Foto: Paul Zimmer

„Als Schauspielerin liebe ich es, Geschichten über starke Frauen zu erzählen“

Die Schauspielerin Dayan Kodua spricht über die Notwendigkeit, immer wieder ins kalte Wasser zu springen. Sie erzählt, wie sie von der Filmwelt wahrgenommen wird – und wie sie wahrgenommen werden möchte. Ein Porträt. 

Ich treffe Dayan Kodua im Stammhaus von Mutterland, einem Café ganz in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs. Für einen Montagmorgen ist es voll, die Geräuschkulisse sehr laut. Nebenan wird renoviert, immer wieder übertönt der Presslufthammer unsere Stimmen. Dann schreien wir uns an und lachen dabei.

„Ich wachse jedes Mal, wenn ich auf der Bühne stehe“

Dayan Kodua ist Schauspielerin, Moderatorin, Synchronsprecherin, Sängerin, Tänzerin und seit vergangenem Jahr auch Kinderbuchautorin. Wird sie nach ihrem Beruf gefragt, fällt die Antwort kürzer aus: „Ich bin Schauspielerin.“ Mit dem Schauspiel habe bei ihr alles angefangen. „Auf der Bühne zu stehen, das bedeutet für mich Freiheit. Die Freiheit, das zu sein, wovon ich die ganze Zeit träume. Die Freiheit, jemand anders zu sein und die Gefühle und Sehnsüchte mit der Welt teilen zu dürfen. Und die Freiheit, mich aus meiner Komfortzone rauszukicken und ins kalte Wasser zu springen. Ich wachse jedes Mal, wenn ich auf der Bühne oder vor der Kamera gestanden habe. Ich merke das sofort: Ich bin gewachsen.“ Dabei sei es ganz egal, ob sie auf der Theaterbühne stehe oder vor der Kamera und wie letztes Jahr in der Oper. Und auf eine Art spiele sie auch dann eine Rolle, wenn sie moderiere oder schreibe. „Geschichten zu erzählen ist das, was ich bin, was ich mache“, sagt Dayan.

Dayan Kodua verkörpert am liebsten starke Frauen.
Foto: Julia Santoso

Aber welche Art von Geschichten brauchen wir heute? Dayan zögert. Eigentlich wolle sie ihre Hautfarbe nicht zum Thema machen. Aber wenn es um die Geschichten geht, die sie erzählen möchte, ist das anders (noch) nicht möglich. Die Entscheider*innen bei Film, Fernsehen und Theater geben Dayan bestimmte Rollen, die mit den typischen Klischees behaftet sind. Sie sieht sich selbst aber ganz anders. „Als Schauspielerin liebe ich es, Geschichten über starke Frauen zu erzählen. Was kann ich erzählen, damit Lieschen Müller und Petra daraus lernen können? Für mich geht es nicht in erster Linie darum, dass ich als Schwarze Frau eine Schwarze Rolle spiele. Sondern: Das ist eine Frau und die spielt eine Rolle und ich als Zuschauer*in kann mich damit identifizieren. Ich kann es nachempfinden, weil ich es auch erlebt habe oder weil ich genau diesen Schmerz spüre – vollkommen unabhängig von der Hautfarbe. Das sind die Rollen, die mich interessieren. Und ich hoffe und wünsche es mir wirklich, dass sich für Menschen mit Migrationsgeschichte oder Menschen of Color die Türen öffnen, damit wir diese Art von Geschichten erzählen können.“

„All diese Fehlgedanken, die müssen raus!“

Blickt man sich aktuell in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft um, so entsteht der Eindruck einer Parallelwelt, weil all die Mitmenschen mit nicht-deutschen Wurzeln auf dem Bildschirm einfach nicht oder viel zu wenig vorkommen. Dayan kann diese Unterforderung der Gesellschaft nicht begreifen. „Wenn ein Film mit Will Smith neu erscheint, hier in Deutschland, dann gehen alle hin und schauen sich das an. Oder ,Hidden Figures‘. Oder ,Black Panther‘. Das sind alles Schwarze Menschen. Ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft dafür bereit ist. Ich bin der Meinung, dass Lieschen Müller dafür bereit ist. Ich glaube nur, dass die Entscheider*innen auch dafür bereit sein müssen. Tatsache ist: Wir wollen vernünftig repräsentiert werden, weil wir hier leben, dazugehören und Steuern sowie GEZ-Gebühren zahlen – und da bin ich der Meinung, dass es jetzt verdammt noch mal endlich an der Zeit ist, dass die Entscheider*innen sagen: Ok, let’s try it. Aber wenn sie es nicht versuchen, dann denkt Lieschen Müller, dass das Land nur aus weißen Menschen besteht. Das ist so! Viele Leute wissen gar nicht, wie viele erfolgreiche Schwarze, Türk*innen, Araber*innen, Chines*innen, Pakistani etc. hier leben, weil: Die werden ja nicht gezeigt. Und wenn du ständig Schwarze als Prostituierte, Drogendealer*innen oder Chines*innen als Restaurantbesitzer*innen oder Pakistani als Putzkräfte im Fernsehen siehst … All diese Fehlgedanken, die müssen raus! Und das geht nur, wenn das auch in den Medien widergespiegelt wird. Und eben nicht, wenn diese klischeebehafteten Darstellungen und Bilder immer und immer wieder in den Medien gezeigt werden.“

