Wie geht das mit der gesunden Ernährung, wenn die Zeit im Alltag immer knapp ist? Und man keine Lust hat, die Essensfrage allzu dogmatisch anzugehen? Das haben wir Ernährungscoach und Food-Podcasterin Sarah Tschernigow gefragt.
„Warum überteuerte Goji-Beeren, wenn rote Paprika mehr Vitamin C hat?“
Keine Zeit, um sich etwas Gesundes zu kochen? Kennen wir wahrscheinlich alle. Und was heißt in Zeiten, in denen Ernährung schon fast zu einer Religion hochstilisiert wird, eigentlich gesunde Ernährung? Geht das nur, wenn man den halben Lohn in exotisches Essen investiert oder komplett auf Kohlenhydrate verzichtet? Nein, sagt Ernährungscoach Sarah Tschernigow, die im Frühling diesen Jahres den Podcast „No time to eat“ ins Leben gerufen hat, mit dem sie wöchentlich rund 15.000 Menschen erreicht. Ihr Thema ist eine gute Ernährung, die sich nicht aus Chia-Samen und Co, sondern aus all dem zusammensetzt, was wir sowieso alle kennen und zu Hause haben. Wie das geht und auch, warum alles rund ums Essen für die 33-Jährige zur Leidenschaft wurde, haben wir sie gefragt.
Du arbeitest beim Radio, bist aber auch Ernährungscoach. Es klingt also nach einem sehr logischen Schritt, deinen eigenen Podcast zum Thema Ernährung zu starten.
„Das war ganz witzig, weil ich nämlich lange gar nicht auf die Idee kam, einen Podcast zu machen und erst Ende letzten Jahres zum ersten Mal Podcasts gehört habe. Ehrlich gesagt war es zu Beginn eher ein Marketing-Gedanke. Ich hatte schon über ein Jahr als Ernährungscoach gearbeitet, aber wenige Anfragen, weil mich niemand kannte. Da kam mir die Idee, einen Podcast zu machen. Ich habe weder damit gerechnet, dass der so erfolgreich wird, noch damit, dass mich diese Arbeit so erfüllt.“
An wen richtet sich dein Podcast und was beschäftigt dein Publikum in Sachen Ernährung ganz besonders? Ist es tatsächlich vor allem der Mangel an Zeit, sich etwas Gesundes zuzubereiten?
„Wir alle haben keine Zeit. Und tatsächlich ist es für viele Menschen ein großes Problem, ihre Ernährung halbwegs gesund in den stressigen Joballtag zu integrieren. Abends sind viele zu müde, um etwas zu kochen und viele denken auch: Mealprep, also die Essenvorbereitung, ist total aufwendig. Es wird uns ja auch leicht gemacht: Wir leben in einer To-Go-Gesellschaft, wir kaufen morgens das belegte Brötchen beim Bäcker, gehen mittags in die Kantine und kochen abends Nudeln. Ein weiteres Thema, neben der Zeit, ist natürlich, diesen ganzen Verführungen und Bequemlichkeiten zu widerstehen.“
„Ich bin nicht dogmatisch und predige keine bestimmte Ernährungsform. Das Einzige, was ich immer wieder betone, ist: so naturbelassen wie möglich.“
Was war eigentlich für dich persönlich der Auslöser dafür, dass Ernährung so ein Leidenschaftsthema für dich wurde? War das eine bewusste Entscheidung oder kam das so nach und nach in dein Leben?
„Das kam Stück für Stück vor vielen Jahren, als ich mit Fitnesstraining anfing. Ich war unzufrieden mit meiner Figur, war nicht dick, aber mopsig. Ich wusste zwar, das Obst und Gemüse gesund sind, aber ich wusste nicht, dass Nudeln so viele leere Kalorien haben, oder, dass Fertigessen so fettig ist. Außerdem habe ich unglaublich viel genascht. Jeden Tag. Ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, allerdings machte ich vor allem den Fehler radikal zu diäten. 1.000 Kalorien am Tag bei fünf bis sechs Mal pro Woche Krafttraining. Es endete irgendwann in Fressanfällen und einer Achterbahnfahrt. Erst als ich gute Trainer traf, lernte ich genug zu essen. Ich kannte die Zusammensetzung der Lebensmittel bald auswendig. Dann kam ich auf die Idee, dass ich das anderen Menschen beibringen könnte.“
Was ist überhaupt gesunde Ernährung? In deinem Podcast geht es viel um klassische Themen wie Kohlenhydrate, Fette und den „bösen“ Zucker – also vor allem fettarm und No Carb?
