Feminismus? Brauchen wir nicht mehr! Dieser Meinung sind auf jeden Fall meine Eltern. Dass wir noch lange nicht im schönen Post-Feminismus angekommen sind, konnte ich ihnen über die Feiertage leider nicht einleuchtend erklären.
Besinnliche Feiertage inklusive Feminismusdebatte
Dass meine Eltern nicht ganz so feministisch gestimmt sind wie ihre drei Töchter, das ist mir schon vor einiger Zeit aufgefallen. Ich habe es als Generationsproblem abgetan und die Kommentare ignoriert. Bis zu den Feiertagen, als die Diskussion doch endlich über uns hereinbrach. Und all meine Argumente? Wie aus dem Kopf gefegt! Es begann mit der Frage, ob ich tatsächlich eine journalistische Karriere weiterverfolgen und ob ich auch weiterhin über feministische Themen schreiben wolle.
Die Frage war formuliert als sei Feminismus ein Hobby. Etwas, das man vorübergehend interessant findet, so wie man eben phasenweise bestimmte Bücher und Zeitschriften liest, bestimmte Musik hört oder als jugendlicher radikale politische Überzeugungen hat, aus denen man irgendwann rauswächst. Ein bisschen perplex erklärte ich, dass mich der Feminismus wahrscheinlich mein Leben lang begleiten würde. Ich merkte, wie meine Eltern diese Aussage belächelten.
Nicht jeder muss Feminist*in sein. Doch da meine Eltern ihre Töchter zu emanzipierten jungen Frauen großgezogen haben, hat mich ihre fast als anti zu bezeichnende Einstellung überrascht. Schon vor ein paar Monaten, als ich ihnen von Edition F erzählte, meinte meine Mutter: „Du wirst jetzt aber nicht auch so ‘ne Emanze, oder?“ Der Kommentar hatte mich verwundert, aber ich bin nicht weiter darauf eingegangen. Auch als sie mit sonderbarem Ton erzählte, dass sich ihre Freundin als Feministin bezeichnet oder als mein Vater nach dem Lesen meines ersten Interviews meinte, er „befürchte eine ideologische Debatte“ aufgrund der feministischen Aussagen, habe ich es mit einem Lächeln abgetan. Doch dieses Mal hakte ich nach: „Seht ihr euch denn nicht als Feministen?“ Die Antwort war ein Nein. Von beiden. Das ist auch nicht schlimm. Was mich und meine Schwestern störte, war ihr Umgang mit dem Thema: dass sie unsere Meinung belächelten, uns nicht für voll nahmen. Die darauffolgende Diskussion begleitete uns über das Abendessen bis hinaus ins Auto und wurde nach dem Gottesdienst wieder aufgegriffen.
Zunächst haben wir meinen Eltern unser Verständnis von „Feminismus“ noch einmal dargelegt:
„Jeder Mensch, der es wichtig findet Gerechtigkeit und Chancengleichheit unabhängig vom Geschlecht zu schaffen.”
Was wir meinten: Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Was meine Eltern hörten: Gleichmacherei. Sie waren (sind?) der Überzeugung, dass wir doch schon genug Rechte hätten und jede weitere Gleichstellung von Frau und Mann widernatürlich sei, da es ja offensichtliche geschlechtliche Unterschiede gebe. Sogar bei dem wahrscheinlich gängigsten Argument, dem der Lohungleichheit, haben meine Eltern uns belehrt, dass es nunmal so sei, dass man, je nachdem wie lange man bei einem Unternehmen beschäftigt ist, ein höheres Gehalt bekomme und es etwa im Fall von Birte Meier wahrscheinlich gar nichts mit ihrem Geschlecht zu tun habe. Und einen Punkt muss ich meinen Eltern vielleicht doch zugestehen: wenn es um konkrete Rechte im Gesetz geht, ist Deutschland doch schon recht weit. Doch sind wir eine privilegierte, weiße, zu allem Überfluss komplett heterosexuelle Akademikerfamilie. Da liegt das Gefühl von „Ist doch alles halb so schlimm, der Feminismus hat ausgedient“ recht nah. Doch wir brauchen ihn sehr wohl, wenn es um die zwischenmenschlichen Standards in unserer Gesellschaft geht. Denn hier harpert es noch gewaltig.
