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„Nicht so dick Nutella auf den Toast“ – dürfen Eltern Angst vor zu dicken Kindern haben?

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: dicke Kinder.

Gibt es „Body Positive“ auch für Kinder?

Eine Bewegung, die auch ich natürlich sehr begrüße, ist Body Positivity. Darauf, dass unsere Gesellschaft aufhören muss, die Körper von Menschen, insbesondere von Frauen, nach äußeren Idealmaßstäben zu be- und verurteilen, sollten sich alle einigen können, die ihre emotionale Intelligenz einigermaßen beieinander haben. Ob es uns dann auch noch gelingt, das Prinzip „Body Positive“ auf den eigenen Körper anzuwenden, ist dann natürlich leider wieder eine andere Frage.

Mir ist aufgefallen: Im Bereich „Kinder“ ist das Thema Body Positivity irgendwie noch nicht so wirklich angekommen – oder soll es da womöglich gar nicht ankommen? Übergewichtige Kinder sind ja ein absolutes Alarmthema, nicht nur im Magazin meiner Krankenkasse lese ich ständig besorgte Berichte darüber, dass immer mehr Kinder übergewichtig und nicht mehr in der Lage seien, im Turnunterricht ein paar Schritte rückwärts zu laufen.

Angst vor dem übergewichtigen Klops

Dieser Zwiespalt zwischen dem Wunsch, auch bei Kindern „Body Positive“ zu denken, und der Angst vor einem unbeweglichen Klops, der früh Diabetes bekommt und in der Schule fertiggemacht wird, kann einen aber schon in die Bredouille bringen.

Die Sorge, ihr Kind könnte zu dick sein oder werden, treibt anscheinend sehr viele Eltern um. Ohne meinen eigenen Eltern irgendeinen Vorwurf machen zu wollen, denn das will ich wirklich nicht: Auch ich erinnere mich daran, dass mein Vater schon immer das Gewicht von mir und meiner Schwester kritisch im Blick hatte und im übrigen bis heute darauf hinweist, man solle nicht zu schnell und vor allem nicht zu viel essen.

Meine Mutter, das weiß ich heute, war geprägt von eigenen verletzenden Erfahrungen mit vermeintlichem Übergewicht und wollte ihre Töchter vor Erfahrungen bewahren, die sie möglicherweise gemacht hatte, und warnte vorsorglich davor, zu viel an Gewicht zuzulegen, denn wenn man irgendwann nicht mehr wachse, dürfe man auch nicht mehr so viel essen.

„Dünn bist du aber auch nicht“

Ich war, wie so viele Kinder, noch nie in irgendeiner Art und Weise dick. Einfach völlig langweilig normalgewichtig. „Aber dünn bist du auch nicht“, an diesen Satz meiner Tante erinnere ich mich bis heute, damals war ich wahrscheinlich elf oder zwölf, und ich erinnere mich auch noch daran, wie wahnsinnig empörend und verletzend ich das fand. Ich erinnere mich auch daran, dass meine Mutter, und das meinte sie wirklich nur gut, mir in der lokalen Kleinstadt-„Boutique“, so sagten wir damals, empfahl, keine Leggings aus regenbogenfarbenem Polyester als Hose zu tragen, als das sehr stark  in Mode war. Recht hatte sie aus ästhetischem Blickwinkel schon damals natürlich. Aber doof fühlte es sich trotzdem an.

Jedenfalls: Um zumindest in den Randbereich einer Essstörung zu gelangen, brauche ich 1991 im Alter von elf Jahren nicht mal „Germany‘s Next Topmodel“, es reichte mir mein „Kleiner Kalorien-Atlas“ von GU und ein samtbezogenes Büchlein, in das ich über Monate hinweg in rührender Fast-Teenager-Kinderschrift (i-Pünktchen nicht als Punkte, sondern große Kringel) jede eingenommene Mahlzeit verbunden mit der entsprechenden Kalorienmenge eintrug, am Ende unter dem Summenstrich die Tagesbilanz.

Das Büchlein fiel mir neulich beim Aussortieren in die Hände. Lustigerweise habe ich – ob willentlich oder weil ich es nicht besser wusste – mir täglich schön in die eigene Tasche gelogen und landete meist bei einer täglichen Gesamtnährwertzufuhr von um die 967 Kalorien, was mir nur gelang, indem ich die zwei Stücke Lasagne zum Mittagessen großzügig mit insgesamt mit lediglich 500 Kalorien verbuchte. Täglich notierte ich auch sorgfältig mein aktuelles Gewicht, das immer zwischen einem Kilo mehr oder weniger schwankte, sich aber nicht maßgeblich veränderte. Irgendwann hörten meine Notizen wieder auf.

