Foto: Annika Weertz

Charlotte Brandi: „Ich habe keinen Bock mehr, Angst zu haben“

Manchmal hilft eine Traumwelt, um mit der eigenen Wut klarzukommen und manchmal braucht es eine reale Kampfansage an den Albtraum. Im Interview erzählt die Musikerin Charlotte Brandi von ihrer persönlichen Heldinnenwelt, ihrem All-FLINTA-Album und neuen Synergien.

Charlotte Brandi wurde in die Musik hineingeboren. Bekannt wurde sie zusammen mit Matze Pröllochs als Me and my drummer, das Debütalbum The Hawk The Beak The Prey erschien 2012 bei dem Berliner Indie-Label Sinnbus. Im Jahr 2016 folgte Love Is A Fridge. Nach etwa 300 Konzerten in ganz Europa und zwei erfolgreichen Alben lösten sich Me And My Drummer Anfang 2018 auf. Das erste Solo-Album von Charlotte The Magician erschien 2019 auf PIAS Recordings. Und vor wenigen Wochen veröffentliche sie dann An den Alptraum – und damit nicht nur ihren ersten deutschsprachigen Longplayer, sondern auch ein rein unter FLINTA-Beteiligung produziertes Werk. Es geht um Männer, Frauen, die Angst, das Geld, den Tod und den Beitrag zur Revolution. 

Cover: „An den Albtraum“

Die Songs auf deinem Album „An den Alptraum“ haben etwas Sanftes, Verträumtes; fast schon Fröhliches. Sie tragen gleichzeitig aber Titel wie „Ekel“ oder „Geld“ und verhandeln Themen wie Frauenhass und Unterdrückung. Wie schaffst du es, nicht wütend zu klingen?

Charlotte Brandi: „Ich versuche in meiner Musik immer, die Würde zu erzeugen, die mir als Privatperson in manchen Momenten fehlt. Ähnlich wie eine Regisseurin oder Schriftstellerin, die eine Geschichte erzählt, um gegen die eigene Peinlichkeit und Unwürdigkeit anzuarbeiten. Wenn ich ich wirklich verzweifelt und wütend bin, hilft es, diese Emotion in dem Moment komplett auszuleben, aber die Musik schafft einen Rahmen, die dem Ganzen den Cringe entzieht – und da ist für mich guter Humor das Mittel der Wahl.“

Interessiert dich nicht |
Noch so eine laute Person |
Mit markantem Gesicht |
Deine Antipathie hat mich lange erstaunt |
Jetzt ergibt alles Sinn |
Du hast einfach Angst vor Frauen
/

Charlotte Brandi: „Ekel“

Deinen Song „Ekel“ singst du fünfstimmig – quasi mit dir selbst im Chor. Woher nimmst du die verschiedenen musikalischen Einflüsse?

„Das Lied lehnt sich an alte gregorianische Gesangsstrukturen und Mönchgesänge an. Ich fand es lustig, ein Lied über etwas so Niedriges wie das Ekelgefühl in ein Musikgewand zu kleiden, das eigentlich aus der höchsten Stufe der Gesellschaft kommt – Kirchenmusik. Ich mag Kontraste, die Spannung erzeugen und ich mag traditionelle Musik, die Menschen vereint, daher der Chor.“

Als ich deinen Song „Geld“ das erste Mal gehört habe musste ich an die Filmmusik von „Ronja Räubertochter“ denken und fand das ganz passend: Ronja stammt aus einer mystischen Männer-Welt und muss sich gegenüber ihren Ängsten behaupten.

„Du triffst voll ins Schwarze: Diese abartig gute Filmmusik von ,Ronja Räubertochter‘ ist eines meiner prägendsten Filmerlebnisse. Ich finde mich komplett wieder in Astrid Lindgrens Heldinnenwelt – vor allem in der von Ronja. Ich versuche in meiner Musik einen Herzensweg zu finden, über etwas Archaischeres und die Wirklichkeit gleichzeitig sanfter zu zeichnen, als sie ist.

