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„Jede Gewalttat eines Erwachsenen an einem Kind stellt auch ein gesellschaftliches Versagen dar“

Er ist ein gefeierter Schauspieler. Und er ist ein Täter. – In diesen Tagen beginnt der Gerichtsprozess gegen Florian Teichtmeister. Was sagt der Fall über den Kulturbetrieb aus, was sagt er über unsere Gesellschaft aus?

Florian Teichtmeister steht auf großen Bühnen, vor Kameras, er genießt die Aufmerksamkeit des Publikums, erntet viel Applaus. Im August 2021 bekommt die Weste einen Fleck: Seine Freundin setzt einen Notruf ab. Häusliche Gewalt, Drogen sind im Spiel. Und der Schauspieler ist im Besitz von bildlichen Darstellungen von Kindesmissbrauch, die er der Polizei bereitwillig aushändigt: Er ist geständig. Seit der Spielzeit 2019/20 war Florian Teichtmeister festes Ensemblemitglied im Burgtheater in Wien, das ihn jetzt – im Januar 2023 – entlassen hat.

Unsere Community-Autorin schreibt über den vermeintlichen Widerspruch zwischen Erfolg und gemunkelter Täterschaft auf der öffentlichen Bühne. Sie richtet den Fokus auf die Opfer. Auf das System, das den Missbrauch ermöglicht. Und sie fordert einen neuen Blick und eine neue Art der Auseinandersetzung:

Wird ein erfolgreicher Mensch eines besonders tabuisierten Verbrechens überführt, steht rasch die große Frage im Raum, wie das bloß zusammengehen konnte – steile Karriere und privater Abgrund, professionelle Förderung und moralische Abdankung, breite Beliebtheit und ungeheuerliche Gerüchte, ungebrochener Alltag im inneren Ausnahmezustand. Wie kann ein Mensch im öffentlichen Ansehen nicht absinken, ja sogar florieren, mithilfe seines Umfelds die eigene Marke polieren, wenn er zugleich im Verdacht steht, hinter den Kulissen Undenkbares zu verüben?

„Wie kann ein Mensch im öffentlichen Ansehen nicht absinken, mithilfe seines Umfelds die eigene Marke polieren, wenn er zugleich im Verdacht steht, hinter den Kulissen Undenkbares zu verüben?“

Einen Hinweis darauf liefert eine Gemeinsamkeit jeder öffentlichen Enttarnung – einer Anklage, einem Geständnis: Immer rutscht das Grauen der Tat selbst schnell in den Hintergrund. Das Verbrechen – sagen wir Konsum von dokumentierter sexueller Gewalt gegen Kinder, Gewalt also gegen jene, die schutzbedürftig, schutzbefohlen, der Gesellschaft anvertraut, von ihr abhängig und ihr ausgeliefert sind – wird in der öffentlichen Diskussion rasch abgespalten.

Unzumutbar wäre es, diese Opfer so menschlich zu betrachten wie den Täter, zudem jede Gewalttat eines Erwachsenen an einem Kind auch ein gesellschaftliches Versagen darstellt. Die unzähligen Kinder, die für diese Art des Konsums entmenschlicht werden, verwandeln sich im Diskurs über diese Entmenschlichung vollends zur abstrakten Größe, die die Fallhöhe des Täters definiert, werden zu einem Mittel, das Faszinosum Täterfigur zu ermessen. Genau, wie das Kind sich innerlich spalten muss, um nach einer solchen Tat zu überleben, spaltet die Gesellschaft die Tat am Kind von ihrem Bewusstsein ab, um sich dann umso mehr auf das schwarze Schaf unter ihresgleichen zu konzentrieren.

„Genau, wie das Kind sich innerlich spalten muss, um nach einer solchen Tat zu überleben, spaltet die Gesellschaft die Tat am Kind von ihrem Bewusstsein ab, um sich dann umso mehr auf das schwarze Schaf unter ihresgleichen zu konzentrieren.“

Genau diese Spaltung der öffentlichen Wahrnehmung ist es paradoxerweise, die schon vor der Aufdeckung das vermeintlich Unvereinbare – hier geheime Gräueltaten, da gesellschaftlicher Glanz – zusammengefügt hat. Sie sind keine Gegensätze, sie gehen Hand in Hand. Sie bedingen einander, füttern einander, ermöglichen einander, sie bilden als Parasit und Wirt gemeinsam einen kaum durchdringbaren symbiotischen Schutzpanzer, von dem beide profitieren, sei es bewusst oder unbewusst. Ihn zu erkennen und zu durchschlagen erfordert Anstrengung, Bereitschaft und eine Umstellung der Sehgewohnheiten.

