ständig fragt mich jemand, ob ich Lego spielen will, die bittere Wahrheit ist aber: Ich mag gar nicht Lego spielen. Ab und zu mal eine Runde Uno oder Dobble, das muss reichen. Ich mag auch keine Rollenspiele oder sowas. Das sollen die Kinder einfach unter sich ausmachen. Ich mag Unternehmungen. Zusammen ins Museum gehen, ins Café, in den Park, zum Kinderbauernhof. Das mache ich unter der Woche aber eher selten, weil es mit drei Kindern immer in Stress ausartet, egal wie sonnig die Ausgangsstimmung gewesen sein mag.
Ich hadere durchaus damit, frage mich, ob es das sein kann: die Kinder ab frühmorgens woanders bespaßen zu lassen, und in den wenigen Stunden zwischen 16.30 und 19.30, bevor sie dann wieder ins Bett verräumt werden, kriege ich es nicht mal hin, was zu basteln oder zumindest mal Waffeln zu backen?
Mut zum Downsizing!
Andererseits tut dieses Downsizing in Sachen Aktivitäten meinen eigenen Nerven eher gut. Letzte Woche waren wir nach Schule und Kita in der Bücherei, zu Hause kam ich völlig zermürbt an und fühlte mich, als hätte ich gerade eine mehrstündige Alpenwanderung hinter mir. Und das lag nicht nur an den zwölf Kilo Büchern und DVDs, die ich bis nach Hause transportieren musste.
Fazit: Im Alltag kann niemand allen Kindern gleichzeitig gerecht werden. Expert*innen raten, mit jedem Kind ab und zu Exklusivzeit zu verbringen. Etwa, wenn man andere, ältere Kinder auf Playdates wegorganisieren kann, oder am Wochenende, wenn man sich mit dem Partner*in aufteilen kann. Neulich unterhielt ich mich mit einer Erziehungsberaterin, und die meinte, es sei ganz wichtig, diese Exklusiv-Aktivität, egal wie nichtig sie sei, wahnnsinnig aufzublasen, mit unglaublicher Relevanz und Brisanz aufzuladen und auszuschmücken. Das könne ein Eisdielenbesuch oder ein Kakaotrinken im nächstgelegenen Café sein – mit der richtigen Rhetorik bekäme so etwas eine ähnliche Bedeutung wie der Besuch des Champions-League-Finales oder der Bibi-und-Tina-Weltpremiere. Meinem Mann gelingt es mit dieser Taktik beispielsweise, den ermüdenden wöchentlichen Masseneinkauf beim Discounter für das fünfjährige Kind als Spektakel zu inszenieren.
Und vielleicht kann man sich tatsächlich auch ein bisschen mit diesem „Früher war alles besser“-Klassiker trösten: Kinder sind früher nur so „mitgelaufen“ und haben daran keinen Schaden genommen, sofern die Basis des Familienlebens von liebevoller Zuwendung geprägt war.
Ansonsten: zu Herzen nehmen, was der durchaus erfrischende Schweizer Psychologe und Erziehungsberater Philipp Ramming in einem sehr aufschlussreichen Interview mit der NZZ auf die Frage gesagt hat, worin denn nun die Aufgabe von Eltern bestünde:
„Kochen, Herumbrüllen, dass die Aufgaben gemacht werden, Sackgeld geben. Irgendjemand muss sicherstellen, dass das System funktioniert. Wie auf einer Raketenbasis muss man die Logistik bereitstellen, damit die Rakete schließlich abheben kann. Dann kommt es darauf an, dass sich die beiden Manager des Betriebs – die Eltern – gegenseitig finden. Die Vorstellung, wonach die Familie ein Hort der Glückseligkeit ist, ist ,Chabis´. Die Familie ist ein Kleinunternehmen, wo jeder seinen Job hat. Man mag die Leute, mit denen man zusammenarbeitet, zwischendurch erlebt man sogar Glücksmomente, aber grundsätzlich funktioniert eine Familie wie ein KMU – jede andere Vorstellung von Familie führt nur zu Frust und schadet der Betriebskultur.“
Chabis sagt man in der Schweiz übrigens, wenn man „Quatsch“ meint. Und „Sackgeld“ zum Taschengeld. „KMU“ sind kleine und mittlere Unternehmen. In der Passage des Interviews ging es zwar um die Pubertät, aber womöglich gilt das auch schon für ein paar Jahre davor? Würde zumindest ein bisschen den Druck aus der Sache nehmen.
In eigener Sache:
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!
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