In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: öffentliche Ärgernisse.
Stillen ja, aber bitte nicht so exponiert
Die Ausgangslange, das haben wahrscheinlich schon einige mitbekommen, naja, zumindest diejenigen, sie sich für solche Nebenkriegsschauplätze interessieren angesichts der allgemeinen Weltlage:
Ein Café-Besitzer hat einer Frau im einschlägig bekannten Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg nahegelegt, das Café zum Stillen zu verlassen. Die Frau hat daraufhin eine Online-Petition gestartet, die, als ich gerade nachschaute, bereits 17.000 Unterschriften erhalten hatte.
Der besagte Café-Besitzer war vor mehr als drei Jahren schon mal
unangenehm aufgefallen und einmal quer durch die Medienlandschaft gereicht worden, weil er einen Poller aufgestellt hatte, um Leute mit Kinderwagen von seinem Laden fernzuhalten. Große Empörung!
Was ist schlimmer: Knutschen oder Stillen?
Also ich zum Beispiel würde jetzt dazu neigen, einfach zu sagen: Der Typ scheint ein ziemlich unsympathischer, bornierter Schnösel zu sein, auf dessen Chichi-Röstkaffeeschuppen ich sowieso keinen Bock hätte, selbst dann nicht, wenn ich gar nicht vorhätte, eine Brust aus dem T-Shirt zu hängen. Man muss aber auch sagen, dass es halt sein eigener Chichi-Röstkaffeeschuppen ist, und da darf er nun mal bestimmen, was man da zu tun und zu lassen hat. Solange solche Begebenheiten nicht zu oft vorkommen, würde ich erst mal sagen: Was solls!
Als wir uns gerade hier in der Redaktion zum Thema unterhielten, brach es plötzlich aus Kollegin Silvia heraus (sie hatte während des Studiums lange Jahre in der Gastronomie gearbeitet): Stillen, das sei ihr immer so was von egal gewesen, aber die schlimmsten, die wirklich allerschlimmste Gästegruppe, die einzige Gästegruppe, die sie regelmäßig zum (inneren) Wüten gebracht hätte, das seien die Mütter gewesen, die regelmäßig in Grüppchenformation in das Selfservice-Café eingedrungen seien, zu viert 20 Plätze besetzt, sich stundenlang an einem grünen Tee festgeklammert, den Laden mit ihrem eigenen Wohnzimmer verwechselt , Tupperware mit Spaghetti Bolo ausgepackt und die vollgekackten Windeln Silvia zum Entsorgen auf den Tabletts hinterlassen hätten. Einmal, sagt Silvia, ein einziges Mal hätte sie sich getraut, eine Mutter vorsichtig darauf hinzuweisen, dass das Verhalten nicht so wirklich in Ordnung sei, und habe die „Kinderfeind“-Keule mit voller Wucht zu spüren bekommen.
Wickeln auf dem Restauranttisch? Hm…
Mir fiel dazu auch eine Geschichte ein, die mir bis heute wahnsinnig peinlich ist: Ich habe meinem Kind aus Versehen mal die vollgeschissenen Windeln auf einem Tisch in einem voll besetzten italienischen Restaurant gewechselt. Die zahlreich anwesenden Gäste waren tatsächlich so nett, das zu ignorieren. Erst nach einer ordentlichen Standpauke des Wirts dämmerte es mir irgendwann: Oh Gott, was habe ich getan! Mir war tatsächlich damals in dem Moment nicht bewusst gewesen, wie unangemessen das war. Och, kein Wickeltisch auf dem Klo, mach ich es halt schnell hier….was ich damit sagen will: Ich will Stillen nicht mit dem Wechseln von vollgekackten Windel vergleichen, aber: Was für den einen in seinem eigenen Kosmos vollkommen normal scheint, finden andere unangemessen.
Die Mütterhorden haben Silvia ganz bestimmt nicht absichtlich das Leben schwer gemacht. Manchmal verhält man sich in einer Weise, die für einen selbst stimmig ist, für
andere aber nicht. Ich zum Beispiel neige seit einiger Zeit dazu, mich vor Leute zu ekeln, die in der Öffentlichkeit sehr offensiv miteinander knutschen. Natürlich wäre es mehr als abwegig, das diesen Leuten mitzuteilen. Ich ertrage es. Außerdem finde ich es eine Unverschämtheit, wenn jemand im Kino mit einer Riesenportion Tacos mit Käse überbacken
aufmarschiert. Oder wenn jemand einen Döner in der U-Bahn oder hartgekochte Eiern in geschlossenen Räumen verzehrt.
