Foto: Oliver Kepka

Almut Schnerring: „Care-Arbeit macht gesellschaftliches Miteinander überhaupt erst möglich“

Ohne gute Ideen und Menschen, die sie Realität werden lassen, wird sich unsere Welt nicht positiv entwickeln. Wir haben Frauen, die für den 25 Frauen Award nominiert waren, Fragen zur Zukunft gestellt. Eine von ihnen ist: Almut Schnerring. 

Unsere Welt steht immer komplexeren Herausforderungen gegenüber. Wir brauchen starke Ideen, die Bahnbrechendes in den Bereichen Digitalisierung und Innovationskraft, Klimaschutz und Bildung, Arbeit, Gerechtigkeit und demografischer Wandel bewirken. Dabei spielen Frauen eine zentrale Rolle. Frauen, die jeden Tag daran arbeiten, unsere Zukunft nachhaltig, friedlich, gerecht und innovativ zu gestalten.

„Care-Arbeit ist das, was gesellschaftliches Miteinander überhaupt erst möglich macht, aber im heutigen System gilt sie nur in wenigen Bereichen als ,echte’ Arbeit, und wird auch dort unverhältnismäßig schlecht bezahlt bzw. unter prekären Bedingungen ausgeführt.“

Almut Schnerring

Die Autorin und Journalistin Almut Schnerring hat, ausgehend von ihrem Buch und Blog „Die Rosa-Hellblau-Falle“, den „Goldenen Zaunpfahl“ initiiert, ein Negativpreis für Gendermarketing. Um auf die mangelnde Wertschätzung von Care-Arbeit aufmerksam zu machen, hat sie gemeinsam mit Sascha Verlan den „Equal Care Day“ ins Leben gerufen und bietet in ihrem Buch „Equal Care“ Lösungen für dieses Problem.

Wenn es nach dir geht: Wie sieht die Zukunft aus?

„Die Zukunft, die ich mir erträume, hat viel mit dem zweiten Artikel des Grundgesetzes zu tun, der uns allen die freie Entfaltung der Persönlichkeit verspricht. In dieser Zukunft, die es erst nach einem grundlegenden Systemwechsel geben kann, würde Arbeit völlig neu definiert und bewertet. Bisher gibt es in den wichtigsten Jobs das geringste Honorar und ein hohes Risiko für Altersarmut.

Ich meine damit vor allem all die unbezahlten und bezahlten (re-)produktiven Tätigkeiten des Sorgens und Sich-Kümmerns. Das fängt an mit der Begleitung und Versorgung Neugeborener und Gebärender, reicht über die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern im Vor- und Grundschulalter, die familiäre und professionelle Pflege und Unterstützung bei Krankheit oder Behinderung, über die Hilfe zur Selbsthilfe unter Freund*innen, Nachbar*innen, im Bekanntenkreis, bis zur Altenpflege, Sterbebegleitung und Grabpflege. 

Care-Arbeit ist das, was gesellschaftliches Miteinander überhaupt erst möglich macht, aber im heutigen System gilt sie nur in wenigen Bereichen als ,echte’ Arbeit, und wird auch dort unverhältnismäßig schlecht bezahlt bzw. unter prekären Bedingungen ausgeführt. Außerdem gilt Care-Arbeit als etwas Weibliches, das ja ,von Herzen’ kommt, für das es anscheinend mehr Liebe und Empathie braucht als Kompetenz und Professionalität. Das führt dazu, dass vor allem Frauen in schlecht bezahlten Care-Berufen arbeiten, die zuletzt als ,systemrelevant‘ zwar Applaus bekamen, aber trotzdem keine Gleichstellung mit Berufen im technischen Bereich erfahren. 

In einer Zukunft, die ich mir erträume, haben sich all meine jetzigen Projekte erübrigt, denn es gibt dann keinen Gender Care Gap und keine ,Rosa-Hellblau-Falle’ mehr, sondern Wahlfreiheit unabhängig von Geschlecht, Aussehen, Herkunft oder Einkommen.“

Was muss dafür jetzt getan werden und was tust du?

