Nena Schink an ihrem Handy. Foto: Moritz Thau

Nena Schink: „Ich halte Instagram für das selbstzerstörerischste und schlimmste soziale Netzwerk von allen“

Die Journalistin Nena Schink hat ein Buch über Instagram geschrieben, der Titel: „Unfollow“. Damit ist klar, in welche Richtung die Autorin geht. Aber lässt sich Instagram nicht auch sinnvoll nutzen, gerade für Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden? Ein Streitgespräch.

Selbstinszenierung und Sozialneid?

Durch einen Selbstversuch für das Jugendportal des Handelblatts ist sie süchtig geworden, sagt Nena Schink. Eigentlich sollte sie nur probieren, Influencerin zu werden, doch sie kam nicht mehr weg von der Sucht nach Herzchen-Aufmerksamkeit und digitaler Bestätigung. Die Wirtschaftsjournalistin und „Bunte“-Society-Reporterin hat ein Buch über Selbstinszenierung, Sozialneid, die Welt der Influencer*innen und verschwendete Lebenszeit geschrieben. Elina Penner hat mit ihr gesprochen.

Elina Penner: Was unterscheidet Instagram von allen anderen Plattformen?

Nena Schink: „Auf Instagram gibt es nichts zu gewinnen außer die Anerkennung der anderen. Ich halte Instagram für das selbstzerstörerischste und schlimmste soziale Netzwerk von allen. Linkedin beispielsweise dreht sich größtenteils um Inhalte. Natürlich wird auch dort viel Nonsens geteilt, aber das Ziel ist es, beruflich voranzukommen. Bei Facebook ist das grundlegende Ziel, sich mit Freunden zu verbinden und in Kontakt zu bleiben. Bei Instagram ist das einzige Ziel, sich selbst darzustellen, die Filter zu nutzen und die Selbstinszenierung. Und: Instagram lebt vom Sozialneid.“

Was genau ist Sozialneid?

„Nach meiner Definition ist Sozialneid, wenn man etwas haben will, was der*die andere hat; wenn man auf Statussymbole neidisch ist. Besonders wenn man sich die großen deutschen Influencer*innen wie Caroline Daur, Leonie Hanne, Ann-Kathrin Götze anschaut: Sie alle leben davon, eine Welt und ein Leben zu zeigen, das andere nicht führen. Sie leben davon, dass wir neidisch sind, uns diese Welt aber voyeuristisch anschauen. Wir beneiden diese Frauen um ihre Designerhandtaschen. Bilder, die auf diesen Sozialneid anspielen, sagen wir mal Louis-Vuitton-Sonnenbrille im Gesicht, tolles Kleid, krasser Körper, krasse Yacht, kriegen auf Instagram mehr Likes als ein Doktortitel. Das ist das Traurige.“

Für mich der absolut wichtigste Punkt in deinem Buch ist der Vorgang des Postens aus unserem Alltag. Deine Kritik daran, dass wir den Wahn haben, ständig aus unserem Alltag zu posten, hat bei mir nachhaltig Eindruck hinterlassen. Seitdem ich das bei dir gelesen habe, denke ich mir wirklich bei jeder Story: Warum will ich das posten? Deshalb die Frage an dich: Warum posten wir unseren langweiligen Alltag?

„Weil wir uns nach digitaler Bestätigung sehnen. Das ist mir auch erst ganz spät klar geworden. Nehmen wir mal ein praktisches Beispiel: Warum habe ich immer meinen Koffer gefilmt? Ich hatte diese supernervige Angewohnheit, bei beruflichen und privaten Reisen ständig meinen Koffer zu filmen. Letztens sagte mir ein Kollege vom Handelsblatt, wie froh er ist, dass ich aufgehört habe, meinen Koffer zu filmen. Alle Welt war genervt, ich kam mir aber supercool vor und wollte der Welt vorleben, hey, ich bin so eine erfolgreiche Businessfrau. Ich bin immer on the run! Wir posten belangloses Zeug, weil wir wer sein wollen! Wir wollen scheinen und leuchten. Mein*e Chef*in erzählt mir nicht jeden Tag, wie toll ich bin und streichelt mir über den Kopf. In der realen Welt Bestätigung zu bekommen ist so viel schwerer als in der digitalen, deshalb inszenieren wir unser Leben und unser Mittagessen.“

Das klingt ja eigentlich ziemlich erbärmlich und wir machen es trotzdem.

