Foto: pan xiaozhen | Unsplash

Warum sich unser Verständnis von Bildung ändern muss, um den digitalen Wandel zu meistern

Was brauchen wir für ein Bildungssystem, um Schüler*innen auf den digitalen Wandel vorzubereiten? In vielen Bereichen stecken wir hier noch in den Kinderschuhe.

Begehrte Fachkräfte finden sich nur noch durch Headhunter*innen

Für Headhunter*innen ist die internationale Entwicklerkonferenz der Code-Plattform Github ein Paradies: Rund 800 Informatiker*innen, Programmierer*innen und andere Expert*innen aus der IT-Branche tummeln sich auf dem alten Industriegelände des Berliner Kraftwerks, wo die Veranstaltung in diesem Jahr stattfindet. Hannah Schwär von Business Insider hat sich mit IT-Expert*innen unterhalten.

Hier trifft man sie also, die begehrten Fachkräfte, die auf dem normalen Arbeitsmarkt so gut wie gar nicht mehr zu finden sind. Es sind vor allem junge Männer in Firmenlogo-Shirts und mit von Stickern beklebten Laptops unterm Arm, zwischendurch sieht man auch die ein oder andere Frau.

Industrienationen wie Deutschland werden in den kommenden Jahren dringend auf sie angewiesen sein, um die digitale Transformation der Wirtschaft — vom selbstfahrenden Auto bis hin zur Roboter-Fabrik — zu meistern.

Unter ihnen ist auch Omoju Miller, leitende Datenwissenschaftlerin bei Github und ehemalige Google-Mitarbeiterin. In der Szene gilt sie als wahrer Daten-Guru: Sie ist im Expertenrat des Weltwirtschaftsforums zum Thema Künstliche Intelligenz und hat in der Vergangenheit die Obama-Regierung dabei beraten, den innovativen Geist des Silicon Valley in die amerikanischen Behörden zu holen.

Miller: Bildungssystem bereitet nicht ausreichend auf digitalen Wandel vor

Miller glaubt: Das westliche Bildungssystem bereitet die nächste Generation nicht ausreichend auf den bevorstehenden Wandel vor. Weder bringe es zahlenmäßig genug IT-interessierten Nachwuchs hervor, noch gebe es die richtigen Fähigkeiten mit auf den Weg.

„Ich glaube nicht, dass wir dabei auf einem guten Weg sind. Im Unterricht geht es immer noch viel zu stark darum, Dinge auswendig zu lernen und Wissen abzufragen. Was wir unseren Schüler*innen viel mehr beibringen sollten, ist die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen“, sagte Miller im Gespräch mit Business Insider.

In einer Welt, in der die verfügbaren Informationen exponentiell wachsen und Künstliche Intelligenz in kürzester Zeit daraus neue Erkenntnisse schließen kann, werde man schnell auf neue Gebiete vordringen, die man sich heute noch gar nicht vorstellen kann. Um damit als Arbeitnehmer*in mithalten zu können, sei der Wille und die Fähigkeit zur Weiterbildung daher wichtiger denn je.

Zudem müssten Schulen die digitale Ausbildung stärker in den Unterricht einbinden, so Miller: „Informatik ist eine Grundbildung, genauso wie Mathematik oder Sprachen. Es muss daher auch ein fester Bestandteil des Bildungssystems sein.“

Deutschland bildet zu wenig Informatiker*innen aus

Schon heute zeichnet sich ab, dass Deutschland viel zu wenig Nachwuchs im Bereich Informations- und Telekommunikationstechnik ausbildet. Knapp 54.000 Stellen für IT-Fachkräfte blieben im vergangenen Jahr unbesetzt, wie aus Zahlen der Bundesarbeitsagentur hervorgeht. Mehr als viereinhalb Monate verbringen die Unternehmen im Schnitt damit, um eine*n geeignete*n Kandidat*in zu finden.

Wie überhitzt der IT-Jobmarkt derzeit ist, zeigen auch die Erfahrungen, von denen die Teilnehmer*innen der Github-Entwicklerkonferenz erzählen. „Es ist ein großes Karussell: In der Branche werben wir uns über Headhunter*innen gegenseitig die Leute ab, denn Bewerber*innen gibt es kaum noch“, sagte ein Abteilungsleiter eines großen, deutschen Logistikkonzerns.

IT-Jobmarkt ist überhitzt, die Konkurrenz um Talente enorm

Andere Entwickler*innen, mit denen Business Insider sprach, berichten von ähnlichen Erfahrungen. Teilweise werde man täglich mit Linkedin-Anfragen von Headhunter*innen bombardiert, selbst wenn die eigene Qualifikation eigentlich nicht passe oder zu gering sei. „Die Not scheint wirklich groß zu sein“, sagte ein Teilnehmer.

Nicht nur in der freien Wirtschaft, sondern auch in der Forschung sind qualifizierte Informatiker offenbar knapp, weil viele Student*innen angesichts der Flut an Angeboten ihr Studium vorzeitig abbrechen. „Es ist derzeit gar nicht so einfach, PhD-Student*innen (Doktoranten, Anm. d. Red.) zu finden“, so ein Informatiker des Hasso-Plattner-Instituts zu Business Insider.

Und die Fachkräfte-Lücke wird voraussichtlich noch größer: Nach einer Studie des Stifterverbands und der Unternehmensberatung McKinsey braucht Deutschland bis 2023 zusätzliche 700.000 Technologiespezialisten (z.B. Big Data Analysten, Robotik-Entwickler, UX-Designer), um die Digitalisierung der Wirtschaft zu gestalten. Dem gegenüber stehen rund 73.000 Studienanfänger*innen, die sich jährlich für den Fachbereich Informatik einschreiben.

Druck auf Bildungspolitik enorm

Wenn Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier also das Ziel formuliert, dass Deutschland „zum weltweit führenden Standort für Künstliche Intelligenz“ werden soll, dann hängt der Erfolg dieses Unterfanges vor allem davon ab, genug Fachleute auszubilden oder aus dem Ausland anzuziehen.

Angesichts des enormen Fachkräftemangels, der sich in den Statistiken abzeichnet, ist der Druck auf die Bildungspolitik enorm. So fordern der Verband der Internetwirtschaft, der Bundesverband Deutsche Startups und der Bundesverband Künstliche Intelligenz etwa, dass Informatik zum Pflichtfach an Schulen werden solle.

Vielerorts fehlt dafür allerdings – ganz abgesehen vom Willen —  die notwendige Hardware und Kompetenz, um so ein Vorhaben überhaupt umzusetzen. Der Digitalpakt Schule soll das nun ändern. Doch bis die digitale Bildungsoffensive in den Schulen angekommen ist, hängt die Ausbildung der nächsten Generation von Programmierer*innen und Informatiker*innen vor allem davon ab, dass sie sich die Fähigkeiten in Eigenregie beibringen.

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