Foto: Matheus Ferrero | Unsplash

Wer es immer allen recht machen will, zeigt sich damit selbst die Arschkarte

In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, dass ein beherztes „Fuck you“ ab und an der Seele gut tut.

Alles in Ordnung, Hauptsache dir geht’s gut!

Es gibt ja Menschen, die würden sich noch dafür entschuldigen, wenn ihnen ein Komet auf den Kopf fällt. „Ach, das ist ja blöd, da hätte ich jetzt wirklich woanders stehen sollen – sorry!“ Oder die auch einfach nur dazu neigen, komplett zurückzustecken, wenn die eigenen Bedürfnisse nicht deckungsgleich mit denen des Gegenübers sind. „Nee, komm, dann treffen wir uns doch heute, auch wenn ich total fertig bin und du mich einfach nur auf einen Plausch sehen willst.“

Ich gehöre natürlich auf gar keinen Fall zu dieser Spezies! Ich nehme mich und meine Belange nämlich sehr ernst. Nun, zumindest dachte ich das lange. Denn kürzlich stolperte ich über ein Interview mit der tollen Helen Mirren, in dem sie ihrem jüngeren Ich einen Tipp aussprechen sollte. Ihre so gute wie wichtige Antwort: Öfter einfach mal (gedanklich) „Fuck you“ zu sagen und nach den eigenen Bedürfnissen zu handeln.

Schaffe ich es wirklich, mich selbst an erste Stelle zu setzen?

Da konnte ich selbstredend nur heftig nicken, genau so macht man das! Bis ich begann, mich dahingehend mal sehr ehrlich selbst zu überprüfen. Schaffe ich es eigentlich wirklich immer, mich an erste Stelle zu setzen? Und nachdem ich gedanklich ein paar Situationen der letzten Zeit durchgekaut habe, musste ich leider zu der bitteren Erkenntnis kommen, dass das in meinem Alltag viel zu oft nur eine theoretische Wahrheit ist. Denn ich habe offensichtlich auch einen eigenartigen Drang dazu, mich für die idiotischsten Dinge entschuldigen zu wollen oder mich zurückzunehmen, wo es gar nicht zwingend notwendig gewesen wäre.

Das hört sich dann in etwa so an: „Oh, entschuldige bitte, dass ich traurig war,  weil du mich verletzt hast.“, oder „Tut mir leid, dass ich den letzten Pfannkuchen gegessen habe, ich hatte einfach Hunger. Aber ich hätte natürlich einbeziehen müssen, dass du Stunden später auch irgendwann wieder Hunger bekommen könntest und das dann sehr viel wichtiger ist als mein eigener Hunger.“ Sag mal geht’s noch?

Frauen halten den Laden eben zusammen, oder?

Jetzt könnte man meinen, ich habe einfach eine ziemlich schlechte Selbstwahrnehmung und bin eben doch ein sehr schüchterner Mensch, der vor allem das Ziel hat, andere mit dem eigenen Dasein möglichst wenig belästigen zu wollen. Ob meine Selbstwahrnehmung brillant realistisch ist, das lässt sich ganz sicher hinterfragen – und doch bin ich tatsächlich eine Person, die eher laut statt leise ist und eigentlich keine großen Probleme hat, auch mal anzuecken – dafür passiert das nämlich deutlich zu oft. Was also wird da in meinem Kopf für ein Schalter umgelegt, dass ich trotz dessen diesen Reflex für den Schritt hinter andere verinnerlicht habe, statt mich selbst, meine Gefühle, meine Wahrheit, meine Bedürfnisse schlichtweg wirklich und in jeder Situation ernstzunehmen und danach zu handeln — und hier geht’s beileibe nicht um den Vorschlaghammer, no matter what.