Nicht nur meine Eltern verbinden mit Feminismus eine Kampfansage. Eine Mauer, erbaut durch Alice Schwarzer und dem Magazin Emma. Männerhass. Doch dieser Feminismus ist für mich nicht mehr aktuell, „outdated“, wie man so schön sagt. Unsere – meine – Vorstellung von Feminismus ist offen, tolerant, verfolgt ein gemeinsames Ziel ohne sich in Kleinigkeiten zu verirren. Wie meine Kollegin Silvia so schön in einem Text schrieb:
„Lasst uns backen, Schürzen tragen, Kinder gebären und lasst uns auf die Barrikaden gehen, lasst uns lieben, wen wir wollen, unsere Haare abschneiden, nur für den Job leben und alles, was dazwischen noch vorkommen mag. Und lasst uns zu einem Feminismus kommen, der nicht bequem, aber erträglich ist. Nicht weil er rund geschliffen wurde, sondern weil er diskutiert und debattiert werden kann, weitergetragen wird und umformbar ist.“
Meine Lebensrealität und die meiner Freundinnen und auch meiner Freunde hat noch nicht den Punkt erreicht, an dem ich mich zufrieden geben möchte. Warum das so ist, möchte ich hier ausführen. Vielleicht verstehen dann auch meine Eltern ein bisschen besser, wovon ich spreche, wenn ich von Feminismus spreche.
Wegen des Gender Pay Gaps
In Deutschland ist doch schon alles gut? Von wegen! Der prozentuale Unterschied des durchschnittlichen Bruttoverdienstes von Männern und Frauen liegt bei 21 Prozent – in den letzten 15 Jahren war diese Zahl fast konstant. Und sogar der „bereinigte” Lohnunterschied, die Differenz, die Frauen bei der exakt gleichen Arbeit wie Männer verdienen, liegt noch bei fünfeinhalb Prozent. Damit sind wir eines der europäischen Schlusslichter.
Weil es in der deutschen Sprache kaum etwas Schlimmeres gibt, als weiblich zu sein
Und nicht nur in der deutschen Sprache. Hier geht es mir um Schimpfwörter: die meisten Schimpfwörter und Beleidigungen sind weiblich. Denn es scheint in unserer Gesellschaft nichts Schlimmeres zu geben als eine Frau zu sein oder eine andere sexuelle Orientierung zu haben. Von „Dumme Kuh“ über „Zicke“ hin zu „Schlampe“, „Hure“, „Pussy“ oder „Schwul“. Sie alle kreiden an, dass man(n) sich nicht männlich, sondern eben wie ein Mädchen bzw. eine Frau verhält. Warum ist das bitteschön schlimm?
Weil wir uns nicht sicher fühlen können und schuldig gemacht werden
Erst im vergangenen Jahr habe ich in Gesprächen mit Freundinnen lernen müssen, dass ich bei weitem nicht die Einzige bin, die beispielsweise in der Bahn begrapscht wurde und dass das noch harmlos ist. Allein in Deutschland haben 40 Prozent der Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.
Eine Freundin meinte neulich zu mir, dass sie es gar nicht schlimm fände, längere Röcke zu tragen und sich so einfach wohler fühle. Dass das ein gesellschaftlich beeinflusstes Phänomen ist, dass sie sich im kurzen Rock unwohl fühlt, ist ihr nicht in den Sinn gekommen. Und auch meine Mutter hat mich aufs Neue schockiert, als sie meinte, dass es verständlich sei, dass ein Mann seine Blicke, Kommentare oder sogar Hände nicht bei sich behalten könne, wenn ich mich zu aufreizend anziehe. Autsch. Die Argumente: Männer sind triebgesteuert, können sich aufgrund ihrer Hormone in jungen Jahren nicht zügeln und wir dürften sie daher nicht provozieren. Oh die armen Männer, die einfach keine Kontrolle über sich haben. Geht’s noch?
