Foto: Cristina Gottardi| unsplash

Wie du weniger Wert darauf legst, was andere von dir denken

Wer ausblendet, was andere Menschen womöglich über einen denken, kann ein selbstbestimmteres, glücklicheres Leben führen.

Unabhängig und selbstbestimmt

Ich rede mir gerne ein, ich sei unabhängig und lebe selbstbestimmt. Überhaupt sei es mir ja egal, was andere von mir denken. „It’s my way, my way or the highway“, wie Limp Bizkit es formuliert haben. Nur leider stimmt das nicht so ganz.

Ich merke das spätestens, wenn ich mal wieder daliege und grüble, ob mir eine Entscheidung womöglich negativ ausgelegt wird. Oder ob ich in den Augen anderer vielleicht als faul, launenhaft, naiv oder kindisch gelte. Oder wenn mir einmal ein vermeintlicher Fehler passiert – etwa ein Soßenfleck auf dem weißen T-Shirt – und ich kurz peinlich berührt bin. Das passiert unterbewusst und lässt mein Leben viel fremdbestimmter verlaufen, als ich gerne zugeben würde.

Studien zufolge bin ich damit nicht allein. Viele Menschen nehmen an, dass andere sie laufend für ihre Fehler, Ausrutscher und Schwächen verurteilen. Das ist jedoch ein Trugschluss.

Menschen beurteilen sich nach genau zwei Dingen

Ich gehe davon aus, der Soßenfleck sei ein Zeugnis meiner Unfähigkeit, vernünftig zu essen. Doch wer sagt mir, dass andere Menschen mich durch den Fleck nicht als authentischer wahrnehmen? Oder dass es für sie schlicht keine Rolle spielt, dass da jetzt ein Fleck auf meinem T-Shirt ist?

„Verlegenheit oder Scham entsteht dann, wenn wir befürchten, einen gesellschaftlichen Standard oder einen moralischen Code gebrochen zu haben“, schreibt der Entscheidungsforscher Raj Raghunathan in einem Beitrag für „Psychology Today“. Er sagt zwar, dass sich diese Gefühle in Maßen auch positiv auswirken könnten, weil wir uns im Nachhinein mehr Mühe geben würden, rücksichtsvoll und freundlich zu sein, aber sie entstünden oft viel zu schnell und generell grundlos häufig. Denn: Über uns selbst denken wir meist ganz anders, als andere das tun.

Der andere als Projektionsfläche

Wir über- und unterschätzen uns, projizieren einerseits eigene Vorstellungen auf andere und sind andererseits auch selbst eine Projektionsfläche. Wie oft haben wir uns schon von der schlechten – oder guten – Laune unserer Mitmenschen anstecken lassen, ihre Probleme und Freuden zu unseren gemacht? Eine Konsequenz daraus sei laut Raghunathan, dass wir einerseits viel gehemmter und andererseits viel weniger spontan und fröhlich seien, als wir es sein könnten. Das ist nichts weiter als reiner Stress, der uns um Möglichkeiten beraubt, um die Fähigkeit, Chancen zu entdecken und zu ergreifen.

Menschen beurteilen uns im Großen und Ganzen nämlich nur nach zwei Dingen, wie Harvard-Psychologen in jahrelangen Forschungen herausfanden: nach unserer Wärme, also ob wir freundlich und guter Absichten sind, und nach unserer Kompetenz, also ob wir die Fähigkeiten haben, diese Absichten auch umzusetzen. Das war’s. Ein Soßenfleck auf unserer Kleidung ist den meisten Menschen schlicht und einfach: scheißegal.

Diese Tatsache gibt uns bereits den Schlüssel an die Hand, wie es gelingt, uns weniger damit zu befassen, was andere von uns denken – bewusst und vor allem unbewusst.

Entscheidend ist, wie wir mit diesem Wissen umgehen

Die Autorin Sarah Knight schreibt in ihrem Buch „Not Sorry: Vergeuden Sie Ihr Leben nicht mit Leuten und Dingen, auf die Sie keine Lust haben“ von solchen Erfahrungen, die sie hemmten, etwa das Gefühl, beim Arbeitgeberwechsel womöglich jemandem auf den Schlips zu treten. Ich selbst erlebte diese Situation erst vor etwas über einem Jahr, als ich der Vertragsunterzeichnung bei meinem alten Arbeitgeber in letzter Minute absagte, weil ich eine bessere Alternative hatte – meinen jetzigen Job.