Nachteile durch zu hohes Gewicht?

Erwachsene haben entweder keine Ahnung oder denken nicht genug darüber nach, was sie in Kindern mit Kommentaren zu deren Gewicht auslösen, egal wie gutgemeint diese Kommentare auch sein mögen. Natürlich ist da die elterliche Sorge, das Kind könnte durch ein hohes Gewicht Nachteile erleiden, oder das hohe Gewicht könne sich manifestieren und mit steigendem Alter gesundheitlich bedenklich werden.

Wie negativ das Thema „Dicke Kinder“ besetzt ist, merkte ich zum Beispiel auch in der Kinderarztpraxis: Unsere Kinderärztin empfahl mir bei der letzten Routineuntersuchung vor der Einschulung präventiv, auf das Gewicht meines Kindes zu achten, weil viele Kinder durch das viele ungewohnte Rumsitzen in der Schule ansetzen würden – ich verließ die Praxis natürlich in Panik und mit der garantierten Erwartung, dass das Schulkind bald zum bewegungsunfähigem Pummelchen mutieren würde. Nebenbei: Das Gegenteil ist passiert, das Kind ist drahtiger denn je. Aber was, wenn es anders gekommen wäre? Ich bin bestimmt die letzte, die einen entspannten Umgang mit dem steigenden Gewicht eines ihrer Kinder finden würde.

Nutella-Toasts rationieren?

Und wie ich in meinem Umkreis beobachten kann, fällt das vielen schwer. Aber was soll man tun? Einfach entspannt dabei zusehen, wie das Kind sich die Nutella-Toasts reinfährt? Ich meine, bei Jesper Juul mal gelesen zu haben, dass man auf gar keinen Fall, also wirklich niemals, mit den eigenen Kindern über das Thema Essen streiten sollte – aber was soll man dann bitte tun, wenn das Kind zum Mittagessen, Frühstück und Abendessen „Süßigkeiten“ wünscht, wenn es nur noch süßen Brotbelag essen will, wenn es einfach nichts, was mal auf Bäumen oder Sträuchern wuchs, zu sich nehmen will?

Die Feministin Stefanie Lohaus schreibt in einem Beitrag auf „Zeit Online“: „Nun habe ich mir vorgenommen, das Aussehen meiner Kinder niemals zu bewerten. Nicht negativ und nicht zu positiv, denn andersherum wird es ja auch nicht besser: Wer sein Kind permanent für sein Aussehen lobt, sorgt dafür, dass dieses im Leben des Kindes einen übergroßen Stellenwert einnimmt und Verunsicherung im Selbstwertgefühl eintritt, sollte das Lob einmal ausbleiben.“

Bisher habe ich nicht die Erfahrung gemacht, ein Kind zu haben, das sich an einer vermeintlichen Grenze zum Übergewicht befindet. Leute in meinem Freund*innenkreis schon, und ich beobachte das und finde es unheimlich stressig und schwierig für die Eltern.  Was macht das mit dem Kind, wenn es bei fast jeder Mahlzeit zu hören kriegt, jetzt sei es doch mal genug? Eine Freundin, deren Kind einen Hauch properer ist als andere, berichtete, dass das achtjährige Kind ihr mal entgegenschleuderte: „Ich weiß ja, dass du mich zu dick findest!“ Meine Freundin beteuert, das ihrem Kind niemals so direkt gesagt zu haben. Angst vor dem kindlichen Übergewicht scheint also etwas zu sein, das Eltern ausstrahlen können.

Klar gibt es den Tipp, bestimmte Lebensmittel einfach nicht (mehr) im Haus zu haben. Aber das ganze Leben besteht doch ausschließlich aus Süßigkeiten, finde ich – jeden Tag irgendeine Klasse, die per Kuchenbasar die Klassenkasse auffüllen will, im Sommer jeden Tag Eis, Lollys im Restaurant…wie soll man das unterbinden, ohne für wahnsinnig schlechte Vibes zu sorgen? Ist es also an der Zeit, dass Body Positivity offiziell Einzug hält in den Kinderbereich? Oder schlagen dann die Kinderärzt*innen Alarm? Denn dass wirklich übergewichtige Kinder keine gute Idee sind, müsste ja eigentlich auch jedem*r einleuchten. Ist das schon wieder schwierig.

