Foto: Freunde von Freunden | Natalia Pokrovskaya

Geburtshilfe mit Mission – Daria Utkina setzt sich dafür ein, dass Frauen in Russland selbstbestimmt entbinden können

Ein Kind zur Welt zu bringen ist eigentlich eine der natürlichsten Erfahrungen, die eine Frau machen kann. In Russland, wie in vielen anderen Ländern, gleicht die Geburt jedoch einem institutionalisierten Prozess, bei dem vieles zu kurz kommt.

Doula mit Psychologiestudium

Doulas, die die Arbeit von Ärzten und Hebammen ergänzen, können schwangere Frauen in besonderer Weise unterstützen. Daria Utkina ist eine von ihnen. Ihre Aufgabe ist es, Frauen in Moskau auf dem langen Weg bis zur Geburt emotional zu begleiten und auch über die Geburt hinaus mit Ratschlägen zur Seite zu stehen. Nach ihrer Ausbildung zur klinischen Psychologin sah Daria in dem Wechsel zur Geburtsbegleitung die Möglichkeit, einen Beitrag zur Verbesserung des russischen Gesundheitswesens zu leisten, in dem Frauen immer noch einer Vielzahl von Herausforderungen ausgesetzt sind.

„Mein Berufsweg begann als klinische Psychologin in einer Psychiatrie, in der vor allem mit autistischen Kindern gearbeitet wurde.“ Damals träumte Daria noch davon, eines Tages Kunsttherapeutin zu werden und sammelte einige erste Erfahrungen in dem Bereich. Bis sich die Prioritäten in ihrem eigenen Leben neu verteilten. Nachdem Daria ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte, nahm sie ein weiterführendes Psychologie-Studium auf. Damals suchten einige schwangere Freundinnen Rat bei ihr und ihrer Freundin Nadezhda Pavloskaya, die ebenso wie Daria Psychologin ist. Sie wollten aus erster Hand erfahren, was es bedeutet, ein Kind zur Welt zu bringen: „Ihr habt es mitgemacht, trotz all der Umstände. Erzählt uns, wie es sich anfühlt.”, sagten einige von Darias ersten Klientinnen. „Wenn wir euch anschauen, nimmt uns das die Angst, selbst Kinder zu bekommen.”

Gleichstellung durch Effizienz?

Doulas sind nicht qualifiziert medizinische Hilfestellung zu geben, Medikamente zu verordnen, oder die Entscheidung, wie eine Frau gebären möchte, zu beeinflussen. Aber warum brauchen Frauen Geburtsbegleiterinnen, wenn es Ärzte und Hebammen gibt? In Russland ist die Antwort einfach: Das aktuelle System kann keine gute Entbindungserfahrung für jede Frau garantieren. In der ehemaligen Sowjetunion versuchte die Regierung ein sehr effizientes System für moderne Frauen aufzubauen, die Männern gegenüber gleichgestellt waren und ebenso hart arbeiten mussten.

Daria ist überzeugt, dass dieses System in vielen Punkten darauf ausgelegt war, das Kind frühzeitig von der Mutter zu trennen, weil Frauen sich vorrangig der Gesellschaft verpflichtet fühlen sollten. Kindererziehung war eine gemeinschaftliche Aufgabe. Es gab viele Regulierungen: Eine Mutter musste ihr Kind auf eine vorgegebene Weise füttern, die eigene Brust mit Seife waschen, einen Mundschutz tragen, wenn sie ihrem Kind nahe kam und sterile Windeln verwenden. Vor allem aber sollten Frauen den „Experten“ vertrauen und ihre Kinder bereits nach drei Monaten in die Tageskrippe geben, damit die Gesellschaft auf sie aufpassen konnte, anstatt deren Mütter. Diese Verhaltensregeln wurden ihnen durch die visuelle Propaganda vorgelebt.

Verbotene Hausgeburten

Ziel dieses neuen Systems war es, jeder Frau die Möglichkeit zu geben, in einem Krankenhaus zu entbinden. Aber bis in die 60er Jahre hinein gab es noch Frauen, die Hausgeburten durchführten. „Ich besitze ein Sowjetisches Buch für Schwangere von 1959, in dem es ein ganzes Kapitel über Hausgeburten gibt“, erzählt Daria. Es zeigt, dass Frauen oft von Sanitätern unterstützt wurden, weil das nächste Krankenhaus einfach zu weit weg war. „Das Kapitel empfiehlt auch, eine Freundin oder eine Nachbarin für die Entbindung um Hilfe zu bitten. Diese Person war dann also tatsächlich so etwas wie eine Geburtshelferin.“ Als die Infrastruktur wuchs, verbot der Staat allerdings Hebammen, außerhalb von Krankenhäusern zu arbeiten.

„Wenn ich nach einer Entbindung nach Hause fahre, denke ich oft darüber nach, was ich alles tun würde, wenn ich Gesundheitsministerin wäre“, sagt Daria halb scherzend. „Das aktuelle System funktioniert so: Selbst wenn ein Arzt oder eine Hebamme einfühlsam und unterstützend handeln möchte, wird es Ihnen durch den stressigen Dienstplan unmöglich gemacht.“ Der Einsatz von Doulas könnte das überforderte System allerdings entlasten. Dafür müssten sie nur mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Um diesen Sinneswandel anzustoßen, nimmt Daria an vielen Programmen und
Projekten teil. Sie war Teil des Gründerteams der Association of Professional Doulas, die mehr als 200 Doulas in ganz Russland miteinander verbindet. Nun will sie eine eigene Agentur für Geburtshilfe aufbauen. „Als Einzelperson kann ich nur einer begrenzten Anzahl von Frauen helfen“, erzählt sie. Ihr momentaner Wirkungskreis ist noch recht klein, aber Daria weiß, dass mehr in ihr steckt.

Text: Anna Savina
Fotografie: Natalia Pokrovskaya

Mehr über Daria Utkina erfahrt ihr bei Freunde von Freunden – dort seht ihr auch alle Fotos vom Besuch bei der Hebamme.

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