Foto: Jan Philipp Welchering

Hannah Elsche: „Eine traumatische Erfahrung bei der Geburt kann es schwer machen, gut in die Elternrolle zu finden“

Der „Roses Revolution Day“ am 25. November ist ein Aktionstag, um über Erlebnisse bei Geburten zu sprechen, bei denen Eltern Respektlosigkeit oder Gewalt erfahren haben. Die Kunsttherapeutin Hannah Elsche arbeitet die damit verbundenen Traumata mit ihren Klient*innen auf und hat im Interview mit uns über ihre Arbeit gesprochen.

Kunsttherapeutin, Aktivistin und Mutter

Geburten – das berichten Menschen, die schon einmal die Ankunft eines Babys erlebt haben – können überwältigende Erfahrungen sein, im positiven wie im negativen Sinn. Wird das Erlebnis danach als Wunder, als etwas Bestärkendes oder als Trauma beschrieben? Die Erfahrungen sind vielfältig. Dazu, wie viele Geburtserfahrungen als traumatisch erlebt werden, gibt es keine gesicherten Zahlen, doch seit 2011 gibt es mit dem „Roses Revolution Day“ sogar einen Aktionstag, bei dem in verschiedenen Ländern auf Erfahrungen aufmerksam gemacht wird, bei denen werdende Eltern Gewalt oder Respektlosigkeit unter der Geburt erfahren haben; sie legen Rosen vor der Tür des Kreißsaals nieder, in dem ihr Kind entbunden wurde. Die deutsche Initiative „Gerechte Geburt“ dokumentiert seit 2014 über eingereichte Fotos und Geburtsberichte die Geburtsstationen, vor denen Rosen niedergelegt werden. Vor mindestens 174 klinische Geburtsstationen soll laut Dokumentation der Initiative im vergangenen Jahr daran erinnert worden sein, dass es unter den Geburten zu gewaltsamen Handlungen kam. 

Was macht so eine Erfahrung mit Müttern, Eltern, Begleitpersonen? Dazu haben wir anlässlich des „Roses Revolution Day“ mit Hannah Elsche gesprochen. Sie hat über das Mutterwerden in zwei zusätzliche Rollen gefunden: Die studierte Kunsttherapeutin hat zum einen ihren Arbeitsschwerpunkt mittlerweile auf die Auseinandersetzung mit Erfahrungen rund um die Elternschaft gelegt; sie begleitet vor allem Mütter, die unter der Geburt Traumata erlitten haben und diese verarbeiten wollen. Zum anderen engagiert sich Hannah, die selbst zwei Kinder hat, bei der Elterninitiative Mother Hood e.V., die sich bundesweit für eine gute Versorgung von Schwangeren, Eltern, Babys und Kindern einsetzt und besonders auf politische Maßnahmen drängt, um die Geburtshilfe in Deutschland zu verbessern und die Missstände zu beheben.

Wir haben Hannah in ihrem Atelier in Berlin-Wedding getroffen und sie gefragt, was Eltern bei Geburten erleben, wie Traumatisierungen entstehen und vermieden werden können, und welche Herausforderungen und schönen Momente ihr Beruf mit sich bringt.

Als Kunsttherapeutin hast du die Möglichkeit, dich mit ganz unterschiedlichen Themen zu befassen und mit Menschen dazu zu arbeiten. Wie ist deine Fokussierung auf Geburtserfahrungen entstanden?

