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Warum ich mit 21 Jahren graue Haare habe und es liebe

Wir leben in einer oberflächlichen Welt. Einer Welt, in der Aussehen häufig eine größere Rolle spielt als Charakter. In der ich mein Ego an meinem Style, meiner Frisur fest mache. Ob das schlimm ist? Vielleicht. Aber mich hat es auch stark gemacht.

 

Mut zu Haarfarben? Für mich selbstverständlich!

Dieser Text trägt den Dokumenttitel „Second Try“, weil ich mich in meinem ersten Text zu diesem Thema so wahnsinnig verlaufen habe. Ich habe zu Papier gebracht, wie mich Haare immer fasziniert und ein bisschen verwirrt haben, warum ich mir mit elf Jahren an Weihnachten einen Kurzhaarschnitt verpassen ließ und dass das vielleicht das beste, nachhaltigste Geschenk an mich selbst gewesen ist. An diesem Punkt möchte ich einsteigen.

Mich hat diese Frisur unglaublich stark gemacht, da ich lernte mit Kommentaren wie „Warum hast du das denn gemacht?“, „Kurze Haare sind unweiblich!“ und „Geschmacksverirrung“ umzugehen. Nicht nur das, ich lerntem sie herauszufordern und so meinen Stil zu suchen – eine Suche, die bis heute nicht beendet ist. Außerdem hat sie mir den Mut gegeben, neue Dinge auszuprobieren – immer wieder. Ich habe das lange gar nicht so realisiert, doch die Kommentare, die ich auch heute noch bekomme ähneln sich doch sehr: „Boah, die Farbe würde ich mich ja nicht trauen!“, „Hast du denn keine Angst, dass deine Haare kaputt gehen?“ oder „Was, wenn dir das Ergebnis mal nicht gefällt?“ Meine Einstellung dazu: Dann schneide ich sie eben ab!

Dadurch, dass kurze Haare nicht so gefährdet sind kaputt zu gehen oder abzubrechen wie eine lange Haarpracht, bin ich als Teenager schnell ins Experimentieren gekommen. Zuerst wurden alle Rottöne durchprobiert die die örtliche Drogerie zu bieten hatte, woraus mal ein fast schwarzer Augerine-Ton wurde, mal ein Pumuckl-Rot oder auch karottiges Orange. Als die Feuerpalette durch war und meine Mutter mich überzeugt hatte, dass meine Teenagertypisch regelmäßig rötlich entzündete Haut und die roten Haare nicht besonders gut zueinander stehen. Also ließ ich einen langen Nachmittag und einen Haufen Taschengeld bei meinem Lieblingsfriseur und erblondete spontan. Weil meine empfindliche Kopfhaut sich mit der Blondierung aber nicht so gut vertrug, überzeugte mich mein Friseur beim Nachfärben von einer ganz neuen Farbe: grau. So ergraute ich im Alter von 16 Jahren zum ersten Mal in einem dunklen Mausgrau. Das war das einzige Mal, dass ich mich mit einer Frisur unendlich unwohl fühlte. So unwohl, dass ich den Haarfarben zunächst einmal abschwor. Bis ich wieder auf Identitätsfindung ging…

Das erste Mal grau hat mich „normal“ werden lassen

In der Schulzeit kannten mich – sogar zu Zeiten mit einigermaßen normalen Frisuren – alle als die mit den verrückten Frisuren. Die, die sich alles traut. Die mit dem eigenen Style. Ein Hoch auf das Dorfleben!

In der Uni ging ich dann plötzlich unter. Hier war ich eine von vielen. Eine von vielen langhaarigen, normal stylischen, nett lächelnden Mädels. Ein ungewöhnliches Gefühl und keines, das mir gefiel. Ich identifizierte mich  noch immer mit den Mädchen mit den kurzen rosa Haaren, den Tattoos, den Second-Hand-Klamotten – kurz mit denen, die ihr eigenes Ding machten – ohne auszusehen wie sie. Sie strahlten das aus, was ich fühlte. Was war mit meinem Look passiert? Faulheit? Bequemlichkeit? Das Abenteuer des Erwachenwerdens hatte mich eingesaugt und ich hatte darüber meinen Stil, meine bisherige Art, mich auszudrücken, aus den Augen verloren. Also fing ich wieder an. Nur blieben die Haare diesmal weitgehend dran – der stylische Kurzhaarschnitt bleibt meiner Schwester vorbehalten.