„Gesunde Ernährung heißt, dass ich meinen Körper mit allen wichtigen Nährstoffen in der richtigen Dosierung versorge. Ob das vegan passiert, paleo, highcarb oder lowcarb, ist mir als Coach egal. Ich bin nicht dogmatisch und predige keine bestimmte Ernährungsform. Das einzige, was ich immer wieder betone, ist: Esst clean, also naturbelassen und so wenig industriell verarbeitet wie möglich. Egal, welche Diät, welches System du dir anschaust, alle haben genau das gemeinsam! Alles, was von der Natur kommt, ist gut. Übrigens hier ein Tipp, woran man Clean Food erkennt:
1. Du kannst es jagen, 2. Es wächst im Garten, 3. Es hat keine oder eine kurze Zutatenliste und 4. Dafür gibt es keine Werbung. Oder hast du schon mal eine Werbung für eine Gurke oder eine Putenbrust gesehen? Nein, aber für Fischstäbchen. Die wachsen auch wieder nicht im Garten und haben noch dazu eine sehr lange Zutatenliste mit allen möglichen Zusätzen drin, die keiner braucht.“
„Die wahren Superfoods wachsen bei uns vor der Tür“
Du hältst dich also selbst vor allem an Clean Food?
„Ja, ich esse so naturbelassen wie möglich, aber nicht mehr so streng wie früher. Ich lebe nach der 80/20-Regel: 80 Prozent sauber und nach Plan, 20 Prozent locker. Es soll ja Spaß machen. Zu jeder Hauptmahlzeit gehört bei mir viel Gemüse und eine Eiweißquelle. Beispielsweise Fisch oder mageres Fleisch, körniger Frischkäse, Tofu, oder Linsen. Auch Haferflocken und Eier habe ich immer da. Ab und zu essen ich was ich will: Sushi oder Pasta. Aber das sind Ausnahmen.“
Was sagst du zu Trends wie Superfood? Und kann man nicht auch Clean Eating skeptisch gegenüberstehen? Manchmal hat man ja fast das Gefühl, wir haben unsere Ernährung zur Ersatzreligion ernannt. Kann das gesund sein?
„Den Superfood-Trend finde ich Quatsch. Warum soll ich mir überteuerte Goji-Beeren kaufen, die nur halb so viel Vitamin C enthalten wie eine rote Paprika? Die wahren Superfoods wachsen bei uns vor der Tür, nur klingen sie nicht so hip und damit lässt sich kein Geld machen. Brokkoli beispielsweise ist ein unschlagbares Superfood mit extrem hoher Nährstoffdichte. Nur klingt er nicht so cool, wie Chia-Samen.
Clean Eating ist für mich kein Trend, sondern die Basis einer gesunden Ernährung. Schaut euch mal aus Spaß die Zutatenliste einer Tiefkühl-Pizza an! Sie ist sooo lang, und die Hälfte der Wörter verstehe ich nicht! Umso stärker Lebensmittel industriell weiterverarbeitet werden, desto mehr Konservierungsstoffe, Zusätze und Aromen sind darin, noch dazu versteckte Zucker und Fette. Wenn wir uns clean ernähren, dann haben wir die volle Kontrolle über das, was wir essen. Und an Clean Food kann man sich übrigens auch nicht überessen (lacht). Hast du schon mal gedacht: das Gemüse … boah … ich kann nicht mehr aufhören? Überessen tun wir uns nur an Junk Food.“
Geht es dir persönlich ums Abnehmen bzw. das Halten deines Gewichtes oder um ein gutes Körpergefühl, das unabhängig vom Gewicht entsteht?
„Beides. Ich bin schon eitel und möchte gut aussehen. Wenn ich nicht aufpasse, nehme ich sehr schnell zu. Ich habe keine gute Genetik. Allerdings fühle ich mich auch körperlich schlecht, wenn ich Müll esse. Ich bin sehr aktiv und arbeite extrem viel. Dieses Pensum kann ich nur bewältigen, wenn ich mich gesund ernähre und fit halte. Und es ist so ein tolles Gefühl, sich im Alltag stark zu fühlen und nicht bei jeder Treppe gleich schnaufen zu müssen.“
Sarah setzt auf gesunde Ernährung, aber ohne Schokolade geht es auch nicht. Bild: Markus Nass
Die Beschäftigung mit der Ernährung geht ja letztlich nur über die Beschäftigung mit dem eigenen Körper – haben viele von uns vergessen, beim Essen auf den Körper zu achten? Und wie kann man da wieder hinkommen?