„Meine Hebamme in der ersten Schwangerschaft hat das Samenkorn dafür gesetzt, als sie zu mir meinte, ob das nicht etwas für mich als Kunsttherapeutin wäre, da viele Frauen ihre Geburt aufarbeiten müssten. Das Thema keimte also in mir und ich habe später festgestellt: Es lässt mich nicht mehr los. Gerade nach meiner eigenen traumatischen Erfahrung bei der ersten Geburt und dem, was ich im Kreis meiner Freundinnen erlebte, als wir uns nach den Geburten unserer ersten Kinder wieder trafen und alle von ihren Geburten erzählten. Ich dachte damals: ,Ich will mit keiner Frau tauschen. Das kann doch nicht sein, dass alle so furchtbare Geburten erlebt haben.‘ Die Erfahrungen reichten von: mit Blasensprung und grünem Fruchtwasser ins Krankenhaus, auf dem Gang liegen gelassen werden und über Stunden niemanden zu Gesicht bekommen, über schwerste Geburtsverletzungen, Ausschabungen von Plazentaresten ohne Narkose bis hin zu: aus dem Krankenhaus entlassen zu werden mit den Worten: ,Wenn Sie noch mal ein Kind bekommen wollen … so geht das nicht.‘ Es waren lauter Horrorgeschichten. Da meine Schwangerschaft bereits mit leichten Komplikationen verbunden war, die durch einige unachtsame Kommentare während eines Krankenhausaufenthalts bei mir zu bis dahin noch nicht gekannten Ängsten führten, begann ich in meiner zweiten Schwangerschaft das, was ich gelernt hatte und vor allem das Kunstschaffen für mich zu nutzen. Das gab letztendlich den entscheidenden Impuls für meine Fokussierung.“

Meine Klient*innen sind alle an einem Punkt, an dem sie merken, dass ihr Geburtserlebnis sie nicht mehr loslässt.

Mit welchen Bedürfnissen kommen die Klient*innen zu dir?

„Ich biete Kunsttherapie für Frauen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Elternschaft an. Dazu gehören auch Frühgeburtserfahrungen sowie der Verlust eines Kindes. Ich muss aber sagen, dass fast alle Frauen, die zu mir kommen, Traumatisierungen hatten. Der Schwerpunkt auf Geburtstraumata ist eindeutig, obwohl ich das so nicht vorhatte. Das größte Bedürfnis meiner Klient*innen nach solchen Erlebnissen ist dann wohl, mit dem Erlebten Frieden zu schließen.“

Gibt es das typische Geburtstrauma?

„Die Arten der Traumata sind sehr vielfältig, die Ursachen sind sehr unterschiedlich, weil natürlich die Frauen so unterschiedlich sind. Was für die einen noch okay sein kann, ist für andere schwersttraumatisch. Wenn es zum Beispiel um Sprache geht, wenn jemand sprachlich grob ist, dann kann die eine Frau das gut aushalten, die andere ist schockiert, weil sie es nicht einordnen kann. Denn es hat auch mit Vorerfahrungen aus dem Leben der Frauen zu tun, welche Erlebnisse sie vielleicht auch bereits mit Gewalt gemacht haben, was ihr Unbewusstes triggert, wie ihre inneren Bilder berührt werden, also welche Übertragungen aktiviert werden, oder wie sie in die Geburt reingegangen sind.

Das soll aber keinerlei groben Umgang rechtfertigen oder Empfindungen herabwürdigen. Gewalt ist immer Gewalt und es muss Aufgabe der Geburtshelfer*innen sein, in jedem Fall empathisch auf die Gebärende, auf die werdenden Eltern einzugehen. In einem solchen existentiellen Moment kann es nicht Aufgabe der werdenden Eltern sein, sich dazu positionieren zu müssen.“

Wann kommen die Frauen zu dir in Therapie und Workshops? Schon kurz nach der Geburt?

„Meistens kommen sie erst spät. Oft gibt es von außen jemanden, der*die sagt: ,Kümmere dich da mal drum.‘ Die meisten meiner Klient*innen kommen also auf Empfehlung. Die wenigsten kommen von sich aus. Sie sind aber alle an einem Punkt, an dem sie merken, dass ihr Geburtserlebnis sie nicht mehr loslässt. Sie wundern sich vielleicht, dass sich der Wunsch nach einem zweiten Kind nicht einstellt, obwohl sie sich immer vorgestellt haben, mehrere Kinder zu haben . Oder dass sie auch mit Abstand nicht gerne über die Geburt und die ersten Tage sprechen oder daran zurückdenken. Zuletzt war eine Frau bei mir, die hatte immer den Wunsch gehabt, dass sie mit 30 verheiratet sein und zwei Kinder haben würde. Das hatte sie auch geschafft – doch sie konnte sich nicht erklären, warum sie trotzdem nicht glücklich war. Sie hatte keine Gewalt unter der Geburt erfahren, sie hatte aber bei der zweiten Geburt einen Notkaiserschnitt und das Kind war von jetzt auf gleich da, als sie eigentlich gerade nur bei der Vorsorgeuntersuchung im Krankenhaus war; plötzlich lag das Kind auf ihrem Bauch. Das hat sie so sehr beschäftigt und an ihrem Selbstbild zweifeln lassen, dass es ihre gesamte Beziehung zu ihrem kleinen Kind beeinflusste und sie immer, wenn sie an die Geburt dachte, in Tränen ausbrach. Diese Erfahrungen haben wir dann aufgearbeitet und uns einmal genauer angeguckt.“

