Foto: Anne Koch für das Barcamp Frauen 2016

Bedeutet ein Baby Selbstaufgabe?

Will ich überhaupt Kinder? Viele Frauen können diese Frage nicht klar für sich beantworten. Kein Wunder angesichts des vermeintlichen Druck, eine perfekte Mutter sein zu müssen, und der Sorgen, für die eigenen Bedürfnisse keinen Raum mehr zu haben. Aber ist das wirklich so?

Augenringe als Statement-Piece

Den ersten Montag im Jahr, an dem ich eigentlich im Büro sein wollte – neues Jahr, neue Energie … – verbrachte ich mit einem gepunkteten Kleinkind im Wartezimmer der Kinderärztin: Mein zwölf Monate altes Baby hatte kurz nach Weihnachten die Windpocken bekommen. Die folgenden Tage waren – mal wieder – komplett anders als erhofft verlaufen.

Statt gemütlicher Feiertage mit mehr Schlaf als sonst, Nächte, die stündlich unterbrochen wurden und Tage, an denen wir die geplagte Haut unserer Kleinen ebenfalls etwa stündlich versorgen mussten, zwischen Stillen, Wickeln, Füttern und Spielen. Die Augenringe des vergangenen Jahres nahm ich nahtlos mit in das neue. Dennoch waren die Weihnachtstage auch wunderschön: Das erste Mal seit Langem verbrachten wir viele Tage am Stück gemeinsam mit den Kindern. Trotz der Windpocken war meine Tochter wahnsinnig fröhlich, plapperte unentwegt und machte die ersten Stehversuche. Sie machte mich fertig und gleichzeitig glücklich.

Habe ich mir das Leben mit Baby so vorgestellt? Nein. Ehrlich gesagt hatte ich gar keine richtige Vorstellung, wie es denn sein würde. Du kannst noch so viel dazu lesen, dir so viele Geschichten von Freundinnen und Bekannten erzählen lassen, bis du jede Geburtshorrorstory und Geschichte vom Wunderkind, das mit zwei Monaten sprechen konnte, kennst – aber all das bereitet eben nur sehr oberflächlich auf die Realität vor, die niemand planen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass alles sehr viel anders kommt, als du dachtest, ist groß. Das fängt bei Schwangerschaft und Geburt an, und geht dann im Wochenbett und in den ersten Monaten einfach immer so weiter. Mal ist es sehr viel anstrengender als gedacht, mal einfacher und wundervoller als je vermutet. Ich habe gelernt, Bilder, die ich von etwas hatte, loszulassen und mich auf das Unbekannte einzulassen.

Macht dich ein neuer kleiner Mensch zu einem neuen Mensch?

Was ändert sich mit Kind? Ändere ich mich mit Kind? Ist das Baby das Ende jeder guten Beziehung? Sara hat vor ein paar Monaten bei uns darüber geschrieben, dass die fehlenden Antworten auf diese Fragen es für sie schwer machen, sich dafür zu entscheiden, Mutter zu werden. Sie trägt mit sich vor allem die Frage herum, ob sie sich selbst aufgeben muss und die Sara, die sie kennt, vergessen muss – um sich schließlich in eine Sara mit Kind zu verwandeln.

Ich kann verstehen, warum Sara so denkt und warum Menschen fürchten, dass mit einem Kind nichts von ihrem bisherigen Leben übrig bleibt. Denn Erwachsenwerden bedeutet Emanzipation und Hineinwachsen in die Selbstständigkeit. Wir ziehen von Zuhause aus, bereiten uns mit Ausbildung oder Studium aufs Berufsleben vor und beginnen, Stück für Stück das Leben zusammenzusetzen, das wir uns wünschen und das uns gut erscheint. Allein das ist schwierig, denn für viele Menschen bleibt die Beziehung zur eigenen Familie auch als Erwachsener kompliziert und die Ablösung ist schwierig. Vielleicht findet man nicht den Ausbildungsplatz, den man sich gewünscht hat, man bricht das Studium ab oder ist dort todunglücklich. Bis man sich selbst findet und das Leben als etwas betrachtet, das man selbst so geformt hat und mit dem man zufrieden ist, kann es dauern.

Ein Kind aber bedeutet, einen Teil dieses Lebens wieder aufzugeben. Denn was ich jetzt, etwas über einem Jahr nach der Geburt meines Babys, sagen würde, ist: Ja, es ändert sich alles. Ausnahmslos alles. Nicht nur die Nächte, der Körper, die Beziehungen zum Partner oder Partnerin, zu Freundinnen und Freunden, die Bedeutung des Jobs, die Wertvorstellungen, die eigene Fähigkeit zu lieben und zu leiden, die Geduld oder die Reizbarkeit – ja, es ändert sich alles. Man wird in gewisser Weise tatsächlich zu einem neuen Menschen, mit neuen Stärken und neuen Schwächen – kein komplett anderer, jedoch überrascht man sich selbst, denn die Entwicklung, die man als Erwachsener mit Kind durchmacht, ist nicht steuerbar.

Es ist genau dieser Kontrollverlust, der in Zeiten der Selbstoptimierung so bedrohlich scheint. Denn wenn auch vielleicht nur unterbewusst: Jeder hat Bilder und Ideale davon im Kopf, wie Eltern sein sollten und was für eine Mutter oder was für ein Vater sie oder er selbst gern wäre. Dafür gibt es jedoch weder Coach noch Fernstudium. (Oder ist vielleicht das Baby der Coach?)

