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#ehrlicheEltern: Beruhigend, nicht der einzige Freak zu sein, der sein Familienleben nicht auf die Reihe kriegt!

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Was bringen Hashtags wie #ehrlicheEltern?

Wut, Frust, Überforderung

Seit einigen Tagen macht auf Twitter der Hashtag #ehrlicheEltern die Runde. Dort schreiben Menschen, die Kinder haben, über die Momente, die sie als Eltern verzweifeln lassen, die sie wütend machen, die sie überfordern, sie schildern eigene Verhaltensweisen, für die sie sich schämen. Grob zusammengefasst: Elternsein ist manchmal einfach auch ziemlich scheiße. Die Kollegin Barbara Vorsamer schrieb: „Unter #ehrlicheEltern lese ich den genau gleichen Kram wie sonst auch immer und überall und deswegen verstehe ich diesen Hashtag nicht.“

Dem konnte ich mich spontan schon anschließen, nur: Man darf nicht vergessen – wir sind Journalistinnen, die sich insbesondere mit dem Themenkosmos Gesellschaft und Elternschaft ständig beschäftigen – natürlich liest sich so ein Hashtag dann wie die immer gleiche Suppe aus Überforderung und Elternstress, natürlich ist das eine wiederkehrende Variation der ständig und immer wieder geführten Debatten: Wir lieben unsere Kinder, aber mit den Bedingungen unseres Alltags kommen wir oft schwer klar. Ich denke aber, es gibt viele, sehr viele Menschen, für die so ein Hashtag Trost und Erleichterung bedeutet: Weil sie sehen, dass auch andere tagtäglich an den Erwartungen an sich selbst scheitern. Ich habe zu dem Thema mal eine Kolumne geschrieben und das damals so zusammengefasst: Das Risiko, bei anderen Kindern immer nur ihre Schokoladenseiten mitzubekommen, ist einfach viel höher als bei den eigenen.

Unter #ehrlicheEltern finden sich lustige Geschichten („Habe das Baby letztens bewusst nicht bei dem Versuch unterbrochen, einen Karton aufzuessen, weil es damit gut beschäftigt war und ich dann in Ruhe kochen konnte“), traurige Geschichten, besorgniserregende Geschichten, und vor allem ehrliche Geschichten, bei denen sehr viele Eltern denken werden: „Genau so ist es!“ (Ich zum Beispiel hier: „Ich freue mich morgens schon auf den Mittagsschlaf des Babys, dann darauf, dass der Mann nach Hause kommt und zähle abends die Minuten, bis das Baby zu Bett geht. Dazwischen ist so viel schönes. Es ist so anstrengend. Und einsam. Und intellektuell unbefriedigend.“ Oder hier: „Oft empfinde ich die Zeit , die ich mit meinem Kind verbringe, als ,den Tag rumbringen‘. Ich schaue auf die Uhr und rechne aus, wie viele Stunden es noch bis zu meinem ,Feierabend‘ sind. Oder hier: ,Ich lasse die Kinder in der Kita beim Abholen schon allein deshalb noch ein bisschen spielen , damit die Zeit zu Hause kürzer ist.“ Oder hier: „Ich HASSE basteln .“

Was ist der Sinn eines solchen Hashtags? Nun, vor allem, sich etwas von der Seele zu schreiben, und natürlich auch, die ehrlichen Offenbarungen anderer zu lesen, um die Bestätigung zu bekommen, worauf man natürlich immer hofft: nämlich, dass man nicht der einzige unfähige, deprimierte, einsame, cholerische, oft wütende Freak ist, der das mit dem immer harmonischen Rama-Werbung-Family-Life nicht so ganz optimal auf die Reihe kriegt. Zumindest nicht jeden Tag.

Elternsein unbeschadet überstehen

Zum Glück, so ist zumindest meine Erfahrung, reicht und hilft es bei der Mehrzahl von Situationen und Dingen, die einen fertigmachen, sich mit anderen Betroffenen, äh Eltern auszutauschen. So ein Umfeld zu haben, halte ich für enorm wichtig, geradezu für unabdingbar, um unbeschadet aus dieser ganzen Sache ,Elternsein‘ rauszukommen. Und oft ist es eben nicht der*die Partner*in, der*die helfen kann, denn er*sie hängt ja genauso mit drin und kann vieles nicht aus der Distanz betrachten, die nötig ist, um hier mal falsche Vorstellungen geradezurücken, dort mal Trost zu spenden, und wenn nötig, auf externe Hilfsangebote zu verweisen, und vor allem: Falls es passt, an der richtigen Stelle mal ein bisschen Humor reinzubringen.

Allein schon, mit befreundeten Kita-Eltern Montag früh Witze darüber zu machen, dass ein Einzelkämpfer-Lehrgang bei der der Bundeswehr höchstwahrscheinlich für mehr Entspannung gesorgt hätte als das soeben mühsam hinter sich gebrachte Wochenende mit der Familie, hilft mir zumindest ungemein.

