Periode soll Spaß machen? Cis Männer haben Periodenneid? Soll das ein Witz sein? Das Untenrum-Label Einhorn macht keine Scherze, sondern hat ein klares Ziel: Die Menstruation soll kein Tabu mehr sein, sondern ein Grund zum Feiern.
Mit 100 PMS unterwegs
Stärke statt Scham während der Menstruation – das ist die Mission von Cordelia Röders-Arnold, Head of Menstruation bei unseren Freund*innen von Einhorn. Die fingen mit veganen Kondomen an, jetzt bringt das Berliner Startup eine neue Produktlinie auf den Markt, die sich an menstruierende Menschen richtet: Tolle Teile für die Periode. Warum das längst überfällig war, ob die Monatsblutung wirklich noch ein Tabu ist und wie wir uns gegenseitig besser unterstützen können – darüber haben wir mit Cordelia gesprochen.
Im vergangenen Jahr hast du einen TED-Talk über die sechs Dinge gehalten, die cis Männer über die Periode wissen müssen. Warum wissen so viele einfach noch viel zu selten wirklich Bescheid?
„Vor sehr langer Zeit, als patriarchale Strukturen in der Welt Einzug hielten, haben sich die Menschen – allen voran die Institution Kirche – überlegt, dass Menstruation unrein sei. Damit es keine*r vergisst, wurde es direkt in einem sehr bekannten Buch, der Bibel, festgehalten. Drittes Buch Mose, falls sich das jemand antun möchte. Damit wurde der Grundstein für Scham gelegt und die Periode tabuisiert. Eine Frau sollte bitte schön adrett und sauber sein und für den Mann allzeit nach Rosen duften – das war das vorherrschende Bild in der Gesellschaft.“
Wie ist das heute?
„Die Periode gilt in vielen Köpfen und Regionen der Welt immer noch als unrein. Das führt dazu, dass viele von uns auch heute noch ungern sagen, dass sie gerade ihre Periode haben. Dass vor allem, aber nicht nur junge Frauen die Packung Binden auf dem Kassenband unter einer Zeitung verstecken. Viele lassen nicht einmal ihre*n nicht-menstruierende*n Partner*in an der Periode teilhaben. Mehr als die Klischees ,Bauchschmerzen‘, ,schlechte Laune‘ und ,Bock auf Schokoeis‘ bekommen die meisten Nicht-Menstruierenden so gar nicht mit – es entsteht für sie das ,Mysterium Menstruation‘. Aus unserer Sicht ist es deshalb so wahnsinnig wichtig, dass Menstruierende sich intensiver mit ihrer Periode auseinandersetzen, sie als etwas Positives wahrnehmen, damit sich das auf Nicht-Menstruierende überträgt und die Periode für alle ganz normal wird – wenn nicht sogar sehr interessant. Also etwas, über das auch die, die keine haben, wirklich alles wissen wollen!“
Quelle: einhorn | Youtube
In eurem Trailer zum Film „Periodenneid“ leidet der Hauptdarsteller Herr Neumann unter der dringenden Sehnsucht, auch seine Periode zu bekommen – er möchte unbedingt dazugehören. Aber nicht jeder cis Mann hat Periodenneid. Was ist also deine Strategie, um auch mit Perioden-Skeptiker*innen über Menstruation zu sprechen?
„Ach! Wir glauben: Alle cis Männer haben Periodenneid. Viele wissen es nur noch nicht, denn ihnen hat bisher kaum jemand erzählt, was für ein unglaubliches Wunderwerk der Natur die Periode ist. Abgesehen davon ist unsere Erfahrung, dass cis Männer selbst oft weniger ein Problem mit dem Thema haben, als man denkt. Viele von ihnen, auch oder sogar in den älteren Generationen, zeigen sich interessiert und wollen mehr über die Periode erfahren. Wie man selbst darüber sprechen mag, ist natürlich Geschmackssache. Vor einiger Zeit habe ich meine Menstruationstasse gewechselt und fühlte mich beim Anblick des mit dunkelrotem Blut gefüllten Cups so stolz und stark, dass ich aus dem Bad lief und den gefüllten Cup mit den Worten ,Guck mal, ist das nicht wunderschön?‘ meinem Freund präsentierte. Er war kurz irritiert, stimmte dann aber zu. Das muss man sicherlich nicht machen. Es gibt tausende Möglichkeiten, seine*n Partner*in zu involvieren, wie sehr man die*den Partner*in mitnehmen will, entscheidet jede*r individuell.“
Was hat das in dem Moment mit dir gemacht, deinen Freund so teilhaben zu lassen?
„Das klingt vielleicht komisch, aber für mich war es ein tolles Gefühl, diese gefühlte Mauer nach 17 Jahren diskret privaten Menstruierens einzureißen und den Stolz auf meinen Körper und meine Periode nach außen zu tragen. Diese positive Einstellung war das Ergebnis eines echt langen Prozesses mit mir selbst. Und das wünschen wir Einhörner uns für alle anderen auch: Dass Menstruierende ihre Periode als etwas Gutes empfinden, als eine Stärke gar – auch wenn sie manchmal schmerzhaft ist und nervt!“
Du nennst alle, die nicht menstruieren, Co-Menstruierende. Welche Aufgaben haben sie?