„Nur durch Achtsamkeit. Weil essen zur Nebensache geworden ist, haben viele Menschen verlernt, intuitiv richtig zu essen. Intuitiv essen in an sich das Natürlichste, was man machen kann, nur können viele das nicht mehr. Sie würden intuitiv zu Subway oder McDonalds laufen, wenn ich sagen würde: Iss mal, wonach dein Körper verlangt. Hinzu kommt, dass wir häufig nicht essen, weil wir Hunger haben, sondern weil wir getriggert wurden. Es steht Kuchen auf dem Tisch, also essen wir mit. Oder wir haben Stress und wollen uns abends mit Süßigkeiten belohnen. Nur, wenn ich achtsam bin, habe ich die Chance, negative Gewohnheiten mitzubekommen. Wie geht das konkret? Wenn ich esse, dann esse ich. Und schaue nicht nebenbei Netflix, ins Handy oder auf Facebook. Dabei konzentriere ich mich auf mein Hunger- und Sättigungsgefühl. Und wenn ich feststelle, dass ich immer wieder zu Junk-Food greife, sollte ich beobachten, in welchen Situationen das passiert und an der Ursache arbeiten.“
Wo sollte man denn am besten anfangen, wenn man damit beginnen will, seine Ernährung umzustellen?
„Das ist eine schwere Frage, weil jeder andere Baustellen in seiner Ernährung hat. Der eine nascht zu viel, der andere kauft zu viele Fertigprodukte. Es beginnt letztlich immer mit Bewusstsein. Für jemanden, der sich noch nie mit Ernährung befasst hat, ist es oft lehrreich, eine Woche lang akribisch alles aufzuschreiben, was er ist. Meine Klienten sind meistens total überrascht, was und wie viel sie tatsächlich den ganzen Tag essen. Dann würde ich Dinge, wie beispielsweise Einfachzucker angehen. Statt Süßigkeiten radikal zu streichen, würde ich schrittweise reduzieren und eine gesündere Alternative finden. Statt Snickers, eine Handvoll Nüsse. Statt Haribo, ein paar Erdbeeren. Statt Vollmilchschokolade, Bitterschokolade. Von der essen wir nämlich nicht so viel auf einmal.“
Was würdest du denn jemandem raten, der nicht viel Geld ausgeben will, aber auch nicht so organisiert ist, sich jeden Tag etwas für das Büro vorzukochen?
„Auch ohne kochen kann man sich in der Tasche oder im Office gesunde Snacks bunkern. Die helfen einem über den Tag zu kommen, damit kein Hungerloch entsteht, und man dann in der Not das Nächstbeste kauft. Gesunde Snacks sind Obst und Gemüse; hier empfehle ich zum Beispiel eine Packung von den Cherrytomaten. Dann hartgekochte Eier, oder auch Nüsse ohne Salz, oder Natur- oder Sojajoghurt.
Ansonsten ist Vorkochen einfacher als man denkt. Super schnell, einfach und preiswert sind Dinge, wie Reis, Tiefkühlgemüse oder Haferflocken. Ich selber nehme Schnellkochreis, koche gleich in größeren Mengen vor und kombiniere das mit Tiefkühlgemüse. Außerdem gibt es das einfachste Müsli-To-Go: Haferflocken mit einem Löffel Eiweißpulver in einen Behälter, unterwegs Wasser dazu, fertig. Und für die Mutigen: ein Glas Babynahrung (lacht). Schneller und einfacher geht es nicht. Und bei Babys passt die Industrie besonders auf, dass kein Mist drin ist.“
Was ist dein ultimativer Tipp, wenn man seinem Körper mit ganz einfachen Mitteln etwas Gutes tun will?
„Jeden Tag viel Gemüse und jeden zweiten ein paar Übungen zur Kräftigung der Muskulatur: Liegestütz, Klimmzug, Kniebeuge.“
Und zu guter Letzt: Was ist dein Guilty Pleasure und würde niemals vom Speiseplan gestrichen werden, egal, wie ungesund es ist?
„Auf Schokolade will ich nicht lange verzichten – und auch nicht auf die fettige Erdnusssoße beim Asiaten.“
Mehr bei EDITION F
Max und Jakob: „Unser Podcast ist wie eine regelmäßige Therapiestunde.“ Weiterlesen
Stress: Wieso richtiges Essen trotzdem wichtig ist und wie wir das hinbekommen. Weiterlesen
Patricia Staffa: „Ein gesunder Lebensstil sollte nicht in Stress ausarten.“ Weiterlesen