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Mommy Wars, Helikopter-Eltern, Kindergeburtstage als Event: Ich kann es nicht mehr hören!

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Warum es nervt, wenn Einzelvorkommnisse im Kinder-Kosmos zu Zeitgeist-Phänomenen erklärt werden.

Durchgeknallte Einzelidee oder Zeitgeist-Phänomen?

Es gibt so ein paar Kinder-Themen, bei denen ich reflexartig müde werde oder genervt die Augen nach oben rollen muss, wenn sie medial aufbereitet werden; außerdem muss ich mich dann immer fragen, woher dieser journalistische Reflex, oder eher Spleen, kommt, irgendwelche durchgeknallten Einzelideen oder in bestimmten Milieus dann und wann vorkommenden Auswüchse zu gesamtgesellschaftlichen Phänomenen zu erklären.

Ein Beispiel aus dem Lehrbuch: neulich ein Kolumnist auf Spiegel Online, der die Eröffnung einer veganen Kita – überschrieben mit „Hilfe, jetzt kommen die Extremisten-Eltern“ – sehr erwartbar als weiteren Beleg für um sich selbst kreisende, ideologisch verirrte und sich in ihrer Wohlstandsblase mit First-World-Problems beschäftigende Eltern stilisierte. Ich weiß ich weiß, bevor jetzt jemand „Spaßbremse“ schreit: war ja irgendwie lustig gemeint, aber der Kern-Tenor solcher Texte ist immer: Eltern heute sind unentspannt, hyperfokussiert auf ihre Kinder und nicht in der Lage, die Dinge einfach laufen zu lassen – und manche ernähren sich sogar vegan, diese Irren!

Wenn Freund*innen mir erzählen, wie es in den Kinderläden zuging, die ihre Eltern in den achtziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in so genannten Elterninitiativen mitgegründet hatten, dann scheint die Ideologie, die hinter einer veganen Kita steckt, nur als logische Fortsetzung der Neuzeit.

Noch viel müder werde ich bei „Helikopter-Eltern“ (mit denen Bücher gefüllt werden und zu denen große Onlinemedien ihre Leser*innen fleißig Beispiele sammeln lassen) und „Mommy Wars“. Ich versteh das ja auch, ist einfach zu schön, wie einfach sich dieser Augenroll-Reflex „Boah, echt, Eltern heute, kannste ja gar nicht fassen” auslösen lässt.

Klar, SUV-Eltern sind keine Erfindung

Und ich bestreite überhaupt nicht, dass es Eltern gibt, die sich grob in diese Kategorien einsortieren lassen oder einzelne Verhaltensweisen zeigen, die in eine solche Richtung weisen, die SUV-Dichte vor deutschen Schulen, die Kinder direkt vor dem Schuleingang absetzen, ist einerseits beliebtes Augenroll-Thema, das aber einen realen Hintergrund hat. Es ist eine Tatsache, dass viele Eltern heute ein stärkeres Bedürfnis haben, ihre Kinder zu beschützen/zu kontrollieren, es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Erstklässler*innen mit der U-Bahn allein zur Schule fahren. Anderes großes Thema.

Vieles von dem, was  zu Büchern verarbeitet wird, spielt sich in durchgentrifizierten Vierteln von Großstädten ab (und sicher auch mal woanders), aber es taugt nicht dazu, eine ganze Eltern-Kohorte zu unsolidarischen, hysterischen Kontrollfreaks zu stilisieren.

Ja, auch mir sind schon Erzählungen zu Ohren gekommen, die von Eltern handeln, die sich besorgt bei der Kita-Leitung beschwerten, weil es zum zweiten Mal innerhalb einer Woche Milchreis zum Mittagessen gab, aber: Ohne je selbst eine Studie gemacht zu haben, wage ich zu behaupten: Das sind und waren Einzelfälle, die sich womöglich in bestimmten Milieus und Biotopen häufen. Ich will nicht bestreiten, dass Kinder für viele Eltern heute stärker im Zentrum ihrer Bemühungen und Sorgen stehen als „früher“, das ist ganz sicher so, über die Gründe haben Soziolog*innen schon viel Interessantes herausgefunden. Aber so zu tun, als würden Eltern heute grundsätzlich am Rad drehen, ihre Kinder routinemäßig in die Chinesisch-Frühförderung stecken (gähn! Würde mich wirklich mal interessieren, wie viele Kita-Kinder in Deutschland tatsächlich Mandarin lernen, die Zahl ist wahrscheinlich nicht mal dreistellig), ist einfach, aber trotzdem falsch.