Passiert es, dass die Geburt erst als normal und okay erlebt wird und man erst später feststellt, dass die Gefühle ganz anders sind?

„Die Frauen merken es am Anfang schon auch, dass etwas nicht gestimmt hat, aber meistens sind dann erst einmal andere Sachen wichtig, wie zum Beispiel die Versorgung des Kindes. Die Hormone nach der Geburt bewirken in der Regel ja auch, dass das Kind an erster Stelle steht. Häufig spielt das Umfeld auch eine große Rolle, indem Zweifel ganz schnell klein geredet werden, zum Beispiel durch Aussagen wie „das Wichtigste ist, dass alle gesund sind“ oder „früher war die Sterblichkeit bei Geburten dafür höher“ etc. Meistens zeigt sich ein Trauma zunächst an einer depressiven Verstimmung, die nicht gleichförmig ist, die man nicht sofort merkt. Sie schleicht sich in den Alltag ein und kann auch so lähmen, so dass man nicht sofort handeln kann. Das Trauma kann sich auch über Bindungsstörungen zum Kind oder zum*zur Partner*in äußern. Posttraumatische Belastungsstörungen mit Flashbacks zählen auch dazu, Momente, die einen triggern, von denen man es vielleicht gar nicht gedacht hätte, die einen plötzlich im Alltag furchtbar verstören. Und ganz oft eben diese Lähmung, nicht mehr allein aus einer Situation, die man als belastend empfindet, herauszukommen.“

Das Wichtige in der Kunsttherapie ist, dass die Klient*innen tatkräftig sind, dass sie sehen, dass sie etwas geschafft haben und aus der Lähmung herauskommen.

Gehen postpartale Depressionen auf Geburtstraumata zurück?

Depressionen betreffen 20 Prozent der Mütter nach der Geburt, können, müssen aber nicht auf eine Traumatisierung zurückgehen. Das hat oft hormonelle Hintergründe, manchmal ist es genetisch bedingt, es kann unterschiedlich schwer sein und bis zu psychotischen Zuständen, Suizidgedanken oder Kindstötungsgedanken gehen. Bei einer schweren postpartalen Depression kann das Baby auch nicht mehr gut versorgt werden. Bei der Diagnose bin ich aber nicht mehr die richtige Ansprechpartnerin, das muss ärztlich und häufig auch medikamentös behandelt werden. Ich kann hier nur begleitend bei der Aufarbeitung zur Seite stehen. Vielleicht kann man sagen, dass Traumatisierungen eine postpartale Depression aber eher begünstigen können.“

Gibt es genug seelische Beratungsangebote für Eltern nach der Geburt? An wen kann man sich wenden?

„Viele Frauen wenden sich zunächst an ihre Hebammen oder an Ärzt*innen. Vorausgesetzt sie werden und wurden gut betreut und haben überhaupt jemanden gefunden. Wie schnell jemand Hilfe findet, hängt auch davon ab, ob das eigene Trauma als solches erkannt wird, oder man vielleicht erst zur Familienhilfe geht oder zur Schreiambulanz, weil sich viele Eltern zunächst damit beschäftigen, ob eine Bindungsstörung zum Beispiel vom Kind herrühren könnte und nach Hilfe für das Kind oder für den Umgang mit dem Kind suchen. Dort geraten sie dann hoffentlich in feinfühlige Hände und werden dann gut beraten. Bei meinem therapeutischen Angebot ist es so, dass zu mir leider nur Privatpatient*innen – über meine Zulassung als Heilpraktikerin für Psychotherapie – oder Selbstzahler*innen kommen können. Kassenversicherte müssen die Kunsttherapie selbst zahlen. Für sie sind erst einmal Psychotherapeut*innen und Beratungsstellen zuständig, von denen es viel zu wenige gibt, und dann haben eben auch traumatisierte Frauen Wartezeiten auf einen Therapieplatz von bis zu einem Jahr. Schnell können meist nur Antidepressiva verschrieben werden.“

Wie läuft eine Kunsttherapie bei dir ab?