„Eigentlich interessiert es keinen da draußen, aber indem wir es posten, fühlen wir uns wichtig. Instagram hat uns allen die Möglichkeit gegeben, ein vermeintlicher Promi zu sein. Dieser Mechanismus spielt mit uns und macht uns süchtig. Ich teile beispielsweise meinen Lebensgefährten nicht mehr auf Instagram. Es gibt kein einziges Bild mehr von uns beiden auf meinem Profil, und er wird auch nie wieder dort vorkommen, weder in der Story noch in der Timeline. Ich habe unsere Beziehung und unsere Liebe derart erbärmlich inszeniert und im Nachhinein frage ich mich, warum ich das gemacht habe. Das ist doch viel zu privat! Was geht denn irgendwen an, wer mein Freund ist?“

Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Beziehungen, über die man besonders viel postet, nicht die glücklichsten sind.

„Ach total! Ich bin mit meinem Freund sehr glücklich, aber auf den ganzen Bildern, die ich gepostet habe, bin ich überhaupt nicht glücklich. Auf einem Bild im Urlaub haben wir uns nach der Fotosession eine Stunde lang angeschwiegen, weil ich sauer auf ihn und er genervt von mir war. Auf den meisten Traumpaar-Fotos auf Instagram hatten wir Streit. Aber ich möchte betonen, dass man Instagram auch smart nutzen kann. Deswegen heißt das Buch ja nicht ,Delete‘ sondern ,Unfollow‘. Aber dafür muss man einige Vorkehrungen treffen. Ich habe mein Profil vor ein paar Monaten auf privat gestellt, damit ich sehen kann, wer mir folgen möchte. Ich will junge Frauen positiv beeinflussen, aber ich will mir meine Zielgruppe selbst aussuchen. Nach meinem Auftritt beim Sat1-Frühstücksfernsehen hatte ich knapp 5000 Aboanfragen und davon habe ich nur ein paar hundert angenommen. Warum? Weil viele Kuschelklaus, Nylonstrumpfliebhaber und irgendwelche Perversen waren. Das habe ich mir vorher nie vor Augen geführt! Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wer schaut sich das alles eigentlich an? Und das ist das Gefährliche an Instagram.“

Nena, warum hat mir meine achtwöchige Instagram-Pause so gutgetan?

„Bei meinem eigenen digitalen Detox hat es mir gutgetan, nicht mehr an das Handy zu denken und einfach mal zu leben. Plötzlich lebt man wieder in der Realität! Mir passiert es wirklich, dass ich eigentlich einen sehr lustigen Abend habe, und dann sehe ich etwas auf Instagram und bin sauer, weil eine andere Freundin vielleicht gerade einen noch cooleren Abend hat.“

Klassische FOMO (fear of missing out) … bei mir war es dann so, dass ich am ersten Januar 2020 das Handy angemacht habe, und so zum ersten Mal etwas über die WDR-Kinderchor-Diskussion mitbekommen hatte, und wusste: Wäre ich online gewesen, hätte ich mich auch darüber aufgeregt. Für wen hast du dieses Buch geschrieben, beziehungsweise: Wer sollte es lesen? Und wer scheint es wirklich zu lesen?

„Ich hatte ein Traumszenario beim Schreiben und das war das 16-jährige Mädchen, das es gemeinsam mit seiner Mutter liest und die beiden sich am Abendbrottisch darüber austauschen. Und genau das ist eingetreten. Mir haben sehr viele Mädchen geschrieben, die sich freuen, dass ihre Mütter nun nicht mehr nur über Instagram meckern, sondern plötzlich Ahnung davon haben und sich mit dem Thema auseinandersetzen. Meine Mutter ist immer wieder mit mir und meiner Schwester in die Diskussion gegangen, ‚Pia, warum fotografierst du deinen Stepper, das ist doch lächerlich‘ und das müssen viel mehr Eltern machen! Meine Zielgruppe ist nicht nur jung, sondern auch ihre Eltern und Großeltern lesen das Buch. Was mich sehr berührt hat, war der Leserinnenbrief einer 89-jährigen Frau, die sich ein Wochenende lang eingeschlossen hat, um das Buch zu lesen. Sie hat mir geschrieben, dass sie das Kapitel mit meiner Uroma sehr gerührt hätte und dass sie jetzt ihre Enkel*innen besser versteht. Ich habe also nicht eine spezielle Zielgruppe. Meine größenwahnsinnige Hoffnung ist, dass die Generationen durch das Buch in Austausch treten. Deshalb habe ich auch viele Generationengespräche im Buch.“

Selbstreflexion

Ich bin großer Fan deiner Mutter! Im Buch zitierst du ihren Real Talk an dich: „ … vor allem weil nicht du selbst, sondern dein Vater und dein Freund Caspar dein luxuriöses Leben größtenteils finanzieren“. Das war sehr ehrlich!