„Es geht mir darum, dass ich die Menschen erreichen möchte“

Dayan Kodua als Ella. Foto: Julia Santoso

2019 hat Dayan das Theaterstück „Hallo Ella“ selbst produziert und gespielt: 90 Minuten steht sie allein auf der Bühne und spielt eine Frau, die durch eine Begegnung mit einer Fremden mit der Frage konfrontiert wird, ob dieses Leben, das sie führt, wirklich das Leben ist, das sie selber möchte. Oder ob sie dieses Leben führt, weil die Erziehung, die Gesellschaft, der Freund*innenkreis ihr eine bestimmte Richtung vorgegeben haben. Sie vollzieht eine radikale Veränderung und teilt ihre Gedanken und Ängste mit dem Publikum: Wir planen immer alles, sei es Versicherung, Einkäufe, Urlaub, etc, und vergessen dabei oft, im Hier und Jetzt zu sein. Mit dem Eintritt in die Welt bekommt man eine Jacke übergezogen von der Gesellschaft, vom Elternhaus – und so geht man dann durch das Leben. Aber ist das das Leben?

Die Reaktionen auf ihre Ella-Rolle waren enorm. Unterschiedlichste Menschen kamen im Anschluss auf Dayan zu, suchten das Gespräch, bedankten sich. „Und das ist es, was ich meine“, sagt Dayan. „Es geht mir darum, dass ich die Menschen erreichen, berühren möchte mit dem, was ich auf der Bühne oder auch vor der Kamera erzähle.“

„Ich kannte mich gar nicht mehr“

Dayan kommt aus einem kleinen Dorf in Ghana, sie gehört zum Stamm der Ashanti. Sie ist zehn Jahre alt, als ein ganz anderes Leben mit ihrer Familie in Europa beginnt. „Als Kind hab ich offenbar gedacht, wenn die Flugzeuge nach oben gingen: Im Himmel, da ist Europa. Das war das Bild, was ich hatte. Als ich dann hier ankam, war ich schon am Flughafen schockiert: Wow, das sind alles weiße Menschen.“ Sie lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester in Kiel. Hier beginnt ein Kampf, den Dayan mit sich selber ausficht. Herausgerissen aus ihrem Leben, aus ihrem Alltag, der Sprache nicht mächtig, irgendwie einsam. Während ihre Eltern in ihr ein starkes großes Mädchen sehen, das das alles mit links macht, zieht sich Dayan immer mehr in sich zurück. Sie beschreibt ihre Depression damals so: „Ab meinem 11. Lebensjahr wurde ich innerlich kleiner. Menschen, die mich nicht kannten, haben mir immer gesagt, dass ich nicht ausreiche. Und das hat dafür gesorgt, dass ich kleiner wurde. Ich kannte mich gar nicht mehr und habe immer versucht, jemand anderes zu sein. Sie haben zu mir gesagt: „Du bist zu Schwarz. Deine Haare sehen komisch aus. Darf ich mal deine Zöpfe anfassen.“ Und ich dachte: Dann bin ich nicht gut genug. Wenn ich gut genug wäre, würde ich doch das alles nicht hören. Und das hat als Teenager zwischen 16 und 19 dafür gesorgt, dass ich angefangen habe, meine Haut zu bleichen und die Haare zu glätten. Weil ich immer hörte: Du bist zu Schwarz, du bist zu dünn, du bist dies zu wenig und du bis das zu viel. Über diesen unaufhörlichen Kampf – ich bin nicht gut genug – habe ich mit niemandem gesprochen. Heute kann ich darüber sprechen, weil ich inzwischen weiß, wer ich bin.“

„Ich springe ständig“

Dayan ist eine Macherin: „Alles ist möglich.“
Foto: Christoph Mannhardt

Dayan sagt über ihr Leben, dass es voller Sprünge ins kalte Wasser sei. Immer wieder tue sich ein Abgrund auf und dann springe sie, ohne zu wissen, was sie erwarte. So habe es eigentlich auch begonnen. Der Gegenwind von allen Seiten sei schon immer groß gewesen. Trotzdem hat sie den Sprung gewagt, selbst wenn sie manchmal scheiterte: Jedes Erfolgserlebnis hat ihr Mut gemacht für das nächste Mal. Erst ist es die Lehrerin, die ihr davon abrät, von der Hauptschule in die Realschule zu wechseln – dann macht Dayan Abitur. Alle raten ihr vom Modeln ab, dann läuft sie unter anderem für Escada und Versace. Alle raten ihr von ihrem Traumberuf ab, dann ist sie eine gefragte Schauspielerin in Kino- und TV-Produktionen. „Ich springe ständig. Also wirklich, ich springe ständig! Diese Angst, etwas nicht zu tun, weil es nicht klappen könnte – so etwas habe ich einfach nicht. Das liegt vielleicht daran, dass ich in Afrika geboren bin, und dass du in Afrika nicht lange mit Angst zu leben brauchst, weil du sonst nicht überlebst. Und was viele Leute von mir nicht wissen: Ich hab eine ganz harte Kindheit gehabt. Und dafür bin ich total dankbar, weil ich denke, dass mich das zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.“