„Ich biete sowohl Workshops für mehrere Personen als auch Einzelstunden an. Die eintägigen Workshops enthalten nur kunsttherapeutische Elemente und ersetzen keine Therapie. Die Klient*innen, die regelmäßig kommen, sollten mindestens fünf Mal kommen. Denn es gibt wie in jeder Therapie oft erstmal einen Einbruch nach Beginn und Erkenntnisse, die nicht so angenehm sind, die möchte ich dann wieder einfangen. Zu Beginn frage ich danach, wie es ihnen geht, wie die Woche war, was sie an Themen mitbringen – und dann wird eigentlich schon gearbeitet. In den Stunden arbeite ich dann non-direktiv: Das Ganze kommt wirklich aus den Klient*innen heraus. Ich habe die Kunsttherapie tiefenpsychologisch fundiert gelernt, also an Freud angelehnt und mit analytischen Aspekten. Ich gebe keine Themen vor. Ich biete eine schöne Arbeitsatmosphäre, die zum Ausprobieren einlädt, die Materialien und meine Profession. Und ich erwarte nichts. Es muss nichts dabei herauskommen, auch kein schönes Bild. Es kommen auch immer wieder Klient*innen, die von sich sagen, sie können das nicht, die nicht gewohnt sind, dass sie nicht bewertet werden, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst haben und sich Druck machen: Wie male ich denn jetzt meine Gefühle? Male ich Kreise? Bedeutet das jetzt, ich bin depressiv? Aber so funktioniert es gar nicht. Frauen, die das erste Mal kommen, versuche ich erstmal über die Materialerfahrung einen Zugang zu geben und lasse sie ausprobieren, und dann entwickelt sich meist schnell etwas. Aus einem ,Ich probier vor mich hin‘ entsteht schon meistens etwas. Ich unterstütze vor allem dabei, wie man mit den Materialien arbeitet, aber nicht dabei, was entsteht.“

Die Veränderung durch das Muttersein ist etwas, das sich erst einmal setzen muss.

Wie arbeitet ihr mit den Kunstwerken weiter?

„Am Ende der Stunde oder des Workshops unterhalte ich mich mit den Klient*innen über das Entstandene und über den Prozess. Es ist nicht so, dass ich etwas in die Bilder hineininterpretiere. Ich frage zum Beispiel: ,Was siehst du?‘ Und dann kommt immer ganz viel. Das muss auch nicht zum Thema Schwangerschaft oder Geburt sein, aber es kommt. Die Teilnehmer*innen sehen in ihren Bildern immer etwas dazu und sind ganz überrascht, was sie selbst erkennen. Ich spiegele ihnen dann, was ich beim Prozess beobachten konnte, zum Beispiel, wenn es an einer Stelle schwieriger war, weiterzukommen. Dass ich das Gefühl hatte, da war etwas stockend oder dass sie sehr gut zurechtgekommen sind. Und ich gehe auf das ein, was sie mir erzählen. Sie sind Expert*innen für ihr Innenleben und sollen mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und dabei erkennen, dass es Wege gibt, dass sie Ressourcen haben, mit denen sie handeln können. Das Wichtige in der Kunsttherapie ist, dass die Klient*innen tatkräftig sind, dass sie sehen, dass sie etwas geschafft haben und aus der Lähmung herauskommen. Dass sie etwas Inneres nach Außen getragen haben, was nun sichtbar ist, was sie sich angucken können. Und dass sie etwas auch verändern können. Wenn ihnen das Bild nicht gefällt, können sie es auch zudecken oder aktiv verändern, indem sie beispielsweise etwas darüber malen. An einem Bild kann man arbeiten und dieses Gefühl kann man dann in den Alltag übertragen.“

Das klingt nach dem Wiederentdecken der Selbstbestimmung.