Nachtrag

Liebe Leser*innen,

meine Kolumne hat vor allem auf Twitter einige Leute wütend gemacht und zu kritischen Reaktionen geführt. Einige Leser*innen fühlten sich auch verletzt und an eigene, negative Erfahrungen in der Kindheit erinnert. Um das Wichtigste vorauszuschicken: In meiner Kolumne ging es mir vor allem darum, die große Unsicherheit zu schildern, die viele Eltern beim Thema Gewicht ihrer Kinder empfinden, und ich schildere auch meine eigenen Erfahrungen damit –  es ist leider eine Tatsache, dass „Body Positive“ bei Kindern keine relevante Rolle spielt, vielmehr ist es so, dass Kinderärzt*innen meiner Erfahrung nach viel zu schnell Eltern einreden, ihr Kind habe ein „Problem“ mit „Übergewicht“. Das finde ich erschreckend und das kritisiere ich. Das Letzte, was ich mit meinem Text wollte, ist, in irgendeiner Weise Körper in „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen oder Fatshaming zu betreiben. Die Reaktionen auf Twitter zeigen aber, dass das Thema ein sehr sensibles ist und aus Sicht der Kritiker*innen die Form einer Kolumne nicht das richtige Format ist: Die überspitzten, manchmal provokanten, manchmal selbstverständlich nicht wörtlich ernst gemeinten Formulierungen (bestes Beispiel: der viel kritisierte „übergewichtige Klops“ –natürlich ist das eine Überspitzung, mit der ich die Ängste von Eltern ironisch überhöhen will) haben jedenfalls bei einigen von euch für das Gefühl gesorgt, ich würde Dicksein für verkehrt halten, wie beispielsweise Magda Albrecht schrieb. Als Kolumne weicht der Text sprachlich von anderen Formaten ab und kann anders als Sachtexte, nicht alle Aspekte einer gesellschaftlichen Debatte abbilden. In diesem Fall sollte der inhaltliche Scherpunkt auf einem von mir beobachteten Alltagsphänomen liegen: besorgte Eltern, die keinen entspannten Umgang mit dem Gewicht ihrer Kinder finden.

Besonders kritisiert wurde auch ein Satz am Ende der Kolumne: „Denn dass wirklich übergewichtige Kinder keine gute Idee sind, müsste ja eigentlich auch jedem*r einleuchten.“ Ich persönlich bin tatsächlich der Überzeugung, dass es keinem Kind guttut, extrem dick (das meinte ich mit „wirklich übergewichtig“) zu sein – und damit meine ich natürlich nicht das Risiko, deswegen gemobbt zu werden, denn darüber brauchen wir doch gar nicht zu sprechen – selbstverständlich ist immer der/die Mobbende das Problem ist und nicht der/die Gemobbte; ich meine das unter medizinischen und gesundheitlichen Gesichtspunkten, und: Die Frage, warum manche junge Kinder extrem dick werden, und wie/ob man bei den Ursachen dafür ansetzen kann oder sollte, wäre dann wieder ein ganz anderes Feld.

Dicksein bedeutet nicht automatisch krank sein, so wenig wie schlanke Menschen automatisch gesund sind oder „gesund leben“. Da Dicksein jedoch ein deutlich erhöhtes Risiko für gesundheitliche Probleme im Kindesalter und Folgeerkrankungen mit sich bringen kann, erklärt das u.a. die Sorge von Eltern, die nicht selbst einschätzen können, ob ihr Kind krank werden könnte. Daneben steht, darüber haben wir z.B. hier schon berichtet, dass Dicke häufig Fehldiagnosen von Ärzt*innen bekommen, da ihre gesundheitlichen Probleme vorschnell mit dem Gewicht verbunden werden.

Magda Albrecht schreibt, der „richtige“ Titel für den Text hätte lauten müssen: „Wie können Eltern ihre Kinder in einer Gesellschaft stärken, die Körper permanent in gut und richtig einteilt?“ Da gebe ich ihr vollkommen recht, genau dazu wollte ich mit meinem Text anregen. Der Text sollte keine abschließenden Antworten liefern, sondern vielmehr Fragen aufwerfen, warum Eltern so handeln, wie sie es tun, und wie es anders gehen könnte. Das ist aus der Sicht der Kritiker*innen nicht in angemessener Form passiert. Daher würde ich gern mit euch in einen Austausch treten. Es ist uns als Redaktion wichtig, aus der Kritik dazu zu lernen und es in künftigen Texten besser zu machen, also schreibt uns auch gern eine Mail oder hinterlasst einen Kommentar.

Herzliche Grüße

Lisa

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