Die libanesische Fotografin Tanya Traboulsi hat den Tod ihres Vaters in ihren Bildern verarbeitet – ein Gespräch über die Alltäglichkeit der Trauer.
„Ich finde einen gewissen Halt in der Fotografie”
Während die libanesische Fotografin Tanya Traboulsi an einem Fotoband über ihre kulturelle Doppelidentität arbeitete, starb ihr Vater. Die Fertigstellung des Buches wurde zu einem Teil des Versuchs, ihre Trauer zu bewältigen. Nächsten Monat wird es veröffentlicht – und zeigt auf berührende Weise, wie Trauer einen Menschen verändern und erden kann.
Vor zwei Jahren war er einfach weg. Das Telefon klingelte und die Welt, die Tanya Traboulsi kannte, liebte und natürlich irgendwie auch als selbstverständlich empfand, hörte auf zu existieren. Als vor zwei Jahren das Telefon klingelte, hatte die österreichisch-libanesische Fotografin ihren Vater verloren. „Ich war wie gelähmt, gleichermaßen im Kopf wie im Körper”, sagt sie heute. Von diesem Moment an wurde Trauer zu einem Teil ihres Lebens, gerade weil es unerwartet geschah, weil es noch so viel zu besprechen gab und so viele Baustellen aus der Vergangenheit zu beseitigen. Bevor ihr Vater starb, begann Tanya mit der Arbeit an dem Fotoband „Lost Strange Things – On Not Finding Home”: „Ich wollte etwas machen, das bleibt. Eine Ausstellung ist für zwei oder drei Monate geöffnet und dann sind die Bilder weg. Bücher bleiben.”
Zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen
Eigentlich sollte sich das Buch mit dem Zusammenspiel aus Zerrissenheit und persönlicher Bereicherung auseinandersetzen, die man empfindet, wenn man zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen ist. In ihrem Fall ist das der Libanon, die Heimat ihres Vaters, die sie wegen zweier Bürgerkriege mehrmals verlassen mussten, und Österreich, die Heimat ihrer Mutter. Ein Jahr hatte sie bereits an dem Projekt gearbeitet – bis das Telefon klingelte, und mit Tanya veränderte sich auch „Lost Strange Things”: „Beim Herumstöbern und Aufräumen fand ich Kisten mit alten Familienfotos, Dias, Briefen und Fahrscheinen. Ich dachte plötzlich, dass all diese Schnipsel und Erinnerungen die Serie bereichern könnten.”
In dieser Zeit wurde ihre Arbeit in Beirut mehrmals ausgestellt, Tanya pendelte zwischen Österreich und dem Libanon, setzte sich mit ihrer Familiengeschichte auseinander und führte alte Fundstücke und neue Fotografien zusammen: Meine Fotos haben sich sehr verändert, ich kann nicht wirklich sagen, ob es die Farben sind oder die Technik, aber das Gefühl ist ein anderes. Alles wurde etwas weniger verträumt und romantisch. Die Portraits, die ich zum Schluss fotografiert habe, veränderten sich am stärksten. Die abgebildeten Personen posieren ziemlich steif, surreal und sehr unnatürlich. Fast wie Statuen. Dagegen stehen die klassischen Motive meiner Kindheit, meine erste Fotokamera und ein schwedisches Holzpferd. Insgesamt ist mein Stil härterer und echter geworden, vielleicht gleicht er jetzt mehr dem Leben so wie es ist, und nicht, wie ich es gern hätte,” sagt sie.
Tanya spricht etwas unaufgeräumt und unfertig über den Tod ihres Vaters, machmal bricht sie mitten im Satz ab und ringt um die richtigen Worte. An ihrer Arbeit klammert sie sich fest. Das Buch, das für Außenstehende vielleicht wie abstrakte Kunst wirkt, hat für sie eine fast therapeutische Bedeutung bekommen. Wenn man sie bittet, ihre Gefühle in Phasen zu beschreiben, gleicht das für sie der Aufforderung, ihre Gefühle in Schubladen zu stecken und das funktioniert für sie nicht. Da sind „Verwirrung, Wut, Hoffnungslosigkeit, Resignation, Betäubung, Unsicherheit”, aber eigentlich ist es eine ziemlich unbequeme und ziemlich undefinierbare Mischung aus alldem. Und diese Mischung kommt in Schüben.
Zwei Jahre später noch Rückschläge
„Lost Strange Things” wird im kommenden Monat in Beirut veröffentlicht. Im Moment ist sie von morgens bis abends in der Druckerei. „Der gesamte Prozess, der letztlich zum Endergebnis führte, war wunderschön. Ich habe ihn als sehr heilend und erdend empfunden. Bei der grafischen Arbeit haben wir die Archivbilder mit meinen neueren Fotografien so gedoppelt, dass man Parallelen sehen kann. Manchmal ist der Ort der gleiche, oder beide Personen haben eine ähnliche Haltung. Am Ende passte alles zusammen.”
Als selbstständige Fotografin, die ihre Hauptinspiration schon immer in der manchmal bunten, und im Moment öfter dunklen Realität fand, kommen trotz akribischer Aufarbeitung und Konfrontation auch zwei Jahre später noch Rückschläge. Da macht dann nichts Sinn, noch nicht einmal die Kamera. Dabei hinterlässt eine schwierige Zeit nicht nur Kratzer auf der Seele: „Ich glaube, dass ich in meiner Arbeit reifer geworden bin, auch im Umgang mit Menschen und mit Kommunikation im allgemeinen. Ich habe gelernt, ,Nein’ zu sagen. Ich weiß jetzt viel definierter, was ich will und was ich nicht will,” sagt sie. Es ist ein täglicher Spagat zwischen dem Anspruch, sich von so viel Dunklem nicht vereinnahmen zu lassen, und ihrer Trauer die Luft zu geben, die sie braucht. Die Freiheit, dass das auch mal nicht klappt, nimmt sie sich heraus. Vielleicht braucht der Prozess länger, als sie das gerne hätte, aber sie muss da durch, sonst bleibt auch ihrer Fotografie keine Luft mehr zum Atmen: „Ich habe gelernt, dem Schmerz einen Platz in meinem Herzen und in meinem Kopf zu geben, wo ich ihn rational verarbeiten kann. Der Prozess hat über ein Jahr gedauert. Wenn du mit etwas konfrontiert bist, das du nicht ändern kannst, dann bist du früher oder später gezwungen weiterzumachen. Aber es gibt immer noch Tage, da weiß ich nicht, wie.”
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