„Ja, es geht darum, an den Punkt zu kommen, dass man sich wieder selbstbestimmt fühlt.“

Hannah Elsche arbeitet mit ihren Klient*innen darauf hin, die eigenen Ressourcen wieder nutzen zu können und sich selbstbestimmt zu fühlen. (Foto: Jan Philipp Welchering)

Welche Stärken bietet die Kunsttherapie?

„Die Kunsttherapie unterscheidet sich von anderen Formen der Therapie, indem sie etwas Externalisiertes hinterlässt. Ich habe im Zuge meiner Ausbildung auch eine Musiktherapie ausprobiert und auch das ist wunderschön, aber die Kunsttherapie unterscheidet sich dadurch, dass etwas bleibt, dass die Gefühle, die man zu dem Zeitpunkt hatte, auch noch Jahre danach greifbar und sichtbar sind. Die Arbeiten aus der Kunsttherapie kann man wieder herausholen oder auch verstecken. Auch das kann guttun. Einige Frauen lassen ihr Werk weggepackt, andere hängen das Bild vielleicht im Schlafzimmer auf. Ich halte das für einen Vorteil der Kunsttherapie: etwas tun, aktiv sein, etwas erschaffen und es dann haben.“

Hat Kunsttherapie ein kleineres Stigma als eine längerfristige Psychotherapie? Oder schämen Klient*innen sich sogar, dein Angebot in Anspruch zu nehmen?

„Ja, diese Scham gibt es auch. Psychotherapie ist nach wie vor ein großes Tabu, und die Kunsttherapie ist eben auch mit Therapie verbunden. Meine Workshops werden deswegen auch leichter angenommen, weil sie nur kunsttherapeutische Elemente enthalten. Es gibt viele Klient*innen, die mir erzählen, dass sie zuhause oder im Freundeskreis sagen, sie gingen zum Sport. Dabei ist es schon so, dass die Hürde, etwas Kunsttherapeutisches zu machen, erst einmal niedriger ist. Die Hürde ist vor allem die finanzielle Seite, was schade ist. Ich würde es gerne für jede*n anbieten können.“

In so einem existentiellen Moment wie einer Geburt Gewalt zu erfahren, besonders von fremden Menschen, das kann das Urvertrauen so ankratzen, dass es schwierig ist,  die Erfahrung nicht mit dem Kind in Verbindung zu setzen – das ist das Gefährliche daran.

Du bietest Kurse für Mütter an, um im Muttersein anzukommen. Erlebst du, dass Frauen sich Druck machen, weil sie denken, sie müssten automatisch von der Frau zur Mutter werden und denken, dass sich ein Schalter umlegt, statt das Elternwerden als Prozess zu sehen?

„In der ersten Schwangerschaft nehmen die meisten Frauen die Veränderungen in sich nicht so wahr, sie sind eher mit Nestbau und ähnlichem beschäftigt vermutlich weil ihnen suggeriert wird und sie sich selbst den Druck machen, dass sie automatisch durch die richtige Vorbereitung bereits in die Rolle der guten, fürsorglichen Mutter schlüpfen. Oft spielen vor allem die körperlichen Veränderungen eine Rolle, es gibt dazu auch viele Angebote, man geht zum Yoga, macht Fotos… Die psychischen Veränderungen stehen nicht im Vordergrund. Die sind auch da, aber man kann sie leichter ignorieren, beziehungsweise kann ich mir vorstellen, dass auch in der Schwangerschaft gehofft wird, dass die Veränderungen schon nicht so groß sein werden, dass die Beziehung gleichberechtigt bleibt, dass eben nur einfach eine Person mehr da sein wird. Frauen, die nicht gerne schwanger sind, die bereits psychische Veränderungen oder Ängste wahrnehmen, fühlen sich häufig eher außen vor und stehen vielleicht eher noch unter dem Druck, ein gewisses Bild erfüllen zu müssen und dabei zu versagen.