Das Interessante ist, damit bin ich gar nicht so alleine, wenn ich mich in meinem Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis so umsehe – und auch hier lässt sich kein Muster in Sachen Selbstbewusstseins-Level erkennen, vielmehr eines beim Geschlecht. Es sind nämlich tatsächlich häufig Frauen, die – bewusst oder unbewusst – diese Mechanismen leben. Wie kommt das zustande? Vielleicht, weil von Frauen schon immer irgendwie erwartet wurde als Kleber zwischen sozialen Bindungen zu fungieren und dafür zu sorgen, dass der Laden zusammengehalten wird. Im Zweifel nimmt man unangenehme Situationen dann einfach auf sich, um der Gruppe wieder Raum zum Heilen zu geben oder nimmt sich mit einer relativierenden Entschuldigung zurück, damit es gar nicht zu Auseinandersetzungen kommt. Aber eigentlich fühle ich mich weder zum Kleber noch zum Sündenbock berufen.

Rollenbild: liebenswerte Frau

Ich glaube aber, das geht noch weiter. Denn offensichtlich ist das etwas, dass wir vor allem in jungen Jahren so handhaben. Wie oft lese und höre ich von Menschen, die in der zweiten Hälfte ihres Lebens stecken, dass das Alter eine Befreiung von dem Bedürfnis ist, es jedem recht machen zu wollen. Ist das diese Weisheit von der man immer spricht oder geht es einfach um: Schnauze sowas von voll? Nun, gerade bei Frauen könnte ich mir vorstellen, dass hier noch etwas anderes greift. Denn wahrscheinlich fällt es ihnen zu einem späteren Zeitpunkt im Leben leichter aus dem Rollenbild der lieben und deshalb attraktiven Frau rauszufallen, weil sie vieles von dem Müssen und Sollen, dass so gerne an uns Frauen herangetragen wird, einfach schon hinter sich haben – und sehr genau wissen, dass es nichts bringt, diese Erwartungen zu erfüllen. Außer, dass man sich damit selbst oft die Arschkarte zeigte. Vorher ist das nämlich gar nicht so einfach – denn, dass „unbequeme“ Frauen (also die, die kein Blatt vor den Mund nehmen) nun bei der breiten Masse eher nicht so der Hit sind, lässt sich leicht an diversen Studien dazu ablesen, die zeigen, dass was bei Männern als durchsetzungsfähig gilt, bei Frauen eher als zickiges Ellenbogen-Verhalten wahrgenommen wird. Schönen Dank auch! Wo das herkommt, erfährt man dann spätestens mit einem kurzen Blick in Kinderbücher, in denen die Mädchen immer schön und bescheiden und nett sind und die Jungs die Entscheider, die die Situation rumreißen oder auch herrlich durcheinanderbringen dürfen. Es ist also, wie so oft, Sozialisation.

Irgendwie unangenehm, wenn man sich dabei erwischt, dem bei aller Auseinandersetzung mit dem Thema immer noch erlegen zu sein. Aber für ein gepflegtes „Fuck you, in dieser Sache geht’s auch um mich“ ist es ja nie zu spät. Ich bin ein großer Fan von einem respektvollen Miteinander, aber das schließt ja auch den respektvollen Umgang mit sich selbst ein. Also kein Zurücknehmen mehr, wo es nicht angebracht ist und man sich mindestens um einen Kompromiss bemühen sollte und keine Entschuldigungen für Nichtigkeiten.

Denn, verdammt nochmal, die Welt wird einfach besser durch jede einzelne Frau, die sich aufrecht hinsetzt und ihr Wissen, ihre Haltung, ihre Fragen, ihre Erfahrungen, ihre Wahrheit und ihre Bedürfnisse auf die Karte setzt, ohne sich danach wegzuducken. Ich plädiere für das (innere) „Fuck you“, wenn es angebracht ist. Und darauf, dass es nicht erst im Alter eine Option wird, nicht Everybodys Darling sein zu müssen – das funktioniert nämlich sowieso nicht. Mit dieser Form der Ehrlichkeit gewinnen wir am Ende doch alle und wächst auch das Gegenüber, dass sich dann eben mal arrangieren muss. Also ab mit der Faust auf den Tisch, da gehört sie manchmal einfach hin.

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