Foto: Grobner

„Mädchen“ darf kein Schimpfwort sein

Eine Replik. Karrierefrauen bekommen gebündelte polit-mediale Unterstützung in ihren Anliegen. Damit tragen sie auch eine (feministische) Verantwortung.

 

Wer fällt wem in den Rücken?

Julia Gebert schreibt in dem EDITION F-Artikel „Ein ‚Mädchen’ wird keine Bundeskanzlerin“ gegen Frauen an, die ihrer Meinung nach die Anliegen jener torpedieren, die gegen Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsplatz kämpfen. Dazu zählen für sie jene, die sexistische Klischees bedienen. Jene, die abwertendem Kollegen-Verhalten nicht die Stirn bieten oder – schlimmer noch – es vielleicht sogar in Kauf nehmen, weil man es als „blondes Mädchen“ manchmal vielleicht bequemer und einfacher hat. Gebert nennt dieses Muster „auf ‚doof und niedlich’ machen“ und tappt damit in ein elitefeministisches Fettnäppchen. Sie wirft Betroffenen von Diskriminierung vor, Frauen am oberen Ende der Karriereleiter in den Rücken zu fallen.

Wäre diese Sichtweise nicht so weit verbreitet, wäre eine Replik aufgrund der Absurdität eigentlich hinfällig. Doch dieses abputzende und abgrenzende Verhalten fällt in letzter Zeit immer häufiger bei, wenn man so will, Karriere-Feministinnen auf. Sie bedienen sich dabei desselben misogynen Instrumentariums wie die Akteure der frauendiskriminierenden Arbeitswelt. Zugespitzt findet sich das in der Verwendung von „Mädchen“ als Schimpfwort wieder.

Die Verknüpfung von „doof und niedlich“ mit „Mädchen“ verletzt mich als Frau und Feministin ebenso wie als Mutter einer Tochter. Mädchen werden angefangen von Medienbildern über Verhaltensnormen bis hin zu den angebotenen Konsumgütern in die Rolle des Mädchens gedrängt – egal, ob sie das wollen oder nicht. Als Eltern dagegen ankämpfen ist schwerer, als ich mir das kinderlos vorgestellt habe. Und während sich Erwachsene rundherum an den Entzückungen und Bezauberungen von Glitzerschuhen und Haarspangen erfreuen („Wie süß!“), ist die Uncoolness dieses Mädchen-Habitus längst mehr oder weniger unausgesprochene Bildungsbürgertum-Übereinkunft.

Über Mädchenkram und Top Girls in der Arbeitswelt

Femininität wird aus kapitalistischen, heterosexistischen oder welchen Gründen auch immer von klein auf von Mädchen und Frauen eingefordert und ihnen aufgedrängt, gleichzeitig jedoch kontinuierlich abgewertet. Für die Qualitäten der Eigenschaften, die gemeinhin unter Mädchen-Sein subsumiert werden, ist die Gesellschaft blind.

Ohne Zweifel, auch in mir kocht es, wenn ich vor geschlechtergetrennten Bekleidungsabteilungen in Kaufhäusern stehe und diese wahlweise in Hello-Kitty-Pink oder Superman-Blau eingefärbt sind. Auch ich könnte seitenweise Protestbriefe gegen gegenderte Spielsachen und Bücher verfassen. Und ja, auch ich hasse es, wenn mein Frau-Sein gleichgesetzt wird mit Kochkünsten und technischer Unbegabtheit. Aber noch unwohler wird mir dabei, wenn ich sehe, wie Mädchen und Frauen für geschlechtstypische Vorlieben heruntergemacht werden.

Die Geschichte der Abwertung des als weiblich Etikettierten ist eine lange. Darin stellt die Arbeitswelt keine Ausnahme dar – und darunter leiden unterm Strich selbstverständlich auch Karriere-Frauen. Dann etwa wenn sie zwar nicht mehr so salopp wie einst den „Unfähigkeitsstempel“ aufgedrückt bekommen, ihr Können jedoch dennoch anders bewertet wird als jenes ihrer männlichen Kollegen. Wenn es überhaupt zu einer qualitativen Bewertung kommt: Denn die hört oft bei der Beschreibung von Mimik und Kleidung auf.