Die Veränderung durch das Muttersein ist dann etwas nach der Schwangerschaft, was sich erst einmal setzen muss. Und man stellt hinterher ganz verwundert fest, dass man sich verändert hat, dass das Leben sich verändert hat und es zwangsläufig muss. Auch wenn man sich vorher sicher war, dass man die gleiche Person bleibt, nur mit Kind. Und plötzlich sind dir doch andere Dinge wichtig oder die Rollenverteilung in der Beziehung verändert sich – und das kommt schleichend. Diese Veränderung muss ihren Raum finden. Wer bin ich überhaupt als Mutter, als Schwangere, als Elternteil? Eifere ich einem bestimmten Rollenbild nach, wie sehr beeinflussen mich und meine Partnerschaft gesellschaftliche Vorgaben, mache ich mir oder uns Druck?

Bei meinem ersten Kind hatte ich das Gefühl, dass alles irgendwie auf Geburt hingearbeitet hat und ich habe mich plötzlich gefragt: ,Aber was ist denn dann? Was ist denn dann nach der Geburt eigentlich?‘ Und dann hast du die Erkenntnis: Jetzt beginnt erst der Beziehungsaufbau, das Leben zu dritt. Und dann hört es erstmal nie wieder auf. Das hat mich damals total bewegt. Die erste Schwangerschaft ist somit vielleicht eher noch etwas Abstraktes, Abgetrenntes. Bei jedem anderen Kind weiß man, dass man sich auf eine erneute Veränderung einlässt.“

Welche Veränderung nehmen Eltern beim ersten Kind dann besonders war?

„Ein erster Aspekt ist die Abhängigkeit. Also dieses Gefühl, in einer symbiotischen Beziehung zu sein und da nicht raus zu können, das ist für viele schwer aushaltbar. Die Bedürftigkeit des Kindes auszuhalten, dass man immer darauf eingehen muss. Es ist manchmal auch einfach furchtbar langweilig. Auch Eltern, die die Flasche geben, müssen ja ständig die Flasche geben. Sie sind genauso gebunden wie stillende Mütter. Und es ist sehr sehr viel, was man als Mutter da plötzlich hingeknallt bekommt. Das hat zum Beispiel auch einen enormen Einfluss auf die Zeit für eigene Bedürfnisse, auf die Partner*innenschaft und vieles mehr. Weitere Veränderungen kommen von außen, haben sehr viel mit dem Rollenverständnis zu tun, mit der eigenen Abhängigkeit z.B. von einem Einkommen, manchmal nun auch in der Partner*innenschaft, mit dem Finden eines Kitaplatzes … Die meisten Frauen haben aber die psychischen Ressourcen, um diese Erfahrungen gut zu integrieren.“

Wird das Ankommen in der Elternrolle von einem Trauma bei der Geburt beeinflusst?

„Eine traumatische Erfahrung bei der Geburt kann etwas darstellen, was es erschweren kann, gut in die neue Rolle zu finden. Es ist eine sehr tiefgreifende Verletzung, denn so etwas macht ja ein Baby nicht mit einem, das macht auch in der Regel eine Partner*innenschaft nicht mit einem, auch wenn sie sich verändert oder schwierig wird, aber es ist eben per se keine Verletzung der Persönlichkeit oder des Selbst. Aber in so einem existentiellen Moment wie einer Geburt, bei der man sich wirklich öffnet und extrem verletzlich ist, da Gewalt zu erfahren besonders von fremden Menschen, das kann das Urvertrauen so ankratzen, dass es schwierig ist, die normale Mutterschaft zu integrieren oder auch die Erfahrung nicht mit dem Kind in Verbindung zu setzen – das ist ja das Gefährliche daran.“

Wie erlebst du den Veränderungsprozess der Klient*innen in der Therapie?

„Ich hatte eine Klientin, die hat ganz ganz klein angefangen, sie dachte erst: ,Was soll ich denn hier?‘ Und sie hat mit Postkarten-Größen angefangen. Und mit jeder Sitzung wurden die Bilder größer. Es kamen immer mehr Themen hinzu. Und im letzten, großen Bild konnte sie dann alles integrieren und sie war rundum glücklich und zufrieden damit. In der letzten Sitzung mag ich es gerne, auch noch mal alle Bilder nebeneinander zu legen und die Entwicklung und Themen nachzuverfolgen, die Bilder anders zu arrangieren.“

Wie können Geburtstraumata vermieden werden?