Aber würde ich auf den anmaßenden Gedanken kommen, eier- und döneressende Menschen zu bitten, das zu unterlassen? Natürlich nicht. Manchmal muss man Dinge ertragen, die einem nicht passen. Andersrum sollte sich jeder, egal ob Mutter oder Döner Esser, von Zeit zu Zeit fragen, ob das eigene Verhalten für andere zumutbar ist.
Perspektivenwechsel ist manchmal hilfreich
In so vielen Momenten im Leben wäre es einfach toll, wenn mehr Menschen in der Lage wären, nicht ständig von sich selbst ausgehen. Ja, es scheint so zu sein, dass es manche Menschen gibt, die es eklig finden, wenn eine Frau ihre Brust rausholt, um ihr Kind zu stillen. Damit umzugehen, ist für stillende Mütter nicht einfach.
Gerade in den ersten Wochen mit dem ersten Kind sind Unsicherheit und Nervosität Dauerzustand. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit meinem ersten Kind, vielleicht zwei Wochen alt, in einem Café saß und sich herauskristallisierte, dass jetzt bald gestillt werden müsste (sprich, Kind brüllte). Ich war so nervös, als müsste ich gleich vor der UN Vollversammlung sprechen. Ich suchte mir eine versteckte Ecke ganz hinten und nestelte umständlich mit einem Tuch herum und war mir ganz sicher, dass sämtliche vorhandene Augenpaare gerade gebannt auf meinen hilflosen Versuch starrten, das Kind möglichst
unauffällig anzulegen.
Ein paar Wochen später war es dann einfach nur noch Routine, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben und nebenbei dem Kind einhändig eine Brust in den Mund zu stopfen, während ich mit der anderen Hand die Gabel ins Wiener Schnitzel bohrte.
Einer braucht Schnitzel, ein anderer Muttermilch
Diese Routine, die müssen andere Leute einfach aushalten, finde ich. Für mich ist es ein Unterschied, ob man vollgeschissene Windeln im Speiseraum entsorgt, Heavy Petting im Café-Schaufenster betreibt oder eben seinem Kind die Brust gibt: Das ist eben einfach die Art, wie Babys essen, zum Beispiel im Restaurant. Der eine bestellt sich ein Wiener Schnitzel, der andere Gulasch, wieder ein anderer trinkt ein Fläschchen, und manche kriegen Muttermilch. Nur weil dafür zufällig eben eine Brust entblößt werden muss, halte ich es für abwegig, von Frauen zu verlangen, sich dafür in eine hintere Ecke eines Cafes oder Restaurants zurückzuziehen, wie das die Autorin dieses Kommentars im Tagesspiegel anregt.
Hier kommt auch so etwas wie Toleranz, oder eine „Leben und Leben lassen“-Einstellung, in Spiel. Ich selbst bin natürlich befangen, weil ich selbst monatelang in allen möglichen und unmöglichen Situationen die Brust rausgeholt habe. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass eine überwältigende Mehrheit aller stillenden Frauen keinerlei Interesse daran hat, sich in der Öffentlichkeit als entblößte Still-Ikone zu inszenieren, sondern einfach nur möglichst dezent und unbehelligt ihr Kind satt kriegen will. Und deshalb hoffe ich sehr, dass stillende Mütter so viel Selbstvertrauen haben, es weiterhin so zu machen, wie sie es möchten.
Im gerade erwähnten Tagesspiegel-Kommentar stehen aber auch ein paar Zeilen, die ich wichtig finde: „Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Frage, wie viel öffentliche Intimität und Entblößung wünschenswert ist, wie viel geduldet werden muss und was überhaupt nicht geht, ein für allemal geklärt werden kann. Freiheitsbedürfnisse und Schamgrenzen müssen immer wieder neu ausgehandelt und austariert werden. (…) Vieles wird sich im Einzelfall im Gespräch klären müssen – und klären lassen. Voraussetzung ist, dass man das eigene Ego mal zurückpfeift und auf demonstratives Handeln verzichtet. Man muss nicht aus allem einen Kulturkampf machen. Dringend nötig wäre, eine alte Tugend neu zu beleben: den Respekt.“
Und ja, es mag hie und da Frauen geben, die „demonstrativ ihre Brüste rausholen“, wie das dann gerne genannt wird. So what! Ich gehe mal davon aus, dass zum Glück gerade diese Frauen, die sich bewusst exponieren, genügend Selbstbewusstsein haben, um diejenigen, die sich darüber aufregen, zusammenzufalten; beziehungsweise einfach kein Problem damit haben, eine Konfrontation auszuhalten.
Bild: Aurimas Mikalausas/flickr
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