So bin ich von Ombré (oben natur, unten blond) über Baliage (ganz viele Strähnchen, die nicht direkt am Ansatz beginnen) zu einer kompletten Blondine geworden. Aber nicht, ohne Umwege über Türkis, Grün und – meinen Favoriten – Rosa zu gehen. Endlich war ich wieder ich! Die, die sich alles traut. Die, die rumexperimentiert. Die, die auffällt. Aber: Blond ist teuer. Denn, obwohl ich für den Ombré-Look noch meiner Mitbewohnerin vertraut habe, ist es eine ziemlich unvernünftige Idee, dieses chemische Experiment zu Hause durchzuführen, wenn man seine Haare auch nur ein bisschen lieb hat. Deshalb musste eine neue Idee her. Ein Kurztrip in die Schweizer Metropole St. Gallen gab mir die zündende Idee: Grau. Die Farbe, die mich ursprünglich dazu gebracht hatte, den Haarfarben vorläufig den Rücken zuzukehren, sollte mein neues Glück werden. Und meinen Geldbeutel schonen. Denn: bei grau sieht ein Ansatz besser aus als bei blond – in meiner  Theorie. Was für mich außerdem für diese Idee sprach ist, dass inzwischen auch Mädchen mit bunten Haaren im Mainstream angelangt sind. Und grau, das ist noch was neues. Grau lässt sich zu allem kombinieren. Grau ist ein Blickfang. Das einzige Problem war, dass meine Haare noch zu gelb waren. Also hieß es für mich, ab zum Friseur und so viel Farbe aus den Haaren ziehen wie nur möglich. #schneekönigin.

Oma-Look? Meine Oma ist ne coole Frau!

Notiz an alle, die auch mal blondieren wollen: Um eine brennende, juckende Kopfhaut zu vermeiden solltet ihr 1) ausgeschlafen sein und 2) möglichst lange davor nicht die Haare waschen, weil die natürlichen Öle die Kopfhaut schützen. Bei mir traf keine der beiden Tatbestände zu, weshalb ich zwischendurch einen nicht-so-hübschen Küken-Look angenommen hatte. Autsch.

Dafür habe ich jetzt weiße Haare und bleibe erstmal dabei, bis mich der Ansatz so sehr stört, dass ich auf dunklere Grau-Töne umsteige. Und um den silbergrauen Look richtig hin zu bekommen, benutze ich violettes Silbershampoo. Dadurch haben meine Haare mit jeder Wäsche einen mal mehr, mal weniger violetten Pastell-Schimmer. Ich bin restlos begeistert!

Das Beste ist, dass mich im Spiegel jetzt wieder ein Mädchen anlächelt, mit dem ich mich identifizieren kann. Es ist vielleicht ein bisschen bedenkenswert, mein Selbstbewusstsein von einer Haarfarbe abhängig zu machen. Doch es ist tatsächlich so, dass mein Schneeköniginnen-Look viele nette Gespräche und Bekanntschaften ins Rollen gebracht hat. Eine Verkäuferin hat mir sogar einen Ring geschenkt, weil ich ihr Tipps zum erzielen der Haarfarbe gegeben habe! Es mag also oberflächlich sein, naiv und mädchenhaft, dass ich mein Wohlgefühl von meiner Frisur abhängig mache. Fragwürdig ist vielleicht auch, dass bei mir das Motto „Je auffälliger desto besser“ eine große Rolle zu spielen scheint. Habe ich ein Aufmerksamkeitsproblem? Wer sagt denn, dass ich ein graues Mäuschen sein muss?! Ich bin meinem elf-jährigen-Ich sehr dankbar für die Entscheidung, die mich gelehrt hat, dass einzig und allein wichtig ist, dass ich mich selber schön finde – und das tue ich!


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