Marginalisierung von Femininität

Untersuchungen belegen längst die Trivialisierung und Marginalisierung von Politikerinnen durch die Medien und die Frage nach Kinder(losigkeit) bei erfolgreichen Unternehmerinnen oder Managerinnen wird selten übersprungen. Zum Sandberg’sche „Lean in“-Credo frei Haus mitgeliefert wird die Botschaft, dass eine jede für ihr Glück selbstverantwortlich ist. Mit diesem zynischen Statement wendet sich der Lean-In-Feminismus von einer Mehrheit der Frauen ab und schließt einen Großteil von Lebensrealitäten aus. Es stellt sich also die berechtigte Frage, warum um alles in der Welt der Kampf um Gleichberechtigung hauptsächlich neoliberale Karriere-Bedürfnisse befriedigen soll. Die Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsmarkt hat viele Spielarten – und die kontinuierliche Abwertung von als weiblich gelabelten Skills ist eine wesentliche davon. Dass darunter auch Karrieristinnen leiden ist eine Nebenerkenntnis.

Wenn Frauen sich mit ihrer diskriminierten Rolle in einer sexistisch-diskriminierenden Arbeitswelt abgefunden haben und möglicherweise einen momentanen Vorteil daraus für sich ziehen, dann ist ihr Kopf-Einziehen dennoch dem System anzulasten und nicht ihnen selbst. Diskriminiert werden und dagegen ankämpfen macht müde. Ständig die Reibungsfläche durch das Aufzeigen von frauenfeindichem Verhalten im Arbeitsalltag zu sein auch. Ist es zu viel verlangt, den Unterschied zwischen angepasstem und aufzwingendem Verhalten zu unterscheiden? Nicht die, die ihr Frausein als Ausrede für Unwissenheit vorschieben oder die es sich in der „Niedlich-Schublade“ bequem gemacht haben, torpedieren irgendwelche Gleichberechtigungsanliegen, sondern die, die ihnen das vorwerfen. Solidarität ist zu einer Worthülse verkommen, wenn sich Elitefeministinnen ständig von Diskriminierungsbetroffenen abgrenzen.

Top Girls, gebt Rückendeckung!

Gebert endet ihren Kommentar mit der Anrufung, Frauen müssten sich selbst ändern. Dieser Forderung möchte ich an dieser Stelle in ihrer Allgemeingültigkeit entschieden widersprechen. Solange Frauen nur mit einer männlichen Maske reüssieren können, solange wird Weiblichkeit einseitig interpretiert und gleichzeitig abgewertet. Solange „Mädchen“ als Schimpfwort und Synonym für Unwissenheit funktioniert, solange leiden alle Frauen darunter.

Ziel des Kampfes um Gleichberechtigung in der Arbeitswelt kann nicht das Nacheifern eines männlichen Ideals sein, sondern das Ende der zweigeschlechtlichen Zuschreibung von Fähigkeiten. Darin liegt auch eine gewisse Verantwortung der „Top Girls“ – in Anlehnung an die Definition der Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie also jener Frauen, die den lockenden „postfeministischen“ Geschlechtervertrag, der Beruf und Konsum bietet, ohne Kritik an der männlichen Ordnung akzeptieren. Ihre feministischen Werte gehen Hand in Hand mit den neoliberalen, werden medial wie politisch hauptsächlich verhandelt und stellen unterpriviligierte und prekäre Lebenssituationen in den Schatten. Die „Top Girls“ haben bereits viel Rückendeckung. Nicht genug, dem stimme ich zu. Aber die meiste von allen.

Nicht Frauen sollten sich ändern müssen, wenn sie nicht wollen oder können, sondern das System, das die vermeintlich passenden Schubladen dazu erfindet und aufrechterhält.

„Kohls Mädchen“ und die „Mutti der Nation“ hat es vielleicht geschafft, sich von den diskriminierenden weiblichen Labels zur ernst genommenen Staatspolitikerin zu emanzipieren. Das ist ein persönlicher Erfolg für Angela Merkel und die Realität eines tollen Rollenvorbildes. Alle Mädchen und Muttis werden durch diese und ähnliche Narrative aber erst recht wieder auf ihren Platz am Ende der Schlange verwiesen. Das ist nicht gerecht.

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