Weil Cat-Calling und Streetharrasment kein Kompliment sind
Warum ich lieber länger als geplant auf Partys bleibe, als dann nach Hause zu gehen, wann ich will? Weil ich nicht alleine nach Hause gehen möchte. Wegen der „Komplimente“, der Kommentare, nur wegen der Blicke. Es hat für mich eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was an Cat-Calling so schlimm ist. Meine männlichen Verwandten haben doch auch immer vielsagende Blicke schweifen lassen und sich mal einen kleinen Pfiff erlaubt. Erst jetzt, wo ich von den Blicken, Pfiffen und Kommentaren betroffen bin, verstehe ich, wie unangenhem und gruselig das ist.
Weil wir noch zu weit von Selbstbestimmung entfernt sind
Unterpunkt #1: Meine Entscheidungen
„Wie, du schminkst dich und bist Feministin?“
„Eine feministische Cheerleaderin? Das geht doch gar nicht!”
„Der Film dürfte dir aufgrund deines Frauenbildes aber nicht gefallen.“
Jap, alle diese Kommentare sind mir bereits (mehrfach) begegnet. Vor allem die feministische Cheerleaderin hat mich gefreut! Ich möchte meine Entscheidungen treffen können, wie sie mir gefallen. Ich fühle mich gut und sexy, wenn ich im kurzen Rock und bauchfrei in die Luft gehoben werde, weil ich dafür wochenlang trainiere, weil es mir Selbstbewusstein gibt und vor allem: weil es Spaß macht. Diese Entscheidung hat nichts mit Feminismus zu tun. Und wenn ich mir meine Ladung Audrey Hepburn – oder im Fall des Kommentars Marilyn Monroe – geben möchte, dann tue ich das. Mit Genuss.
Unterpunkt #2: Meine Unabhängigkeit
In meinem allerersten Interview hat meine Interviewpartnerin mich auf etwas aufmerksam gemacht, was ich schon vorher wusste, was mir aber zuvor nicht so deutlich bewusst war:
„Wir sind überhaupt nicht so abhängig von unseren Männern! (…) Wenn wir es schaffen, unsere Töchter zu Frauen großzuziehen und nicht nur zu Mädchen, die irgendwann heiraten, dann haben wir meines Erachtens nach den Feminismus nach Hause gebracht!“
Warum ich mich als Feministin sehe? Warum ich Karriere machen will und mich selbst versorgen können will? Weil ich nicht am Frühstückstisch sitzen und meiner Familie von meinem schlimmsten Albtraum erzählen möchte: dass mein Mann mich verlassen hat und ich nun nicht weiter weiß. Aus romantischer Perspektive ist das schlimm. Aus einer Perspektive der Abhängigkeit ist es furchtbar.
Weil mein Körper nicht meine Sache ist
Ich bin bei weitem nicht die Einzige, die ständig mit Kommentaren zu ihrem Aussehen konfrontiert ist. Mal von meinen Frisuren abgesehen, durfte ich mir mit 18 anhören: „Oh, da könnten schon mal ein bis zwei Kilo weg.“ Heute, drei Jahre und 13 Kilo später: „Kind, du bist viel zu dünn!“ Ob ich mich so wohlfühle, wie ich aussehe und was ich davon halte? Nebensache.
Außerdem ein Problem: Brüste! Zu Marketing-Zwecken eignen sich weibliche Körper – vor allem Brüste – perfekt. Aber wage es ja nicht, mit ihnen an die Öffentlichkeit zu sehen. Solange Instagram noch (ausschließlich weibliche) Nippel zensiert ist die Gleichberechtigung noch ein paar Lichtjahre entfernt.
