Stefanie Bilen ist Wirtschaftsjournalistin, Gründerin von Saal Zwei, Moderatorin und Mutter. Mit ihrem ersten Buch „Mut zu Kindern und Karriere” hat sie in Kooperation mit dem Netzwerk „Working Moms” die Erfahrungen von 40 Frauen zusammengetragen, die erfolgreich Kinder und Karriere verbinden.
40 „Working Moms“ erzählen
Stefanie Bilen, Gründerin von Saal Zwei, hat zusammen mit dem Netzwerk „Working Moms” das Buch „Mut zu Kindern und Karriere” geschrieben. Ist solch ein Buch 2016 noch notwendig? Das ist es, denn nicht nur auf EDITION F erzählen Leserinnen davon, wie schwierig es sein kann, den Beruf mit der Familie in Einklang zu bringen oder die Erfahrungen von anderen Müttern sie sogar abschrecken, überhaupt Kinder zu wollen. Über diese Herausforderungen und Fragestellungen schreiben im Buch 40 Frauen, die mit – nicht trotz – Kindern ihre Karriere nach ihren Vorstellungen gestalten konnten und mit ihrem Weg zufrieden sind und erzählen über mögliche Lösungen, Kompromisse und an welchen Stellen sie gescheitert sind.
Von der Frage des richtigen Zeitpunkts für Kinder, dem Wiedereinstieg nach der Babypause, der Rolle der Partner und Änderungen in der Familie wie zum Beispiel einer Scheidung, deckt das Buch nahezu alle denkbaren Themen ab, mit denen sich berufstätige Mütter beschäftigen müssen. Wir freuen uns, dass wir einen Auszug aus dem Buch hier veröffentlichen können.
Nachmittagsbetreuung an Schulen: Ein bundesweiter Flickenteppich
Schulfragen sind Länderfragen. Deswegen wird das Betreuungsangebot an Grundschulen und weiterführenden Schulen deutschlandweit unterschiedlich gehandhabt. Manche Länder treiben die Idee der Ganztagsschule massiv voran, andere finden das Thema nur für Grundschulen relevant und für wieder andere hat es gar keine Priorität. Bundesweit ist immerhin eine Entwicklung festzustellen: Im Jahr 2002 standen bundesweit für zehn Prozent aller Schülerinnen und Schüler Ganztagsschulplätze zur Verfügung, 2010 waren es knapp 30 Prozent. Für berufstätige Eltern heißt das: Mit Glück bekommen sie für ihr Kind einen Platz in einer echten Ganztagsschule beziehungsweise in einer Schule, die mit einem Hort für die Nachmittags- und Ferienbetreuung kooperiert. Zweitgenanntes Modell gibt es aber gerade an weiterführenden Schulen in vernünftiger Qualität selten. Was für berufstätige Eltern zu Schwierigkeiten führt: Schließlich ist es auch für Zehn- oder Elfjährige keine Option, den Nachmittag über alleine zu sein – geschweige denn für insgesamt 13 Wochen Schulferien.
So lange das deutsche Schulsystem so funktioniert, dass vormittags Wissen vermittelt wird, welches nachmittags von den Kindern in Eigenarbeit wiederholt und angewendet werden soll, ist es undenkbar, dass sie ohne Unterstützung und Betreuung zu Hause auskommen. Auch gute Schülerinnen und Schüler brauchen hin und wieder Ermunterungen, Ermahnungen und Hilfe. Das erfordert ein Familienmodell, bei dem nachmittags jemand zu Hause sein muss und die Hausaufgabenbetreuung übernimmt.
Länder wie Großbritannien haben sich schon lange anders positioniert: Hier sind Ganztagsschulen sogar Pflicht, Hausaufgaben werden unter Aufsicht von Lehrkräften erledigt. Die Ergebnisse von Pisa, einer internationalen Schulvergleichsstudie, zeigen sogar, dass es einen Zusammenhang zwischen Ganztagsangeboten und guten Noten gibt. Finnland, Kanada und Schweden schneiden unter anderem deshalb so gut ab, weil ihr Schulsystem Ganztagesangebote beinhaltet.
Die Schule ist aus. Und dann?