„My Black Skin“ und „Odo“

Für Dayan ist die Sichtbarkeit und Sichtbarmachung von People of Color ein großes Thema. Und sie fehlt bei weitem nicht nur im Filmbereich. Aus diesem Grund hat Dayan einen eigenen Verlag gegründet, in dem sehr wichtige Bücher erschienen sind, die große Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben: „My Black Skin“ (2014) ist ein Bildband über Schwarze Deutsche, die über ihre Erfolge in Wirtschaft und Politik, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Sport berichten. Dayan möchte hier Vorbilder zeigen: Wir sind da. Wir sind nicht unsichtbar. Und du kannst alles schaffen, wenn du es willst. 

Mit „Odo“ ([​ɔdɔ] Twi, dt.: Liebe) hat Dayan in 2019 ihr erstes Kinderbuch vorgelegt. Im Jahr 2021 folgte der zweite Band: „Odo und der Beginn einer großen Reise.“ Ich erzähle Dayan, dass ich selbst zwei Kinder habe und wir immer wieder feststellen, dass der Großteil der Kinderbücher, die wir im Buchladen oder in der Bibliothek finden, nicht die Realität widerspiegelt – denn die kleinen Held*innen sind nach wie vor zumeist weiß. Im Vorwort zu „Odo“ heißt es: „Kinder empfinden sich grundsätzlich als normal und gehen so auch auf andere Kinder zu. Wenn sie schon früh Geschichten über Kinder mit unterschiedlicher Hautfarbe lesen, kommt es gar nicht erst zu einer anerzogenen Art der Wahrnehmung mit eingeschränkter Weltsicht.“

„Es war einmal ein kleines hübsches Mädchen mit Namen Odo.“
Foto: Christoph Mannhardt

Odo ist sechs Jahre alt und lebt in einem Dorf in Ghana. Ihr größter Traum ist eine Schwarze Puppe. Aber das Geld ist knapp, es reicht gerade so zum Überleben. – Das Besondere an der Geschichte ist etwas, was Kinderbücher grundsätzlich selten können: Es wird ein Ausschnitt aus dem ganz realen Leben eines Kindes genommen und erzählt. Das schafft eine ganz andere Spannung im Vorleseprozess, als wenn Tiere miteinander sprechen oder Kinder mit bösen Drachen kämpfen. Die Kinder identifizieren sich, stellen Fragen, wollen mehr über die Figuren wissen. Ich lese Dayan meine Lieblingsstelle vor, als Odo auf den Stammesältesten trifft, der zu ihr sagt: „Manche guten Dinge benötigen ihre Zeit. Du musst nur weiter daran glauben und sie in deinen Gedanken lebendig machen.“ Dayan lächelt. „Für mich steht der Dorfälteste stellvertretend für alle Menschen, die ich über die Jahre kennenlernen durfte und die mir gute Tipps gegeben, die mich aufgebaut, die mich motiviert, die an mich geglaubt haben. Nach all den negativen Erlebnissen trifft man jemanden und der sagt nur einen Satz und dieser eine Satz gibt dir wieder Hoffnung. Ja, für mich steht der Dorfälteste für all diese Menschen.“

Ideen müssen ernstgenommen werden

Dayan sprudelt vor Ideen. Alle haben mit dem Mittelpunkt ihres Lebens zu tun: Dem Erzählen von Geschichten. „Ideen“, sagt Dayan, „sind für mich Geschenke des Universums. Wenn du sie nicht ernst nimmst und umsetzt, dann verarschst du das Universum.“ Eine ihrer neuesten Ideen: Sie hat Schwarze Puppen zu ihrem Kinderbuch „Odo“ herstellen lassen. Die (wunderschönen!) Puppen können über die Verlagswebsite bestellt werden. „Das ist mein Beitrag im Kampf gegen Rassismus“, sagt Dayan. „Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen wir etwas tun.“

Der Presslufthammer nebenan ist verstummt. Zwei Stunden sind vergangen im Café Mutterland in Hamburg. Ein Kellner mit Mundschutz steht an unserem Tisch. Eines möchte ich noch von Dayan wissen: Welche Vision hat sie, wenn sie an unsere Zukunft denkt? – Sie nimmt den letzten Schluck von ihrem Orangensaft, setzt das Glas wieder ab und sagt: „Ich möchte mit meinem Dasein erreichen, dass viele Menschen ein anderes Bewusstsein bekommen. Dass Menschen erkennen, wie wichtig sie sind und dass sie in der Lage sind, alles zu erreichen. Dass meine Kinder nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden, sondern für ihr Können, ihre Talente, ihr Herz, ihre Persönlichkeit. Dass ich alle Möglichkeiten nutze, Dinge umzusetzen, von denen ich geträumt habe und Ideen umzusetzen, die mir geschenkt wurden.“

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