Cédric Hutchings will mehr als eine Quantified-Self-Bewegung. Die Produkte sollen gesundheitliche Prävention revolutionieren, sagt der CEO von Withings.
Französischer Pionier
Im September 2009 startete das französische Unternehmen Withings den Verkauf der weltweit ersten WLAN-Körperwaage, die es den Nutzern ermöglicht, ihr Gewicht direkt mit dem Smartphone nachzuverfolgen. Withings ist Pionier auf dem Gebiet der E-Health. In Europa macht das Unternehmen 40 Prozent des Umsatzes, davon zehn Prozent in Frankreich und 15 Prozent in Deutschland. 50 Prozent der Produkte werden in den USA abgesetzt.
Das Startkapital wurde durch die Gründer Cédric Hutchings und Eric Carreel bereit gestellt und betrug zwei Millionen Euro. Withings wurde 2010 durch weitere 3,8 Millionen US-Dollar von Ventech unterstützt und konnte 2013 schließlich weitere Investoren gewinnen, die insgesamt 30 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellten.
Am Rande der DLDwomen haben wir mit dem CEO des Unternehmens über die Potentiale von Quantified-Self gesprochen. Cédric Hutchings will mit seinem Unternehmen mehr als Consumer-Produkte schaffen. Er betrachtet technologische Innovation vor allem als Instrument, um gesundheitliche Prävention zu stärken.
Wie hat Quantified-Self bereits jetzt den Gesundheits- und Fitnessektor verändert?
„Quantified-Self ist wirklich erst der erste Schritt zu einer ‘Connected Health Revolution’. Quantified-Self bringt die Selbstvermessung nach Hause und lässt uns ein Dashboard für unsere Gesundheit anlegen mit dem man dann sein Verhalten überdenken kann. Noch ist das aber ein Trend in der High-Tech- und Geek-Community. Unser Ziel ist es, sehr viel mehr Leute zu erreichen, und dann nicht nur das alltägliche Verhalten von Menschen zu verändern, sondern die Art und Weise, wie Daten im Gesundheitssystem genutzt werden, zu revolutionieren.“
Wie kann das gelingen?
„Unser Ansatz ist es, Geräte herzustellen, die langfristig genutzt werden – sonst ist es nur ein Trend, aber keine Revolution. Mit einem Gadget spielt man ein paar Wochen, dann wird es bei Seite gelegt. Verhaltensänderungen können nur dann entstehen, wenn uns Produkte gelingen, die eine Person lange begleiten.“
Wie sieht der Markt bislang aus? Gelingt es bereits, über die technikaffine Zielgruppe hinaus zu gehen?
„Momentan unterscheidet es sich noch sehr stark zwischen der Länder, in denen wir Produkte und Apps verkaufen. In den USA erreichen wir bereits Menschen, die sich für Gesundheit und Fitness interessieren, und nicht nur die Tech-Community. In Deutschland und Frankreich ist die Zielgruppe noch kleiner. In diesem Monat werden wir die Produkte das erste Mal bei Mediamarkt und Saturn anbieten, in Zukunft dann hoffentlich auch in Apotheken. Deutschland ist nach Frankreich für uns der wichtigste Markt in Europa. Die Nutzer hier mögen Angebote, die ihnen helfen, ihre sportliche Leistung zu verbessern, sie nehmen auch technische Innovationen gut an. Unser Ziel ist es aber, auch die Menschen zu erreichen, die ihr Verhalten vielleicht nur ein wenig ändern wollen, sich besser und gesünder fühlen möchten.“
Mit welchen Produkten steigen Nutzer ein?
„Gewichtskontrolle ist ein häufiges Anliegen, mit dem Menschen in die Quantified-Self-Bewegung einsteigen. Viele tun dies ja auch schon lange mit normalen Waagen, haben dabei aber ihr Gewicht nie langfristig im Blick gehabt, sondern beobachten die Veränderungen von Tag zu Tag oder unregelmäßig.“
Ist die Waage ihr erfolgreichstes Produkt?