„Ein großer Teil hängt von der Psychohygiene der betreuenden Personen während der Geburt ab. Wenn zum Beispiel das Klinikpersonal schon geschult wäre in gewaltfreier Kommunikation, Seminare besuchen könnte, in denen sie sensibilisiert oder ihre Empathiefähigkeit geschult werden würde, dann wäre das schon ein großer Schritt – natürlich neben mehr Personal, mehr Hebammen in den Kliniken. Der Verein Mother Hood e.V., bei dem ich Mitglied bin, hat zu den Verbesserungen in der Geburtshilfe einen 10-Punkte-Plan entwickelt, der einen Weg zeigt, wie die zugrunde liegenden Rahmenbedingungen verbessert werden könnten. Auch Hebammen erleben als Zuschauende oder manchmal in der Rolle der gezwungenermaßen Mittäter*innen Gewalt in der Geburtshilfe, die sie verarbeiten müssen. Es sind nicht nur die Eltern, die so etwas erleben, sondern gerade auch die Hebammenschüler*innen, die so etwas erleben und die so etwas dann das erste Mal mitbekommen und keinen Ort haben, wo sie die Erfahrung lassen können, sind betroffen. Bei der Arbeitsauslastung ist es zudem so, dass die Hebammen sich kaum noch darum kümmern können, wie es ihnen selbst geht. Hier könnte man ansetzen.“

Macht es einen Unterschied bei der Geburtserfahrung, ob Schwangere Angst vor der Geburt haben?

„Frauen, die sich eine selbstbestimmte Geburt, zum Beispiel eine Hausgeburt, wünschen, bereiten sich gut vor. Die haben vermutlich auch eine*n Partner*in dabei, die ihr*e Anwält*in sein kann. Gerade wenn man Angst vor der Geburt hat, sollte man sich gut vorbereiten. Das beginnt schon in der Schwangerschaft: Angst muss niemand – auch nicht in den ersten zwölf Wochen – alleine aushalten. Ich denke, Paare, die gut vorbereitet sind, suchen sich eben auch Menschen und Orte, an denen sie gut betreut und begleitet werden, und das kann bei der Geburt einen Unterschied machen. Viel zu wissen gibt Sicherheit. Und dabei geht es nicht um das reine Faktenwissen, denn je mehr man weiß, sich selbst kennt und weiß, was man braucht und was man nicht möchte, desto mehr kommt man in die Selbstbestimmung.“

Du hattest selbst eine traumatische Geburtserfahrung.

„Ja, mein erstes Kind kam letztendlich durch einen Kaiserschnitt unter Vollnarkose nach einer langen Interventionskaskade. Ich hatte sogar eine Beleghebamme, doch die hätte mich eigentlich abgeben müssen, denn sie selbst hatte einen traumatischen Trauerfall vorher in der Familie und war eigentlich nicht in der Lage, eine Geburt zu begleiten. Ich kann natürlich nicht sagen, ob mein Kind hätte anders auf die Welt kommen können, aber es hätte nicht so traumatisch sein müssen. Beim zweiten Kind hatte ich die Offenheit, dass es wieder ein Kaiserschnitt hätte werden können, aber ich wollte zumindest wissen, was passiert und nicht plötzlich aufwachen und das Kind wird durch die Tür hereingetragen.“

Hannah ist in der Berliner Regionalgruppe der Elterninitiative Mother Hood e.V. aktiv. (Foto: Jan Philipp Welchering)

Du begreifst deinen Beruf als etwas Wertvolles, etwas, das viel bewirken kann. Wie gehst du damit um, die Therapie nicht allen anbieten zu können, die davon profitieren würden?

„Manchmal ist es frustrierend. Gerade wenn man feststellt, wie viel Skepsis die Kunsttherapie erfährt – aber ich hoffe sehr darauf, dass sich etwas verändert, ich bin Mitglied im Dachverband für Kunst- und Gestaltungstherapie (DFKGT e.V.) und wäre da auch berufspolitisch gern noch aktiver. Ich bin jetzt 35 – bis ich in Rente gehe, wird sich etwas verändert haben.“

Meine Arbeit führt in jedem Fall zu einer Verbesserung, egal wie schlimm die Ausgangssituation ist.“

Wann hast du den Berufswunsch entwickelt?