Astrid Lindgren hat mit ihren Märchenwelten auf die schönste Art und Weise Eskapismus betrieben. Ihre Prosa erscheint mir oft wie Lyrik, durch ihren Beat und die Art, wie sie Elemente wie in einem Refrain wiederholt. Ab dem Zeitpunkt, da Lindgrens Jugend vorbei war, hatte sie es einfach nur schwer und musste sehr unter den damaligen Sexismen leiden. Als Reaktion darauf hat sie Welten aufleben lassen, die sie für sich als heimisch empfunden hat – ähnliches mache ich in meiner Musik auch.“

„Das klingt kitschig, aber ich träume davon, dass wir uns alle mehr verzeihen und auch anderen mehr verzeihen, damit wir am Ende alle zusammenfinden und die Schwächeren zu Gleichstarken machen können.“

Charlotte Brandi

Auf deinem Album-Cover sehen wir dich als starke Kriegerin, die ein Schwert über dem Kopf hält. Gegen wen oder was kämpfst du?

„Ich kämpfe gegen den Albtraum. Ich habe in meinem Leben schon viele Albträume gehabt, und als Reaktion darauf manche meiner Lieder geschrieben. Ein Albtraum ausgeweitet nicht nur auf die Nacht, sondern auf einen Zustand, den man nicht ertragen kann, ist etwas sehr Persönliches und gleichzeitig Politisches.
Ich war gerade in Paris in einer Ausstellung von Faith Ringgold, einer US-amerikanischen Künstlerin, die sich viel für die Rechte von Schwarzen eingesetzt hat. Eines ihrer Werke ist ein bestickter Quilt, auf dem man eine Schwarze Frau sieht, die sich hinter Pflanzen auf einer Plantage versteckt und daneben die Worte: Fear makes you weak. Daran muss ich seitdem immer wieder denken, weil ich ein ängstlicher Mensch bin und aus meiner Angst eigentlich nie etwas Gutes gekommen ist. Nur Fehlentscheidungen, Aggressivität oder falscher Rückzug, falsche Bescheidenheit oder People Pleasing. Dagegen kämpfe ich, denn ich habe keinen Bock mehr, Angst zu haben.“

Foto: Annika Weertz

Bei der Arbeit an deinem Album hast du ausschließlich mit FLINTA-Personen zusammengearbeitet. Wolltest du einen Safe Space für dich und deine Musik schaffen?

„Zunächst war das einfach ein Experiment, das ich mir auferlegt habe. Ich wollte schauen, ob es genug Menschen in meinem Umfeld gibt, um das Album ohne cis Männer zu produzieren. Tatsächlich bestand die größte Herausforderung darin, die Menschen adäquat bezahlen zu können, da es für viele Musikschaffende – so auch mich – gerade in den Nachwehen der Pandemie besonders hart wird. Außer mir haben insgesamt sieben Menschen mitgearbeitet, davon sind zwei nichtbinär und die anderen Frauen. Die einzige Rolle, die ich nicht so easy mithilfe meines Netzwerks besetzen konnte, war die der Produzentin, also habe ich diese Rolle selbst eingenommen.“

Hast du eindeutige Unterschiede bei der Zusammenarbeit wahrgenommen?

„Ich habe mich selbst bei der Arbeit nicht verstellt oder geflirtet. In der Vergangenheit habe ich mich oft ,work-verknallt‘ und Energie verloren, indem ich versucht habe, den Raum zu harmonisieren. In der Zusammenarbeit mit Männern wurden meine Entscheidungen oft angezweifelt, wodurch ich mich verunsichern oder überreden lassen habe, bestimmte Songs nicht oder anders zu spielen. Diese Verunsicherung kam vielleicht auch aus mir selbst und hatte nicht immer direkt etwas mit den Männern zu tun. Aber über die letzten Jahre habe ich gemerkt, dass ich eigentlich ganz genau weiß, was ich möchte.
Wenn ich jetzt etwas gesagt habe, wurden die Dinge genauso umgesetzt. Ich konnte allen Beteiligten vertrauen, wenn es um ihre jeweilige Expertise ging und mich ansonsten komplett autonom auf meine Inhalte konzentrieren. Das hat sehr viel Zeit und Energie gespart.“

Wovon träumst du, wenn du an die Zukunft des Musikmachens denkst?

„Ich träume davon, dass noch mehr Synergien entstehen und der Gedanke der Gleichberechtigung endlich richtig verstanden wird. Gleichberechtigung ist keine Waffe und es geht auch nicht darum, die einen Menschen auszuschließen, um die anderen in den Raum zu holen. Um die eigenen Privilegien abzugeben, braucht es zunächst einmal einen liebevollen Umgang mit sich selbst. Das klingt sehr kitschig, aber ich träume davon, dass wir uns alle mehr verzeihen und auch anderen mehr verzeihen, damit wir am Ende alle zusammenfinden und die Schwächeren zu Gleichstarken machen können.“

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