Foto: Curtis Mac Newton

Mein Körper: ein Überwachungsstaat

Schönheits-OPs, Lifestyle-Tracker, Biotech: Die Optimierung des eigenen Körpers ist das Gesellschaftsprojekt der Gegenwart geworden. Aber was macht das mit uns?

 

Der Run auf die Perfektion

Sich einfach mit sich zufrieden geben? Das war früher. Wir können unsere Körper wie eine Skulptur gestalten – ein gesellschaftliches Tabu ist das schon lang nicht mehr. Es wird sogar immer erschwinglicher. Man muss ja nicht gleich unters Messer. Wer sich lieber durch Sport und Schweiß zu einem perfekten Selbst bringen will, der kann sich mit Activity-Apps und Wearables technische Unterstützung dabei holen. Einfacher war es wohl nie. Mehr Daten auch nicht. Aber ist es wirklich eine Unterstützung, oder ist es die Maßregelung in Endlosschleife, wenn wir im Stundentakt an unser Schritt-Tagesziel, den Puls, die Kalorienzufuhr und den Wasserhaushalt erinnert werden?

Ich finde: Es wird durch Activity-Tracker am Handgelenk oder über ganze Anzüge, die Herzfrequenz und Muskelaktivität in Echtzeit messen, so gut wie unmöglich, sich nicht mit dem Körper und seiner Optimierung auseinander zu setzen.

„Wie faul kann man eigentlich sein?“, raunt es aus allen Ecken und während man erst noch tapfer dagegen hält, merkt man irgendwann doch, wie die eigene Überzeugung, in all seiner Imperfektion schon OK zu sein, sich langsam zur Hintertür hinausstiehlt. „Meine App sagt mir, ich sei zu fett.“ Jetzt sind nicht nur die Boulevard-Magazine gnadenlos, kleine, harmlos wirkende Computerprogramme machen, dass wir uns schlecht fühlen.

Alles geht, alles muss?

Die Quantified-Self-Bewegung hält dagegen: Ein neues Leben, ein stärkerer Körper, eine bessere Gesundheit – das alles sei möglich, wenn wir nur brav auf die Apps hören und disziplinierter werden. Sie alle wollen ja nur unser Bestes! Was wir aber eigentlich gar nicht so wirklich wissen, höchstens erahnen, ist welche Auswirkungen die Technisierung und auch Ökonomisierung unserer Körpers auf unsere Psyche hat. Eine neue Studie hat genau danach gefragt und die Ergebnisse zeigen die negativen Seiten des Trends uns selbst zu vermessen.

Welche Effekte haben die Tracker?

The Conversation hat eine Studie mit 200 Frauen durchgeführt, die einen Fitness-Tracker nutzen  und sie nach ihrem Verhalten befragt. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Änderung des Ess- und Laufverhaltens, die mit 91 Prozent nahezu alle Frauen offenbarten. 88 Prozent der Studienteilnehmerinnen sagten, sie wollten ihre Aktivität weiterhin steigern und 84 Prozent gaben an, ihren aktuellen Status mindestens zwei Mal pro Tag zu checken. Viele von ihnen sahen das Wearable dabei als eine Art Sparringpartner, der sie motiviert und auch stolz macht, wenn es bei erreichten Zielen positives Feedback gibt. 

Aber die stete Kontrolle der Körperaktivitäten hatte nicht nur positive Wirkungen. 46 Prozent der Frauen fühlten sich ohne den Tracker „nackt“. Sie wollten unbedingt wissen, wie aktiv sie sind. 79 Prozent entwickelten einen echten Druck, wenn es darum ging die Tagesziele zu erreichen. 59 Prozent gaben an, dass der Tag durch das Wearable kontrolliert wird. Und wirklich alarmierend: Jede dritte Frau nahm das Wearable als Feind am eigenen Körper wahr, der sie schlecht und schuldig fühlen lässt, sollten sie einmal gesteckte Ziele nicht schaffen.

Über die Grenze des Wohlgefühls

Es sind Ergebnisse, die nachdenklich machen. Denn auch wenn Wearables eine Unterstützung für einen gesünderen Lifestyle sein können, so sollten neben den positiven Effekten für Fitness und Gesundheit auch die negativen Folgen beachtet werden. Entsteht Druck? Verschlechtert sich das Körpergefühl? Gibt es eine Tendenz zur Sportsucht oder tritt ein gestörtes Essverhalten auf? Tracker werden zudem nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Jugendlichen genutzt. Sollten nicht gerade junge Menschen erlernen auf die Signale des eigenen Körpers zu hören? 

All das macht es so wichtig, an das Thema mit einem ganzheitlichen Blick heranzugehen und eben auch auf den Bauch, das Herz, die Muskeln und all die anderen Teile unseres Körpers zu hören, der uns sagen kann, wie viel Bewegung uns gut tut. Ob wir Wasser oder Schlaf brauchen. Wann und auf was wir Hunger haben. Nur weil in der App und im Wearable Technologie und viel Wissen stecken, wissen sie noch längst nicht alles.

Was mit dem Run auf die Optimierung auch gerne vergessen wird, ist, dass wir mit Wearables sensible Daten speichern. Noch immer denken die wenigsten Nutzer daran, dass gerade Gesundheitsdaten kostbar und schützenswert sind – und nicht einfach herausgegeben werden sollten, wenn wir nicht wissen, was damit geschieht. 

Aber das wird wohl in der breiten Masse erst Gehör finden, wenn die Krankenkassen darauf basierend Tarife festsetzen. Also dann, wenn es schon zu spät ist.

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