„Die Periode ist für jede*n unglaublich individuell. Manche haben Krämpfe aus der Vorhölle, andere leiden unter starkem PMS. Was Co-Menstruierende tun können, ist Fragen zu stellen: ,Wie geht es dir? Was brauchst du? Wie ist das eigentlich für dich?‘ – Interesse zu zeigen, ist wichtig. Das belegen auch die Ergebnisse unserer Periodenumfrage, an der 20.000 Menschen teilgenommen haben. 60 Prozent der Menstruierenden gaben an, sich mehr Unterstützung vom Partner*in zu wünschen. Außerdem haben wir festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmer*Innen teilweise starke Unterleibskrämpfe haben – nur 1,5 Prozent haben keine Beschwerden. Wichtig ist also vor allem Empathie.“
Apropos Empathie: In deinem TED-Talk hast du auch von dem Tag erzählt, an dem du zum allerersten Mal deine Periode bekommen hast – und von der nüchternen Reaktion deiner Mutter. Welche Reaktion hättest du dir gewünscht?
„An dem Tag fühlte ich mich einerseits stark und erwachsen – ich freute mich endlich ,Teil dieser Gang‘ zu sein. Gleichzeitig war ich komplett unvorbereitet, verunsichert und überfordert. Als ich meiner Mutter relativ aufgeregt davon erzählte, händigte sie mir recht wortkarg eine Binde aus. Was ich eigentlich erwartet hatte: eine große Überraschungsparty, meine Freund*innen kommen vorbei, die Backstreet Boys treten auf und es gibt Pommes für alle. Alternativ wäre es schön gewesen, sie hätte sich mit mir gefreut und mir damit signalisiert, dass die Periode ein Grund zur Freude ist. Und nicht zur Scham. Ich nehme ihr das nicht übel – vor allem, weil sie mich in vielen anderen Bereichen wahnsinnig empowert hat. Aber ich glaube, dass es wirklich elementar ist, diese positiven Assoziationen zur Periode bereits bei Kindern und Jugendlichen fest zu verankern. Deshalb ist gute Aufklärung in Schulen auch so wichtig.“
Dazu gibt es ja erste Ansätze: Diese Woche wurde in England beschlossen, dass Menstruation in den Lehrplan gehört – ab 2020 ist das dort jetzt Pflicht. Welche Maßnahmen hältst du noch für sinnvoll, um Schüler*innen besser aufzuklären?
„Das ist ein guter Schritt. Aber es reicht natürlich nicht, die Verantwortung an die Schulen weiterzureichen. Wir brauchen ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft: Ich denke es ist primär an den Eltern, den Grundstein für ein positives Körper- und Periodengefühl zu legen. Dafür muss man genau jenes natürlich selbst zuvor entwickelt haben. Und genau dazu möchten wir einladen und darin bestärken.“
Tampons, Binden, Cups – gemeinsam mit deinen Kolleg*innen hast du jetzt das „Untenrum-Angebot“ von Einhorn erweitert. Eure Botschaft dabei: Menstruation soll Spaß machen. Wie kommt ihr darauf?
„Bist du schon einmal in den Drogeriemarkt gegangen und dachtest ,Boah. Was für ein Tag. Ich geh erstmal zum Tamponregal und schau, was es da Neues gibt. Heute gönn ich mir mal so richtig was!‘? Im Periodenregal, offiziell ,Damenhygiene‘ genannt – und da fängt es ja schon an – gab es außer geschwungenen Rillen seit Jahrzehnten keine Innovation mehr. Die meisten Produkte versprechen Diskretion, Schutz und Frische. Jahrhunderte lang ging es darum, die Periode diskret zu verstecken – und darauf haben wir keine Lust mehr.“
Was tut ihr, um das zu ändern? Worin besteht eure Innovation?
„Die meisten Tampons und Binden bestehen aus Viskose und Plastik. Unsere Tampons und Binden sind aus 100 Prozent Bio-Baumwolle – das ist cool für den Körper und für den Planeten. Gutes Design macht auch mehr Spaß: Die Bio-Tampons heißen ,Tamtampons‘, weil Du allein mit dem Schütteln der Milchtüten-Verpackung so richtig Tam Tam machen kannst. Auf die einzelnen Tampons haben wir bestärkende und informative Botschaften zur Periode geschrieben und zur allgemeinen Lage der Nation. Auf einem der Tampons steht ,Nazis raus, Tampons rein’. Auf einem der Flügelorakel-Sprüche unserer Bio-Binden liest man ,Eine Menstruationstasse wird in dein Leben treten‘ – weil sie das nachhaltigste Periodenprodukt ist und wir uns wünschen, dass wir unsere eigenen Wegwerfprodukte in fünf Jahren selbst abschaffen können. Bestenfalls sind dann alle auf wiederverwendbare Produkte, zum Beispiel unseren Papperlacup, umgestiegen.“
Man kann die Periode also auch als Statement nutzen?
„Wir glauben, dass der Kassenbon ein Stimmzettel ist. Unsere Produkte verkörpern unsere Haltung: Die Periode ist eine Stärke, wir müssen gehörig auf unseren Planeten aufpassen, mit Spaß macht alles mehr Spaß – und Nazis raus.“
Du sagst: Menstruation ist eine Stärke. Warum ist es vielen, besonders jungen Mädchen, trotzdem so peinlich, wenn ihnen ein Tampon aus der Tasche fällt?
„Weil niemand ihnen die Unsicherheit genommen hat, weil niemand sie empowert hat, positiv, beziehungsweise normal mit ihrer Periode umzugehen. Und: Weil die Jungs es genauso wenig gelernt haben und Mädchen oft immer noch Angst vor der Bewertung der Jungs haben. Wir hoffen, dass wir hier etwas verändern können. In den letzten Tagen bekamen wir immer wieder Benachrichtigungen auf Instagram. Junge User*innen aus unserer Insta-Community hatten die ersten Einhorn-Periodenprodukte bei dm gefunden, fotografierten sie auf den Kassenbändern und posteten die Bilder der Bio-Tampons und Bio-Binden stolz auf Instagram. Das hat uns unglaublich gefreut und gibt uns ganz viel Energie, weiter die Periode zu unfucken!”
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