So ein Hashtag ist die Social-Media-Variante davon. Natürlich geht es auch darum, sich auszukotzen. Man kann und sollte aber auch die Frage stellen: Auskotzen schön und gut, aber gibt es etwas, das man ändern kann, damit man sich demnächst weniger auskotzen muss? Manche Dinge sind natürlich, wie sie sind, siehe die ersten Monate allein mit Baby. Auch der Schmerz, wenn man auf Lego tritt, wird immer schwer erträglich bleiben. Bei manchen der Schilderungen geht es auch gar nicht darum, etwas zu ändern, denn tatsächlich bedeutet Kinderhaben jeden Tag aufs Neue, Dinge machen zu müssen, die ich nicht tun würde, wenn ich mich für ein Leben als Hedonist*in entschieden hätte.

Keine Berührungsängste vor Hilfsangeboten!

Ganz grundsätzlich würde ich denken, wie so oft, wäre ein Weg der Mitte doch ganz gut: Es tut gut, sich auszukotzen, Trost zu bekommen und die Gewissheit, dass es anderen ähnlich geht. Wenn es aber um Probleme geht, die bedrohlich werden, die unser Leben ins Schlingern bringen, dann ist es wichtig, zumindest zu versuchen, etwas zu verändern.

Ich plädiere ja ganz stark dafür, jegliche Berührungsängste vor externen Hilfsangeboten sofort abzulegen, so von wegen: „Erziehungsberatung, da gehen doch nur Freaks hin, die „gestörte“ Kinder haben, die eigentlich ein Fall für die „Elternschule“ wären). Gar nicht! In jedem Kiez, in jeder Stadt, irgendwo in der Nähe gibt es ein kostenloses Angebot, in den Familienzentren, bei Sozialdiensten, die niedrigschwellig und falls gewünscht anonym zum Beispiel Erziehungsberatung oder Beratung bei Paarkonflikten in der Familie anbieten. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die sich freuen, wenn man kommt, und noch mehr, wenn man wiederkommt!

Jeder Mensch, der*die Kinder hat, reagiert sehr unterschiedlich auf die Ansprüche, die unsere Gesellschaft an Leute mit Kindern stellt; manche fühlen sich sehr schnell unter Druck gesetzt, andere sind damit gesegnet, dass sie sich nicht groß den Kopf zerbrechen und ihre eigene Schiene unbeirrt fahren können; wer sich schwertut mit den Ansprüchen und Angst hat, ihnen nicht gerecht zu werden, der*die findet Trost bei #ehrlicheEltern. Für viele ist das ein Ventil. Und Leute, die weniger belastet sind, finden auf amüsante Weise Bestätigung, dass sie nicht allein sind, beispielsweise in ihrem Hass auf Bobo Siebenschläfer.

Wenn Leute mäkeln und sich fragen, was es bringen soll, wenn Eltern „heutzutage“ Gefühle wie Frust, Wut, Genervtsein, Scham, Überforderung, Angst und Trauer via Twitter rauslassen, dann könnte man ja einfach ein bisschen zurückblicken: Früher waren diese Gefühle garantiert auch schon da, bloß konnte man sie damals noch nicht twittern – das hat es ganz bestimmt nicht besser gemacht.

Mit oder ohne Twitter jedenfalls tut es gut, wenn man nicht allein bleibt mit schwierigen Gefühlen, die mit dem Elternsein verbunden sind. Wenn zum Beispiel dieses Gefühl des ständigen Zermürbtseins nicht mehr weggeht, oder man sich innerhalb der Familie in einer festgefahrenen Situation befindet, aus der man allein nicht mehr herausfindet – dann kann man mehr tun als twittern!

Ich zum Beispiel war schon öfters bei der Erziehungsberatung im Familienzentrum um die Ecke in unserem Kiez in Berlin-Kreuzberg zu Besuch. Und das bei vergleichsweise milderen Problemen – heute kriege ich fast ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass ich vor Jahren den Berater*innen ihre kostbare Zeit stahl, weil das erste Kind im Altern von zwei oder drei Jahren ab und zu einen Wutanfall hatte. Aber es ging am Ende nicht um das Kind und seine Stimmung, sondern: um mich. Ich war offenbar verunsichert und unglücklich mit der aktuellen Situation und bin innerhalb meines Umfeldes nicht weitergekommen. Ich will natürlich nicht empfehlen, mit jedem Kram zur Erziehungsberatung zu rennen, um Gottes willen, ich sehe die Kritiker*innen schon die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, von wegen „Eltern von heute haben keine Intuition mehr und vertrauen ihren Fähigkeiten nicht mehr“, aber ich trau mich mal zu generalisieren: Wenn man das Gefühl hat, es aus eigener Kraft nicht mehr zu packen, dann finde ich es eine gute Idee, zu überlegen, wer unterstützen und beraten könnte.

Oder noch besser: Einfach noch zwei, drei Kinder mehr kriegen. Der Alltag mag dann zwar mehr und mehr Zermürbung bringen, aber diese herrliche Laissez-faire-Haltung, mit der man allerspätestens ab dem dritten Kind in die Welt schaut und sich vergnügt „Ach, passt schon“ denkt, das ist schon sehr viel wert.

Ich jedenfalls würde meinem ersten Kind wünschen, als drittes Kind wiedergeboren zu werden: mit im positivsten Sinne abgestumpften Eltern, die an es glauben, die nicht zweifeln, die nicht jede Abweichung vom Lehrbuchverhalten pathologisieren und die nicht der Meinung sind, dass Zweijährige verdammt noch mal Haltung bewahren müssen, wenn ihr blöder Butterkeks zerbrochen ist.

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