Interessanterweise war der Halbtagsunterricht in Deutschland auch nicht immer die Regel, sondern wurde erst in der Weimarer Republik zum Normalfall. Kinder und Jugendliche der höheren Schulen sollten vor einer zu hohen Arbeitsbelastung geschützt werden. Schüler von Volksschulen wurden nachmittags hingegen als billige Arbeitskraft gebraucht. Seitdem wird die Diskussion über das Thema höchst ideologisch geführt. Als die Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 nach dem schlechten Abschneiden Deutschlands in der Pisa-Studie vier Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung stellte, wurde das Geld nur schleppend von den Ländern abgerufen. Der Förderungszeitraum musste verlängert werden. Heute ist klar festzustellen, wo die Befürworter und Gegner der Idee sitzen: In Sachsen nutzen gut 73 Prozent aller Schülerinnen und Schüler Ganztagsangebote. In Bayern sind es hingegen nur elf Prozent. Immer wieder berichten Mütter, dass sie ihre Arbeitszeit reduzieren, weil sie die Schulthemen ihrer älter werdenden Kinder mit einem Vollzeitjob nicht mehr in Einklang bringen können.
Denn, darin sind sich alle Working Moms einig: Die Betreuung und Begleitung wird nicht einfacher, wenn die Kinder groß werden, sondern im Gegenteil schwieriger. „Das Spielen mit kleinen Kindern kann man auch mal an eine Nanny delegieren. Die Gespräche und die Unterstützung von Teenagern nicht“, sagt Silke Richter-Derix, eine Frankfurter Working Mom. Deshalb hat sie sich mittlerweile eines angewöhnt: Wenn ihre Kinder anrufen, weil sie etwas auf dem Herzen haben, nimmt sie sich die Zeit dafür – auch wenn es mitten in einer wichtigen Konferenz ist. „Solche Gespräche kann man nicht verschieben. Zehn Minuten später wollen sie vielleicht schon gar nicht mehr darüber reden“, sagt die Managerin. Sie fügt nach einer Pause hinzu: „Meine Kinder sind das Allerwichtigste für mich. Wenn sie ein wichtiges Anliegen haben, lasse ich alles andere stehen und liegen.“ Das setzt einerseits voraus, dass sich ihre Tochter oder ihr Sohn nicht ständig melden, weil ihnen vielleicht langweilig ist. Es bedeutet andererseits für Arbeitgeber, dass sie ein solches Verhalten akzeptieren sollten, um gute Mitarbeiter mit Familie zu halten.
So lösen Eltern die Betreuung
Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten für berufstätige Eltern von Schulkindern: Ihre Kinder gehen auf eine Ganztagsschule, wo nicht nur die Nachmittagsbetreuung gesichert ist, sondern wo sie auch die Hausaufgaben in der Schulzeit erledigen. Oder sie brauchen eine private Nachmittagsbetreuung, die bereit und in der Lage ist, sich in Integralrechnungen und Schopenhauer-Schriften einzuarbeiten.
Die Hamburger Anwältin Antje Baumann hatte es anfangs mit der naheliegenden Lösung versucht: Ihr Sohn ging auf ein gewöhnliches Gymnasium mit Schulschluss am Mittag, keiner vernünftigen Nachmittagsbetreuung und Massen an Hausaufgaben. Dann verlor er aber die Lust am Lernen, kam nicht mehr mit – und die Kinderfrau war schnell mit den Themen überfordert. So saßen Mutter und Sohn abends und am Wochenende über den Hausaufgaben oder den Klausurvorbereitungen und bekamen schlechte Laune.
Für die Mutter war das ein fürchterlicher Zustand, wollte sie doch die Zeit mit ihren Kindern in grundsätzlich guter Atmosphäre und harmonischer Stimmung verbringen. Knapp ein Jahr sah sie sich das an – und bewarb sich für ihren Sohn um einen Platz auf einer „echten“ Ganztagsschule. Im Sommer 2015 wurde er auf der Bugenhagen-Schule in Hamburg angenommen und seitdem klappt es deutlich besser. Unter anderem, weil die Hausaufgaben in der Schule erledigt werden.
Können Privatschule eine Alternative sein?
Damit die Stuttgarterin Anja Unglaub diese Kehrtwende gar nicht erst machen muss, hat sie sich ab Klasse eins für eine private Schule für ihre Tochter entschieden. Es gab wenige Hortplätze an in Frage kommenden Schulen, zudem erschien ihr die Betreuungsqualität nicht gut. Nun geht ihre Tochter seit diesem Jahr auf eine Privatschule. „Ich hätte lieber eine öffentliche Schule ausgewählt“, sagt Unglaub. „Allerdings wünsche ich mir eine gute Betreuung und verlässliche Betreuungszeiten. Beides zusammen wird in meinem Umfeld nur von privaten Einrichtungen angeboten.“
Es sind viele solcher Aussagen von Working Moms zu hören. Doch es gibt auch Beispiele, die zeigen, dass die Betreuung durch öffentliche Ganztags schulen funktioniert. Julia Leichnitz ist zufrieden mit ihrer Schulwahl. Ihre neunjährige Tochter besucht eine Hamburger Grundschule, die mit einem Hort kooperiert. Dort kann sie zu Mittag essen, unter Aufsicht Hausaufgaben machen, Freizeitangebote nutzen oder schlicht spielen. Bis 18 Uhr ist die Einrichtung geöffnet, häufig wird sie von ihren Eltern oder befreundeten Eltern gegen drei oder vier Uhr abgeholt.