Früher war alles besser?

Und ähnlich wie mit den angeblichen „Mommy Wars”, „Helikopter-Eltern“ und Mandarin-Kindern ist es mit den Kindergeburtstagen. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten paar Jahren fürs Amüsement gedachte Texte gelesen habe, die darauf hinauswollen, dass Kinder heutzutage nicht mal mehr stinknormal Geburtstag feiern können, sondern die hysterischen Eltern den Tag in monatelanger Vorarbeit zum Mega-Event ausbauen. Der klassische Rückgriff auf „Früher war alles besser = in diesem Fall: unkomplizierter.“

Das liest sich manchmal wirklich amüsant, aber ich bleibe dabei: Es handelt sich um ein (noch so ein schönes Trend-Wort) Narrativ, mit dem die „Eltern von heute übertreiben es“-These schön unterfüttert werden kann.

Auch hier gilt: Natürlich gibt es Eltern, die heute den Geburtstag ihrer Kinder durcheventisieren, und garantiert ist die Zahl externer Anbieter*innen (gerade auch in Großstädten) stark angestiegen, beim Schreiben sollte man sich aber vielleicht aus der Berlin/München/Frankfurt/Hamburg-Filter-Bubble befreien: Irgendwo in der Pampa kommen Eltern wahrscheinlich seltener auf die Idee, einen Motto-Geburtstag im Naturkundemuseum zu feiern.

Na toll, ich mach die Drecksarbeit alleine

Ich lebe samt Kindern schon immer in einer Filter-Bubble (Berlin-Kreuzberg), und trotzdem waren meine Kinder noch nie auf einer Geburtstagsparty eingeladen, die über das Nötigste – im allerpositivsten Sinne – hinausging: Süßkram in absurden Mengen verdrücken, Schatzsuche draußen, drinnen spielen, später vielleicht noch Pizza oder Würstchen essen, abholen, Tüte mit Süßigkeiten – und vielleicht auch noch einem Tattoo oder (Achtung!) billigem Plastikspielzeug drin mit nach Hause nehmen.

Übrigens kenne auch ich den Impuls, es völlig übertrieben zu finden, wenn Leute Kindergeburtstage auslagern und viel Geld für externe Dienstleister*innen ausgeben. Das fühlt sich so ähnlich an wie der Impuls, Frauen ihren Wunsch-Kaiserschnitt madig zu machen: „Na toll, ich mach das alles allein, reiß mir den Arsch auf, und du lässt die Drecksarbeit jemand anders erledigen.“

Jenseits dessen ist die vereinzelt zu beobachtende Eventisierung des Kindergeburtstags überhaupt kein neues Phänomen: In meinem gesamten Freund*innen- und Kolleg*innenkreis finden sich Leute, die bis heute traurig darüber sind, dass sie ihren Geburtstag, nie, kein einziges Mal, bei McDonald‘s im „Ronald McDonald-Geburtstagsclub“ feiern durften, sondern zuhause Pizza mit Dinkelboden gereicht wurde.

Fix und Fertig nach der Party – auch schon vor 30 Jahren

Jedenfalls: ein Krug Kakao und ein Rührkuchen auf den Tisch, Kinder einfach machen lassen, und alles läuft spitze? Ich lehne mich aus dem Fenster und behaupte, das hat auch im Jahr 1985 nicht wirklich funktioniert. Wie fix und fertig die eigenen Eltern nach solchen Geburtstagspartys waren, können wir zum Glück aus heutiger Sicht gar nicht mehr rekapitulieren. Es ist unrealistisch, zehn Siebenjährige mehrere Stunden lang in einem Kinderzimmer sich selbst zu überlassen, ohne dass irgendjemand oder irgendetwas Schaden nimmt. Meiner Ansicht nach ist das eine zeitlose Feststellung.

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