Jede Art von Doppelleben erfordert Schauspielkunst. Jede Art von Schauspielkunst erfordert einen Glanz, ein Charisma, das in uns den Wunsch erweckt, hinzuschauen, weiterzuschauen, zuzuhören, sich auf das einzulassen, was da gespielt wird. Und je größer das Risiko, je tabuisierter die Tat, je gewagter der Drahtseilakt zwischen verborgenem Verbrechen und öffentlichem Gesicht, desto mächtiger wird das, was man behelfsmäßig die Strahlkraft des Täters nennen kann.

„Je größer die Gefahr der Entdeckung, desto gewaltiger die Wirkmächtigkeit des Täters, desto dringender der Wunsch des Umfelds, sich ihrer zu bedienen.“

Diese Strahlkraft speist sich aus dem doppelten Zwinkern im Auge, dem Hauch von Egal, die den Täter umweht und ihm umamigleich eine schwer zu greifende Dimension verleiht, die als menschliche Tiefe missdeutet wird. Das angenehme Kribbeln, das sich bei uns einstellt, wenn der gewohnheitsmäßige Tabubrecher mit einem Hang zum Exhibitionismus charmiert und hin und wieder offen auf die eigene Lasterhaftigkeit anspielt, um sich selbst zu kitzeln.

Gezielte Selbstentblößung und wohlgehegte Ichverrätselung in einem selbstgestrickten Labyrinth um einen rottenden Kern. Angedeutete Enthemmung bei eiserner Selbstkontrolle; ein wohliger Schauer, wenn ein erwachsener Mensch sich in kindliche Posen wirft, mit der eigenen Wandlungsfähigkeit kokettiert, unvermittelt oder auf Zuruf das Fach wechseln kann, jedes Register spielt, auf Kommando Tränen vergießt und das auch noch bewirbt. Ironisch, sarkastisch, gepeinigt, spitzbübisch, launisch, sinnlich und dreist. Kindlicher, gequälter, offenherziger Charme mit einem prickelnden, leicht überreifen Beigeschmack, eine Mischung, die mit steigendem Adrenalinspiegel immer unwiderstehlicher wird.

Je größer die Gefahr der Entdeckung, desto gewaltiger die Wirkmächtigkeit des Täters, desto dringender der Wunsch des Umfelds, sich ihrer zu bedienen, sich in ihr zu sonnen, sie auszustellen, sich an ihr zu bereichern und sie dadurch zu reinigen und zu pflegen. Die durchschimmernde Abseitigkeit ist die Zauberzutat, das uneingestandene Gewürz; die maskierte Ungeheuerlichkeit ein wohlfeiles Gegenmittel zur Flachheit, wie bei Filmschaffenden oder Schreibenden, die sich nur der traumatischsten Stoffe bedienen, um eigene Tiefe vorzutäuschen. Eine auf welcher Ebene auch immer wahrgenommene Bereitschaft zur Grenzüberschreitung ist in einem erfolgshungrigen Umfeld eine gar nicht zu überschätzende Allzweckwaffe.

„Es ist ein vampirisches, sich selbst erhaltendes System, und es ist überall.“

Dafür braucht es keine Theaterbühne, kein Filmset, kein literarisches Parkett. Es kann auch der Nachbar sein, der den Eltern des Kindes von nebenan vorgaukelt, ein netter Kerl zu sein, jemand, den man kennen sollte, einen bedeutungsvollen Beruf zu haben, eine geheimnisvolle Aura, Sex-Appeal für eins der Elternteile zu haben oder Einfluss beim Vermieter.

Überall, wo Erwachsene sich der Kinder bedienen, ihnen die Kindheit rauben und sich deren kindliches Privileg absaugen, für nichts, aber auch gar nichts verantwortlich zu sein, wird sich um sie herum auch eine Gesellschaft finden, die sich vom Täter benutzen lässt und sich umgekehrt seiner bedient.

Es ist ein vampirisches, sich selbst erhaltendes System, und es ist überall. Die, die es von sich aus erkennen können, sind die, die wissen, wie es sich anfühlt, sich innerlich spalten zu müssen, weil sie sonst nicht mehr am Leben wären. Alle anderen müssen einen neuen Blick darauf bekommen – und eine neue Art, darüber zu sprechen.

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