„Mein Traumberuf als Jugendliche wäre Künstlerin gewesen. Ich habe erstmal Kunstpädagogik in Nürnberg studiert und habe ganz schnell festgestellt, dass ich nicht in die Schule wollte. Nach dem Staatsexamen bin ich dann nach Berlin gezogen, um Künstlerin zu werden, und habe dort festgestellt: Das ist auch nicht meins. Denn ich arbeite durchaus gern mit Menschen und mein Ziel war nicht, mich auf einem Markt zu behaupten oder mich selbst zu vermarkten, ohne einen Mehrwert für andere zu schaffen. So bin ich auf das Master-Studium gekommen. Dass es wirklich so meins ist, das hätte ich nicht gedacht. Es war wie Liebe auf den ersten Blick.“

Hast du dich direkt selbstständig gemacht nach dem Abschluss?

„Vor dem Abschluss habe ich schon in einem Kinderheim mit traumatisierten Kindern gearbeitet, dann habe ich das erste Kind bekommen. Danach habe ich in einer integrativen Kita als Kunsttherapeutin und Leitung gearbeitet. Dann kam das zweite Kind und dann habe ich darüber nachgedacht, wie es beruflich weitergehen soll. Kurze Zeit war ich noch einmal als Vertretung in einer Erwachsenen-Psychiatrie und hatte ein paar Vorstellungsgespräche. Ich habe aber keine Stelle bekommen. Ich vermute, weil ich Mutter von zwei kleinen Kindern bin. In Berlin ist der Arbeitsmarkt für Kunsttherapeut*innen auch nicht gut, da hier auch ausgebildet wird und somit viele diese Stellen wollen. Man kann in Kliniken arbeiten, in der Geriatrie, in Kinderheimen, in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Tageskliniken, Justizvollzugsanstalten… In der Justizvollzugsanstalt bin ich übrigens auch nicht genommen worden aufgrund meiner Familiensituation. Man denkt, es sei im sozialen Bereich für Mütter besser, aber so ist es nicht. Wenn es Personen gibt, die flexibler sind und auch mal Wochenenddienste übernehmen können, werden sie bevorzugt. Man muss natürlich nicht sagen, dass man Kinder hat, aber ich möchte wissen, ob man diskriminiert wird oder nicht. Und es ist leider immer bestätigt worden. Und das weiß ich, weil es mir Kolleg*innen aus Organisationen, bei denen ich mich vorgestellt hatte, dann bestätigt haben. Die Selbstständigkeit war also zunächst erstmal aus der Not geboren. Ich wäre sie ansonsten vermutlich eher zwei Jahre später angegangen.“

Hat die Arbeit in dir Seiten hervorgebracht, die du vorher nicht kanntest?

„Klar. Allein die Ausbildung ist sehr intensiv, man macht eine Eigentherapie und da bewegt sich natürlich etwas.“

Wie reflektierst du jetzt deine Arbeit? Wie grenzt du dich von den traumatischen Erfahrungen ab?

„Ich kann das ganz gut in dem Moment, in dem es mein Beruf ist. Das funktioniert sogar auch dann, wenn ich mit traumatisierten Kindern arbeite, weil ich davon ausgehe, dass es in jedem Fall besser wird. Meine Arbeit führt in jedem Fall zu einer Verbesserung, egal wie schlimm die Ausgangssituation ist. Das erleichtert mir die Arbeit. Privat ist dann Malen für mich selbst auch ein Weg, mit schwierigen Erfahrungen umzugehen. Es ist wichtig, dass man sich auch um sich selbst kümmert und nicht nur die schlechten Erfahrungen aufnimmt und schluckt. Das kann auch nicht die*der Partner*in sein, das ist auch wichtig. Es ist schön, das in der Kunst lassen zu können. Außerdem muss ich auch selbst malen, damit ich nicht auf meine malenden Klient*innen eifersüchtig werde. (lacht)

Mein zweites Ventil ist die Arbeit bei Mother Hood e.V., wo ich eben auch auf der politischen Ebene etwas dafür tun kann, dass die Geburtshilfe besser wird und dass diese Traumatisierungen weniger werden.“

Danke für das Gespräch.

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