Foto: Amy Treasure | Unsplash

Schmerzen beim Sex: „Häufig treten Ängste auf, welche die Betroffenen sehr belasten“

Schmerzen beim Sex? Häufig ein Tabuthema, das die Betroffenen sehr belastet. Wir haben mit der Psychologin Anna-Carlotta Zarski von der Universität Erlangen über ein noch recht neues Krankheitsbild gesprochen – und darüber, wie ein neu entwickeltes Online-Training Abhilfe schaffen kann.

Wenn Sex mit Angst und Schmerzen verbunden ist

Schmerzen beim Sex kann viele Ursachen haben – und nicht alle sind körperlich. Ein noch recht neues Krankheitsbild nennt sich Genito-Pelviner Schmerz-Penetrationsstörung (GPSPS). Im Interview mit uns erklärt uns die Psychologin Anna-Carlotta Zarski von der Universität Erlangen mögliche Auslöser und welche Methoden Abhilfe schaffen können. Sie forscht zu GPSPS und  hat gemeinsam mit einem Team ein Online-Training entwickelt hat, das betroffenen Frauen helfen soll.

Sie forschen an der Uni Erlangen im Bereich Klinische Psychologie und Psychotherapie – derzeit besonders zum Thema Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung. Was genau beschreibt das?

„Frauen mit Genito-Pelviner Schmerz-Penetrationsstörung (GPSPS) leiden unter Schwierigkeiten und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Dadurch ist Sex beeinträchtigt oder unmöglich, obwohl bei den betroffenen Frauen der Wunsch nach Sexualität besteht und keine körperlichen Ursachen vorliegen. Die beschriebenen Schwierigkeiten können auch bei der Verwendung von Tampons oder dem Einführen von Fingern in die Vagina auftreten. Häufig treten begleitend Ängste auf, zum Beispiel vor Schmerzen, welche die Betroffenen sehr belasten.“

Wie viele Frauen leiden darunter in etwa in Deutschland?

„Genaue Zahlen zur Verbreitung der Genito-Pelvinen Schmerz-Penetrationsstörung sind aktuell noch unbekannt. Die Diagnose ist noch relativ jung und entstand im Zuge der Überarbeitung des diagnostischen und statistischen Leitfadens psychischer Störungen. Hier wurden die Diagnosen Vaginismus (Penetrationsstörung) und Dyspareunie (sexuelle Schmerzstörung) vereint, da beide Krankheitsbilder eng miteinander verbunden sind und in der Vergangenheit schwer voneinander getrennt diagnostiziert werden konnten. Geschätzt sind zwischen 0,4 und 21 Prozent der Frauen betroffen.

Was können die Ursachen hierfür sein? Und kann sich GPSPS auch im Laufe der Zeit entwickeln, wenn man zunächst nicht darunter leidet?

„Ursachen für die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung können vielfältig sein, meistens wirken unterschiedliche Erfahrungen zusammen. Eine Ursache kann zum Beispiel die Tabuisierung von Sexualität in der Erziehung sein, welche mit Schuld- und Schamgefühlen in Bezug auf Sex einhergehen kann, oder ein negatives Körperbild. Auch schmerzhafte Erfahrungen, beispielsweise bei einer gynäkologischen Untersuchung, können ein Auslöser sein. Die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung kann auch durch körperliche Ursachen ausgelöst werden, geht aber nicht ausschließlich auf einen medizinischen Faktor zurück. Schwierigkeiten und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr können seit Beginn des ersten vaginalen Einführens bestehen oder sich im Laufe der Zeit entwickeln. Aufrechterhalten wird das Krankheitsbild der GPSPS vor allem durch die Angst vor Schmerzen und Geschlechtsverkehr. Daraus folgt häufig die Vermeidung von Sex und sexueller Intimität im Allgemeinen.“

Was macht diese Schmerz-Störung mit den betroffenen Frauen? Ich kann mir vorstellen, dass die Angst vor Sex enorm ist.

„Die Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung hat in vielen Fällen zur Folge, dass Sex nur unter Schmerzen und Angst möglich ist. Somit vermeiden die Frauen Sex oftmals komplett. Es entsteht ein Teufelskreis, der sich in vielen Fällen negativ auf die sexuelle Zufriedenheit, das eigene Selbstverständnis als Frau und die Partnerschaft auswirken kann. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es wichtig, an drei Punkten anzusetzen: den Gedanken, den Gefühlen und dem eigenen Verhalten. Das bedeutet konkret, Strategien für den Umgang mit negativen Gedanken und unerwünschten Gefühlen zu erlernen. Dazu kommen Entspannungs- und Beckenbodenübungen und schrittweise vaginales Einführen mit Dilatoren zu üben. Als Partnerschaftsübung kann ‚Sensate Focus’ (Anm. der Redaktion: therapeutisch angeleitete Übungen) empfohlen werden, bei welcher Intimität, körperliche Nähe und gegenseitige Berührungen im Vordergrund stehen. So wird erstmal der Druck herausgenommen, Geschlechtsverkehr haben zu müssen.“

Es scheint mir auch ein Thema, das nicht wirklich weit verbreitet ist. Wie kamen sie zu dem Forschungsthema, was ist ihre Motivation und wieso ist in diesem Bereich nicht schon viel mehr geschehen?