Mich plagten Gewissensbisse, ich dachte, ich sei dafür verantwortlich, dass mein alter Arbeitgeber schnellstmöglich Ersatz für mich finden muss. Aber wie auch Knight schreibt: Das war eine Sache, die ohnehin nicht in meiner Hand lag. Es dauerte dennoch eine ganze Weile, bis ich mich von den Sorgen gelöst habe, wie negativ mein ehemaliger Arbeitgeber mich jetzt sehen könnte.

Sorgen entkäften

Sich zu sehr darum zu sorgen, was andere über uns denken könnten, entkräfte uns nach und nach, sagt Entscheidungsforscher Raghunathan. Er gibt drei Ratschläge, wie uns gelingt, solche Tendenzen zu überwinden:

1. Wir sollten erstens versuchen – so paradox es klingt –, uns viel mehr auf andere Menschen fixieren, als auf uns selbst. Wer die meiste Zeit rücksichtsvoll und freundlich sei, der wird eher von anderen gemocht. In der Konsequenz müssten wir uns also gar nicht mehr darum sorgen, wie sie uns sehen – der Fokus liegt nicht mehr auf uns. Und wenn unsere Entscheidungen als schlecht interpretiert werden oder unvorhergesehene negative Auswirkungen haben, dann könnten wir uns zusätzlich ganz sicher sein, dass wir sie ja nur mit den besten Absichten getroffen haben.

2. Zweitens sollten wir uns bewusst machen, dass uns Menschen manchmal auch negativ bewerten, obwohl wir rücksichtsvoll und freundlich sind. Oft habe das aber gar nicht so viel mit unseren eigenen vermeintlichen Fehlern zu tun, sondern damit, was andere erwarten. Menschen verhielten sich laut Raghunathan oft in der einzigen Art und Weise, die sie kennen und verstehen. Dennoch sei es wichtig, brutal ehrlich zu sich selbst zu sein und sich zu hinterfragen: Bin ich wirklich rücksichtsvoll oder rede ich mir das nur ein? Manchmal sind Vorwürfe gerechtfertigt und wir haben tatsächlich versagt – das ist aber noch lange kein Grund, in Scham zu versinken.

3. Wir sollten stattdessen drittens versuchen, unsere Aufmerksamkeit gezielt zu steuern. Das bedeutet vor allem, zu kontrollieren, worauf wir unsere Aufmerksamkeit legen und uns nur darauf zu fokussieren, auf das wir uns fokussieren wollen. Dafür könnte man es mit Achtsamkeitsübungen versuchen, oder wahllos eine kleine, gute Sache tun oder etwas, das uns den sogenannten Flow-Zustand bringt: das kann Schreiben sein oder auch ein anspruchsvoller, intensiver Sport.

Ihr bestimmt, wer ihr seid

Die Psychologin Ashlee Greer schreibt, dass das negative Urteil eines Menschen über uns niemals definieren dürfe, wer wir sind. „Wir werden nie das Leben haben, das wir wirklich wollen, bis wir es schaffen, die Meinungen anderer Menschen auszublenden. Bis wir damit aufhören, einen Scheiß darauf zu geben, was sie denken und an unseren eigenen Wünschen, unserer eigenen Stimme, unserer eigenen Wahrheit festhalten.“

Was laut Greer dabei helfen könnte, sei, wirklich damit aufzuhören, sich mit anderen Menschen zu vergleichen und Grenzen zu setzen. Wer zu weit gehe, uns ungefragt mit seiner Meinung über uns behellige, dem könnten wir auch einfach sagen, dass wir in dieser respektlosen Atmosphäre kein Gespräch führen wollen. In letzter Konsequenz sollten wir uns öfter klarmachen, wessen Leben das hier gerade eigentlich ist.

Anderen wohlwollend gegenüberstehen

Für die entgegengesetzte Richtung, also unseren Hang, andere Menschen zu bewerten, gibt es übrigens auch einen Rat. Bei Forschungen der Wake Forest University in North Carolina fand man heraus, dass wir automatisch gütiger, warmherziger und emotional stabiler werden, wenn wir anderen Menschen grundsätzlich wohlwollend gegenüberstehen.

Ein recht einfaches Zugeständnis, das womöglich schon ganz allein dabei hilft, sich selbst nicht mehr allzu sehr von der Meinung anderer Menschen beeinflussen zu lassen. Und Entscheidungen zu treffen, die zufrieden machen – vielleicht nicht andere, aber immerhin uns selbst.

Der Originaltext von Till Eckert ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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