„Momentan ja. Denn es ist auch das Produkt, was am einfachsten in den Alltag integriert werden kann, ohne vom Nutzer neue Dinge zu fordern. Die Batterie hält etwa ein Jahr, man tritt vielleicht einmal pro Woche auf die Waage, und dann sieht man die Entwicklung als Graphen auf dem Telefon, die App gibt dir Ratschläge. Das Produkt ist sehr erfolgreich darin, Verhalten zu ändern. In dieser Art entwickeln wir aber auch noch weitere Produkte: zur Blutdruckmessung, zur Aktivitätsmessung, zum Schlaf-Monitoring. Die Geräte müssen immer einfach genug sein, und übergangslos genutzt werden können.
Welche neuen Ideen gibt es für Produkte, die den eigenen Schlaf analysieren?
Es gibt diese Produkte zum Schlaf-Monitoring, die setzt man sich auf den Kopf, oder man legt das iPhone neben das Kissen. Das ist nett und man kann neue Dinge darüber entdecken, aber auch hier ist das Problem, dass sie oft nicht langfristig genutzt werden. Als wir darüber nachgedacht haben, haben wir festgestellt: Der einzig wirklich gute Sensor ist das Bett selbst. Alles, was wir hinzufügen, wird nicht akzeptiert werden. Also haben wir einen Sensor designt, den man unter die Matratze legt; man fühlt ihn nicht und vergisst, dass er da ist. Er trackt aber alle wichtigen Daten sehr präzise und hilft dabei, zur richtigen Zeit aufzuwachen, so dass man erholt ist.“
Dienen die Produkte vor allem Wellness-Aspekten?
„Nein, Schlaf ist gesundheitsentscheidend. Wenn man schlecht schläft, können andere Krankheiten begünstigt werden. Die Idee hinter unseren Produkten ist es, dass wir die Möglichkeiten gesundheitlicher Prävention dramatisch verbessern können. Oder auch den Umgang mit chronischen Erkrankungen. Unser Ziel ist es nicht, ein Miniaturkrankenhaus in die Häuser der Menschen zu bringen, auch nicht, Ärzte zu ersetzen. Aber jeder soll besser verstehen können, was in seinem Körper passiert, und dann bewusster leben können.“
Gibt es bereits Ärzte, die Ihre Produkte empfehlen?
„Wir haben gerade begonnen, mit einem deutschen Partner verstärkt in die klinische Forschung zu gehen. Den Namen können wir jetzt noch nicht nennen, aber es wird bald erste Ergebnisse aus der Forschungsreihe geben.“
Wenn ich heute zum Arzt gehe, dann werden vor allem Medikamente verschrieben und es wird zu allgemeinen Verhaltensänderungen geraten, wie fettreduziert zu essen oder sich mehr zu bewegen. Glauben Sie, dass in der Zukunft auch technologisch-gestützte Selbstbehandlungen empfohlen werden?
„Definitiv. Das ist es, was ich unter einer Gesundheitsrevolution verstehe. Wenn die Geräte besser designt sind und auch medizinisch erprobt sind, dann werden sie von Konsumenten breit akzeptiert werden. Dann können Ärzte sie verschreiben, und das kann wirklich die Gesundheitsversorgung verändern. In den USA sehen wir das bereits. Allerdings ist dort das Gesundheitssystem auch völlig anders. Präventive Maßnahmen bedeuten dort einen viel größeren Return of Investment, als beispielsweise in Deutschland oder Frankreich.“
Gibt es Unterschiede darin, wie männliche und weibliche Zielgruppen die neuen Technologien akzeptieren?
„Das war vielleicht vor drei Jahren so. Unsere Kunden sind aber jetzt schon zu 46 Prozent Frauen. Wo wir Unterschiede sehen, ist in der Bereitschaft, Verhalten zu ändern. Wer also Frauen also Kundinnen gewinnen will, muss Produkte designen, die sich möglichst leicht in den Alltag integrieren lassen. Die nächste Stufe von Quantified-Self ist für uns daher, Produkte zu entwickeln, die keine Tech-Gadgets mehr sind. Aus diesem Grund haben wir die „Withings Acitvité” designt, die aussieht wie eine ganz normale Armbanduhr. Sie ist aber auch ein Aktivitäts-Tracker und zeichnet auf, wie viele Schritte oder Kilometer man am Tag läuft. Sie muss auch nicht wieder aufgeladen werden. Die Batterielaufzeit ist mit anderen Uhren vergleichbar. Wir wollen, dass die Uhr an erster Stelle getragen wird, weil es eine schöne Uhr ist.“
Kann die Uhr nur Schritte zählen?