„In der aktuellen Gleichstellungspolitik geht es vor allem um die Situation Erwachsener – und der Fokus liegt meist auf dem beruflichen Kontext. Oft fehlt mir da die Sicht der Kinder. Es gerät mir viel zu oft aus dem Blick, wie sehr das Private den beruflichen Erfolg mitbestimmt und wie früh in der Kindheit die Ungleichheiten beginnen: Bevor Kinder in die Schule kommen, sind die meisten überzeugt, dass es keine Hürden für sie gibt, die mit dem Geschlecht zu tun haben: alle können alles.

Aber ab fünf Jahren fängt es an, dass Mädchen ihre Leistung unterschätzen und Jungs für besser geeignet halten, wofür auch immer. Außer vielleicht fürs Kinderbetreuen. Tatsächlich werden Mädchen auch heute noch viel mehr in die Care- und Familienarbeit einbezogen, müssen mehr mithelfen, haben dadurch weniger Zeit für sich. Wie soll ‚Equal Care‘ gelingen, solange kleine Jungs, die sich eine Puppe wünschen, sogar von Erwachsenen ausgelacht werden?

Und das sind nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen, dass da noch viel passieren muss, bis wir Kinder nicht mehr unbewusst einschränken in ihrer Wahlfreiheit. Deshalb bin ich, ausgehend von meinem Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle“ gemeinsam mit Sascha Verlan unterwegs mit Vorträgen und Workshops, und ich freue mich, dass nach und nach ein Netzwerk zur #RosaHellblauFalle gewachsen ist, in dem Gleichgesinnte über Social Media zusammenfinden und Projekte planen.

Ich bewege mich also an der Schnittstelle zwischen Aufklärungsarbeit und politischem Aktivismus. Informationen zusammenzufassen ob als Text, als Radiobeitrag oder in Veranstaltungen und dann darüber ins Gespräch kommen, halte ich für wichtig, weil viele Erkenntnisse der Wissenschaft nicht wirklich ankommen bei den Betroffenen. Und Aktivismus erachte ich deshalb als essenziell, weil wir an vielen Stellen gar kein Wissensproblem mehr haben, sondern mit der Umsetzung vorhandener Lösungen einfach nicht vom Fleck kommen. Deshalb braucht es den Druck von Einzelpersonen und von der Zivilgesellschaft.“

Welche Pläne hast du für deine persönliche Zukunft?

„Ich wünschte, existentielle Themen wie die Lage der Flüchtlinge, der Klimawandel, Rassismus oder Sexismus, hätten auf institutioneller Ebene eine viel höhere Priorität, sodass ich mich als Privatperson darauf verlassen könnte, dass die, die dafür bezahlt werden, sich tatsächlich so sehr gegen Diskriminierung und Ausbeutung von Mensch und Natur einsetzen, dass sich endlich spürbar etwas verbessert. Ich wünsche mir auch für meine Kinder endlich wieder eine Politik, die Anlass zu Optimismus gibt. 

In der Zwischenzeit setze ich darauf, dass ich die Einführung eines Grundeinkommens noch erleben darf. Kein bedingungsloses, aber ein Grundeinkommen, das die Maßgaben des Genderbudgeting und Umweltfragen berücksichtigen würde, das wäre toll. Denn leider gilt ja nicht nur für uns, sondern für viele andere, gemeinnützige Projekte: viel zu viel Zeit und Kraft und Gedanken drehen sich um Finanzierung und Machbarkeit. Da mehr Spielraum zu haben, wäre wunderbar, und würde helfen und noch einmal eine ganz andere Dynamik erzeugen.“

Jetzt abstimmen!

Auch in diesem Jahr verleihen Almut Schnerring und der gemeinnützige Verein Klische*esc. e.V. wieder den „Goldenen Zaunpfahl“, ein Negativpreis für Gendermarketing. Welches Unternehmen hat aufgrund von stereotypen Rollenbildern in der Werbung einen Wink mit dem Zaunpfahl nötig? Hier erfahrt ihr mehr über die unrühmlichen Nominierten und könnt an der öffentlichen Abstimmung teilnehmen.

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