„Schwierigkeiten und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr zählen immer noch zu den Tabuthemen in unserer Gesellschaft und sind mit großer Scham verbunden. Viele Frauen, die unter GPSPS leiden, wissen deshalb häufig lange nicht, worunter sie genau leiden und es kann Jahre dauern, bis sie Hilfe zur Bewältigung ihrer Beschwerden finden. Sexuellen Funktionsstörungen bei Frauen wurden darüber hinaus bis jetzt sowohl in der Forschung als auch hinsichtlich der Behandlung wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Aus diesem Grund sind Behandlungsangebote rar gesät.

In unserer Arbeitsgruppe an der Universität Erlangen-Nürnberg beschäftigen wir uns mit webbasierten Interventionen zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen und zur Förderung von Gesundheitsverhalten. Aufgrund der Anonymität und der Möglichkeit zu einer zeit- und ortsunabhängigen Teilnahme sind wir überzeugt, dass sich Online-Trainings gut zur Ergänzung existierender Behandlungsmöglichkeiten für sexuelle Funktionsstörungen eignen. Aus diesem Grund haben wir ein internetbasiertes Training entwickelt, das speziell auf die Bedürfnisse von Frauen mit Genito-Pelviner Schmerz-Penetrationsstörung ausgerichtet ist. In einer wissenschaftlichen Studie möchten wir das Training nun auf seine Wirksamkeit hin testen. Ein ähnliches Programm hat sich in einer Vorläuferstudie bereits vielversprechend in der Behandlung von Vaginismus gezeigt.“

Wo setzt dieses Online-Training (Paivina-Care) an, wie lange dauert es und wie kann es dann zur Linderung beitragen?

Paivina-Care ist ein onlinebasiertes Selbsthilfe-Training für Frauen mit GPSPS, die keinen Geschlechtsverkehr haben können. Das Training besteht aus acht Modulen und wir empfehlen, ein Modul pro Woche zu bearbeiten und begleitend die Übungen zu Hause durchzuführen. Sich etwas länger Zeit für die einzelnen Module zu nehmen, ist dabei natürlich auch möglich. Das Paivina-Care Training vermittelt unter anderem Strategien und Techniken zu vaginalem Einführen mit Dilatoren, Partner- und Entspannungsübungen und Strategien zur Verbesserung des Umgangs mit negativen Gedanken und Gefühlen. Zwischen den Trainingseinheiten ist es wichtig, die Übungen im Alltag regelmäßig zu trainieren. Zur Trainingsunterstützung können die Teilnehmerinnen ein Online-Tagebuch nutzen, in dem sie ihre Gedanken und Gefühle zu den Übungen und ihren Trainingsfortschritt festhalten können. Im Rahmen unserer wissenschaftlichen Studie kann das Paivina-Care Training aktuell erfreulicherweise kostenfrei angeboten werden.“

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie eine Trainingseinheit aussehen würde?

„Die Trainingseinheiten beinhalten Erklärungstexte, Videos und Audiodateien zum Beispiel für Entspannungsübungen. Sie sind interaktiv, was bedeutet, dass Teilnehmerinnen die Möglichkeit haben, über ihre individuellen Symptome zu berichten und eigene Gedanken aufzuschreiben. In jeder Trainingseinheit können die Teilnehmerinnen diejenigen Inhalte auswählen, die sie interessieren und zu denen sie mehr erfahren möchten. So kann sich das Training individuell an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen. In unserer ersten Lektion ‚Wissenswertes’ geht es zum Beispiel konkret darum, was genau man unter der Genito-Pelvinen Schmerz-Penetrationsstörung eigentlich versteht, sich mit der eigenen Entstehungsgeschichte der Beschwerden auseinanderzusetzen, zu erfahren, wie der Partner in das Training einbezogen wird und Strategien zu erlernen, wie man sich während des Trainings am besten selbst unterstützen kann, zum Beispiel mit hilfreichen Motivationstipps, um mit den Übungen am Ball zu bleiben.“

Hat man bei diesem Training auch die Möglichkeit, Ansprechpartner zu kontaktieren?

„Teilnehmerinnen erhalten beim Trainieren Unterstützung durch eine persönliche Betreuerin, die ihnen als Ansprechpartnerin während des gesamten Trainings zur Seite steht. Auf jede absolvierte Trainingseinheit erhalten die Teilnehmerinnen von ihrer Betreuerin schriftliches Feedback, welches auf bearbeitete Inhalte und Übungen Bezug nimmt und auch Hilfe beim Auftreten möglicher Schwierigkeiten geben kann.“

Ist es möglich, dass Training auch ohne einen Partner zu absolvieren, wenn man beispielsweise Single ist?

„Aktuell ist das Paivina-Care Training nur für Paare ausgelegt und bezieht dementsprechend den Partner auch in viele Übungen mit ein. Das Training ist grundsätzlich für Frauen geeignet, die seit mindestens sechs Monaten aufgrund von Schmerzen und Einführungsschwierigkeiten keinen Geschlechtsverkehr haben konnten.“

Unsere Gesprächspartner Dipl. Psych. Anna-Carlotta Zarski. Bild: Privat

Anzeige