Weil Grips nicht reicht
Und zwar nicht mal, wenn wir die Premierministerin von England sind. Sind die Schuhe zu gewagt, der Ausschnitt zu tief, die Ähnlichkeit mit Merkel zu groß? Und was ist eigentlich mit ihrer Frisur? Nicht nur die britischen Medien ließen der Brexit, Schottlands Unabhängigkeitsbestrebungen, die Krise der beiden großen Parteien nahezu kalt, auch die deutschen Medien waren sich nicht zu schade ihren Senf dazu zu geben – Hauptsache war erst einmal, ausführlich die Äußerlichkeiten zu diskutieren. Es scheint egal zu sein, was wir erreichen: das Make-up muss sitzen. Denn unser Aussehen, unser Stil, unsere Kleiderwahl sind nichts persönliches, sondern Sache der Öffentlichkeit.
Unterpunkt #3: Doppelmoral
Es gibt kein positives Wort für eine Frau, die ihre Sexualität frei auslebt. Männer nennen wir „Womanizer“ und schlimmstenfalls „männliche Schlampe“ (schon wieder ein weibliches Schimpfwort!) Als Frauen lernen wir schon früh, dass es nicht okay ist, mit vielen Männern zu schlafen. Wir lernen aber auch, dass viele von uns es trotzdem tun. Und, dass es wohl total in Ordnung ist, wenn wir uns sogar gegenseitig als „Schlampe“ oder „Flittchen“ bezeichnen, falls eine Frau offen mit ihrer Sexualität umzugehen wagt. Da wundert sich jemand, dass junge Mädchen so verwirrt sind?
Weil wir unsere Sexualität nicht besitzen oder offen eingestehen dürfen
Weibliche Selbstbefriedigung scheint sogar in meinem Twentysomething Freundeskreis noch mehr oder weniger ein Tabuthema zu sein. Aber natürlich nur die Selbstbefriedigung der Frau. Es macht einfach keinen Sinn. Oder man denke an den Sex zu zweit: Vielen Mädchen wird beigebracht, dass das erste Sex schmerzhaft ist und blutig und – was ich am schlimmsten finde – dass man ein Stück von sich verliert. Natürlich ist es schön und vielleicht auch wichtig, wenn ein erstes Mal etwas besonderes ist. So wie Sex vielleicht immer etwas besonderes sein sollte. Aber Sex darf auch Spaß machen – Männern und Frauen! Also bitte hört auf, einer weiteren Generation von Mädchen einzubläuen, dass sie durch Sex einen Teil von sich selbst verlieren, dass sie keinen Spass an Sex haben dürfen und dass sie Flittchen sind, wenn sie zu „leichtfertig“ mit zu vielen Männern schlafen.
Weil die Männer ihn auch brauchen
Auch Männer brauchen den Feminismus. Mein Vater scheint ihn zu fürchten, glaubt, dass wir Frauen die Weltherrschaft an uns reißen und alle Männer unterwerfen wollen – oder so. Aber das wollen wir gar nicht! Ehrlich! Genau wie Frauen die gleichen Rechte wie Männern zustehen, soll auch Jungen und Männern das Leben erleichtert werden. Denn auch sie leiden unter den Geschlechternormen, dass sie etwa nicht weinen und keine Gefühle zeigen dürfen. Oder dass sie nur „richtig männlich“ sind, wenn sie viele Frauen aufreißen und sich am Besten dazu noch wie ein Arschloch verhalten. Richtig, dieses Schimpfwort ist nicht weiblich und scheint in mancher Hinsicht in unserer Gesellschaft sogar „positiv“ besetzt zu sein.
Und das war nur der Anfang …
Diese kleine Ansammlung an Gründen bezieht sich in erster Linie auf Deutschland. Als ich merkte, wie die Liste ins Unermässliche wuchs, beschloss ich diesmal nicht darauf einzugehen, dass in den USA in einem Jahr 700 Gesetzesentwürfe eingereicht wurden, die den weiblichen Körper betrafen (Abtreibung, Stillen in der Öffentlichkeit etc.). Dass 65 Prozent der Brasilianer glauben, dass eine aufreizend gekleidete Frau es verdient, vergewaltigt zu werden. Oder dass in Saudi Arabien Frauen zwar seit 2015 Wählen, aber nicht Autofahren dürfen. Auch das sind Gründe für mich, mich als Feministin zu bezeichnen und mich für die Rechte von Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt einzusetzen.
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