Ist Selbstaufgabe für diesen Prozess das richtige Wort? In unserem Sprachgebrauch ist es zumindest negativ konnotiert – sonst würde es Sara keine Angst machen. Was aber, wenn ich sage, ich habe nur das Bild von mir, das ich so lange hatte, aufgegeben? Ich habe es losgelassen. Ich habe aufgegeben, mich gegen das Neue zu sträuben und mich auf das Chaos eingelassen. Warum glauben wir so oft, vom Neuen erdrückt zu werden, statt daran zu wachsen?

Wer bin ich?

Als Erwachsene ist die eigene Persönlichkeit schon relativ gefestigt und es ist eher unwahrscheinlich, dass man sich noch grundsätzlich verändert – und trotzdem: Kannst du, solltest du zwischen 25 und 35 sein, auf die Frage, wer du bist und was dich ausmacht, eine unverrückbare Antwort geben?

Ich habe in der Elternzeit sehr hart gelernt, dass ich zu wenig darüber wusste, was mich ausmacht, oder ich mich selbst bislang viel zu eng definiert hatte. Als das Baby da war und meine Arbeit als Journalistin ruhen musste, wurde ich unruhig und unglücklich. Wenn ich doch mehr sein wollte als meine Arbeit, warum hatte mich ihr (temporärer) Verlust so verunsichert?

Diese Verunsicherung stammte zu großen Teilen sicherlich auch daher, da ich in meiner neuen Rolle überfordert gewesen bin – was bis heute anhält. (Also wollte ich schnell zurück zu dem, was ich kannte und konnte: zu meiner Arbeit). Ich glaube nicht, dass es ,geborene‘ Eltern gibt ­– we’re all struggling.

Wenn ich angefragt werde, einen Vortrag zu halten, der mir eine Nummer zu groß erscheint, sage ich immer „ja“, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dabei immer zu lernen und besser zu werden und es immer nur halb so wild war, wie ich es mir ausgemalt hatte. Als Mutter hatte ich das Gefühl, das erste Mal einen Auftrag angenommen zu haben, bei dem ich mich überschätzt hatte. Zwar habe ich mir niemals gewünscht, das Baby sei nicht da, den Gedanken „Was für eine Schnapsidee … ich kann das nicht“ habe ich dennoch häufiger.  Und den Gedanken, warum allen anderen das Elternsein so leicht von der Hand geht, nur dir selbst nicht, kennen bestimmt andere auch.

„Social media amplifies the dishonesty, or, rather, the selective truth-telling. Countless times I’ve posted a picture of my son looking cute on Facebook and later that weekend, possibly even just one hour later, I’ve been sobbing with despair at what a useless mother I am. Of course I don’t share that. Both feelings are genuine, but only one gets out into the world.“ Cathy Rentzenbrink, The Pool

Elternsein beim ersten Kind kann aber doch gar nichts anderes sein als permanente Überforderung, da die meisten Dinge eben unbekannt sind und es für die einzigartigen kleinen Babys keine Youtube-Tutorials gibt.

An manchen Tagen weiß ich aufgrund von Schlafmangel, Kita-Viren und den dünnen Nerven kaum noch, wo ich anfange und wo ich aufhöre. Aber ich weiß jetzt jedenfalls, was mich nicht ausmacht: zum Beispiel meine Schuhsammlung, die ungenutzt im Schrank steht, seitdem ich fast immer mit ein paar Kilogramm Baby die Treppen hinab- und hinauflaufe und den Kinderwagen mehrere Kilometer am Tag über holprige Gehwege schiebe. Plötzlich fühle ich mich lächerlich, weil ich absurd viel Geld in meine Vorliebe für ausgefallene Schuhe investiert habe, und darauf auch noch stolz war. Ich kann nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, jemandem die angesagteste Bar empfehlen – aber vielleicht hatte die Tatsache, dass ich das mal konnte, wenigstens den Zweck, dass ich nun nicht das Gefühl habe, etwas zu verpassen, und stattdessen die Wochenenden genieße, die plötzlich fünf Mal so viel Zeit zu haben scheinen, seitdem ich nicht mehr verkatert aufwache. Werde ich spießig?

All diese Gefühle

Als meine Tochter ein paar Tage alt war und wir mit ihr die erste Zeit in unserer Wohnung verbracht hatten, fragte mein Freund: „Was haben wir eigentlich die ganze Zeit vorher gemacht?“, und das trifft mein Gefühl auch jetzt nach 15 Monaten mit Kind noch sehr genau. Obwohl ich oft gern mehr Zeit für mich alleine hätte und dankbar bin für die Stunden, in denen ich zum Yoga gehen kann oder allein an der Spree entlanglaufe, vermisse ich die Zeit vor dem Kind nicht. Egal wie erschöpft ich bin: Wenn ich Schlafmangel und Freude addiere, bleibt unter dem Strich immer mehr Liebe übrig. Jedes Mal, wenn ich die Kleine nachmittags aus der Kita hole, überfällt mich ein Herzklopfen, das ich zuletzt als Teenager beim allerersten Date hatte. Zuverlässig setzt es ein, egal wie der Tag ansonsten war. Mein Baby ist die erste Person, die das in meinem Erwachsenenleben, seitdem ich sie kenne, jeden Tag geschafft hat.

Auf der Konferenz, auf der ich am Samstag war, hatte meine Tochter keine Lust auf die angebotene Kinderbetreuung. Es war einer dieser Tage, an denen sie nur bei mir und nur auf meinem Arm und bloß keine Sekunde woanders sein wollte, und so hatte ich sie schließlich auch auf dem Arm, als ich einen Vortrag hielt und einen Workshop moderierte. Nein, das ist keine Selbstaufgabe – ich bekomme jeden Tag neue Aufgaben, und ich bin selbst überrascht davon, wie ich an ihnen wachse.

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