„Sie kann zahlreiche Bewegungsdaten aufzeichen. Also auch Laufen und Schwimmen, weil sie wasserdicht ist, und ein Sleep-Tracker ist sie auch. Sie weckt die Trägerin mit Vibrationen auf. Außerdem synchronisiert sie sich automatisch mit dem Smartphone. Das Dashboard ist außerdem sehr intuitiv, man muss nicht zweimal nachdenken, wenn man sich die Daten anschaut.“
Cédric Hutchings trug die „Withings Activité“ bei der DLDwomen selbst am Handgelenk. (Foto: Jan Haas / Hubert Burda Media)
Beginnen Nutzer Technologie mehr zu vertrauen als ihren Ärzten?
„Das ist gar nicht unser Ziel. Ein gutes Beispiel ist aber die Blutdruckmessung, die viele Menschen betrifft, zum Beispiel auch Frauen in der Schwangerschaft. Es ist wirklich am besten, den Blutdruck Zuhause zu messen, denn vor dem Arzt ist man manchmal aufgeregter und das verzerrt die Ergebnisse. Zudem schwanken die Daten stark, und es macht Sinn, sie langfristig aufzuzeichnen. Jetzt haben Patienten die Möglichkeit, ihre Daten von Zuhause digital an den Arzt weiterzugeben. Wir sehen es also als Erweiterung der Beziehung von Patient und Arzt.“
Plant Withings, in den tatsächlichen Gesundheitsmarkt zu gehen?
„Ja, für uns existieren zwei Märkte: einer für Wellness und ein medizinischer Markt. Wir glauben aber, dass beide Bereiche in Zukunft viel stärker miteinander verlinkt sein werden. Deswegen haben wir Produkte in unserem Portfolio, die zum einen medizinisch-geprüft sind, aber immer noch Consumer Goods sind. Zudem glauben wir, dass all die Daten, die man im Alltag zum Beispiel beim Laufen sammelt, auch irgendwann für gesundheitliche Zwecke wichtig werden können. Der Gesundheitsmarkt wird in der Zukunft aber für uns der wichtigere Markt werden, vor allem dann, wenn wir zeigen können, dass die Dinge, die Menschen in ihrem Alltag tracken, nützlich sein kann für Prävention und Behandlungen.“
Wohin geht die Reise? Werden Apps und alltagstaugliche Geräte auch in der Lage sein, Blut zu analysieren, um beispielsweise von Diabetes-Patienten genutzt zu werden?
„Für uns als Gesellschaft ist es eine riesige Chance, vor allem Prädiabetes besser erkennen zu können. Das sind Menschen, die ihr Blut nicht regelmäßig testen lassen, anders als diejenigen, die schon erkrankt sind. Dafür müssen wir Wege finden, die wenig Aufwand erfordern, und Früherkennung über Anzeichen leisten, die Menschen in ihrem Alltag aufzeichnen können. Das nennen wir ‘Smart Environment’.“
Zielgruppen mit hohem Einkommen und guter Bildung integrieren Technologie schneller in ihren Alltag. Wie plant Withings andere Zielgruppen zu erschließen, damit sie ebenfalls die gesundheitlichen Benefits bekommen können?
„Wir sind momentan sicherlich noch Anbieter im High-End-Bereich und wir wollen Produkte von hervorragender Qualität herstellen. Sobald die Produkte populärer werden, ist es aber vorstellbar, dass die Produkte beispielsweise von Versicherungen subventioniert werden, die ein Interesse daran haben, dass ihre Kunden sie nutzen.“
Können solche Produkte eine Gesellschaft wirklich gesünder machen?
„Prävention ist heute nur noch eine Frage der Kommunikation und des Allgemeinwissens. 10.000 Schritte am Tag oder eine halbe Stunde moderate Bewegung, mehrere Portionen Gemüse, all das ist bereits Wissen, das Menschen haben. Die große Frage ist jedoch, wie es sich tatsächlich in den Alltag integrieren lässt, und was Menschen dabei hilft, kleine Veränderungen, positive Veränderungen für sich umzusetzen. Und wie sie dann Feedback bekommen und wissen können, welche Präventionsmaßnahmen für sie geeignet sind. Ich glaube, dass wir mit unseren Produkten tatsächlich großen Einfluss darauf haben können, wie Prävention in Zukunft aussieht.“