Möglicherweise ist es kein Zufall, dass diese Schule in Hamburg steht. Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren alle 200 Grundschulen zu Ganztagsschulen ausgebaut, an den weiterführenden Schulen gibt es sogenannte offene Ganztagsangebote. Die Nutzung ist für alle Kinder beziehungsweise ihre Eltern freiwillig. Nach dem quantitativen Ausbau steht nun die Steigerung der Qualität im Fokus. Dennoch haben sich nach Angaben des Bildungssenators bereits jetzt fast 80 Prozent zur Teilnahme angemeldet.
Julia Leichnitz hat sich mit den Eltern von den Freunden ihrer Tochter kurz geschlossen und ein regelrechtes Netzwerk gesponnen, um sich die Abholung vom Hort oder das Nachmittagsprogramm kurzfristig aufzuteilen. Per WhatsApp oder Kurznachrichten bitten sie sich bei Bedarf gegenseitig, das eigene Kind mit zum Hockey-Training zu nehmen oder zum Spielen zu den Nachbarn nach Hause. Läuft hingegen alles nach Plan, holt die Ingenieurin ihre Tochter dreimal pro Woche ab, ihr Mann an den übrigen Tagen.
„Es macht Sinn, sich mit anderen Eltern zusammenzutun. Das Ferienprogramm unserer Jungs organisieren wir gemeinsam mit anderen Familien. Wenn sie Freunde haben, mit denen sie ins Zeltlager fahren, bringt es unseren Söhnen viel mehr Spaß – und sie trauen sich dann zu, ohne uns zu verreisen.“
Elke Walther, zweifache Mutter
Ein ähnliches Netzwerk hat Elke Walther aus München für ihre zwei Söhne, zwölf und 15 Jahre alt. Es greift allerdings eher in den Schulferien. Die Jungs sind inzwischen groß genug, um nach der Ganztagsschule alleine nach Hause zu fahren. Vor den Sommerferien setzt sich die Münchnerin mit zwei Eltern von befreundeten Jungs zusammen, um ein Programm zu organisieren: Ausflüge, Themenwochen, Wanderungen. Jeder bringt Wünsche und Vorschläge ein, recherchiert Ideen und bereitet sie vor. In den Ferien selbst ziehen die Jungs dann ins Zeltlager, zu den Omas und Opas oder zu anderen Freizeitaktivitäten. Mal bleiben sie hier drei Tage, dort eine Woche. Mit Übernachtung und Verpflegung. Das bedeutet, dass die Eltern in der Zeit den Rücken frei haben, um arbeiten zu können. Elke Walther, regionale Vertriebsleiterin in der Pharmabranche, arbeitet schon immer Vollzeit. Sie ist inzwischen Profi darin, 13 Wochen Schulferien mit sechs Wochen Arbeitnehmerurlaub in Einklang zu bringen.
Deshalb haben sich ihre Jungs schon früh daran gewöhnt, einen Teil der Ferien auch ohne Eltern, aber mit Freunden zu verbringen. Den ersten Versuch unternahm ihr Ältester im Alter von fünf Jahren: Zusammen mit einem Freund ging er mit dem Deutschen Alpenverein auf Wanderung – mit einer Übernachtung auf der Hütte. Die Jungs fanden es großartig und kamen stolz und gefühlte Zentimeter größer wieder nach Hause. Gefunden hatte die Mutter das Angebot bei einer ziemlich orientierungslosen Google-Suche: „Bauernhofreisen für Kinder ohne Eltern“. Inzwischen ist aus der Wandertour eine Woche Zeltlager geworden, zu dem sie jeden August mit Freunden fahren.
Stefanie Bilen: Mut zu Kindern und Karriere: 40 Working Moms erzählen, wie es funktionieren kann (Job & Karriere), Oktober 2016, 182 Seiten (Frankfurter Allgemeine Buch)
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