„Oh, aufmerksam gelesen!“

Immer! Du selbst gehst auch an einer Stelle auf deine Privilegien ein: „Und dann ist da mein Vater, der immer für mich da ist. Emotional. Und finanziell. Er ist mein Vorbild. Mit fünfundvierzig Jahren hat er sich selbstständig gemacht. In einem Alter, in dem andere Menschen anfangen, die Rente herbeizusehnen, baute er seine Firma auf. Urlaube gab es für uns, aber nie für ihn. Durch seinen Fleiß ermöglichte er mir und meiner Schwester ein privilegiertes, sorgenfreies Leben: Studium in Maastricht, eigene Wohnung, unbezahlte Praktika, Fernreisen und Luxusartikel. Im Gegensatz zu anderen Student*innen musste ich nie Angst haben, am Monatsende kein Geld mehr zu besitzen.“ – Ich war mir beim Lesen nicht sicher, ob ich dich dafür loben soll, dass du, wie die Jugend sagt, dein Privilege checkst, oder wütend werden soll, weil in diesem Fall deine Existenz und dein Werdegang bestätigen, was der Elitenforscher Michael Hartmann 2012 in einer groß angelegten Studie herausgefunden hat: Dass soziale Herkunft Berichterstattung prägt und in deutschen Redaktionen keine Diversität herrscht.

„Ist ja auch logisch, die Journalistenschulen zahlen einfach zu wenig Gehalt. Und um dort genommen zu werden, muss man mehrere unbezahlte Praktika absolvieren, oder wird mit 450 Euro monatlich abgespeist. Das war schon immer ein Problem in unserer Branche. Andere Branchen wie beispielsweise Unternehmensberatungen zahlen im Praktikum Mindestlohn. Wir brauchen definitiv mehr Diversität im Journalismus. Aber dafür muss die Bezahlung endlich angepasst werden.“

Inwiefern hat deine Herkunft dein Schreiben oder auch deine Wahrnehmung von Instagram geprägt? Oder die Tatsache, dass du auf einer Journalistenschule warst, im Ausland gelebt hast, dein gesamtes privilegiertes Dasein?

„Meine Herkunft hat mein ganzes Leben beeinflusst. Ich bin absolut der Meinung, dass nicht jeder Mensch die gleichen Chancen hat und das ist schlimm, furchtbar, und ich würde gerne etwas dagegen unternehmen. Ich war früher in einer Unternehmensberatung tätig und habe mit 23 Jahren sehr gutes Geld verdient, wollte aber immer Journalistin werden. Irgendwann war der Traum so groß, dass ich eine Zeitung nicht mehr anfassen konnte, weil ich so neidisch war und meinen Job sehr gehasst habe. Wenn mein Vater nicht gesagt hätte, mach das, ich finanziere dein Leben während der Journalistenschule, hätte ich das nie machen können. Das heißt, ohne meine Herkunft wäre ich heute keine Journalistin. Ich bewundere Menschen, die es schaffen, sich das alles selbst zu erarbeiten. Ich bin unglaublich stolz auf Freund*innen von mir, die sich ihr Studium selbst finanzieren. Ich hätte die Power nicht gehabt. Ich hätte meinen Job nie gekündigt, wenn mein Vater nicht gesagt hätte, er zahlt mir meine Miete.“

Warum ist der Einfluss deines Vaters so wichtig?

„Es geht ja nicht nur um Geld, denn ohne das Vorbild meines Vaters hätte ich dieses Buch mit 27 Jahren nicht geschrieben, weil er mir vorgelebt hat groß zu denken und zu träumen. Auch das ist Teil meiner Herkunft, meiner DNA. Mit 45 Jahren hat er sich selbstständig gemacht und anfangs im Winter in einer winzigen Halle ohne Heizung bei null Grad an einer einzigen Drehbank Teile gefertigt. Da stand nur ein mickriger Ofen. Da war ich zwölf Jahre alt. Wenn ich mir heute seinen Maschinenpark anschaue bin ich von Stolz erfüllt. Diesen Werdegang als Teenager zu beobachten, hat mich stark geprägt und das kam in meinem Buch viel zu kurz. Auch wenn seine Selbstständigkeit nicht funktioniert hätte, er hätte auf alles verzichtet, damit seine Töchter studieren können.“

Als Erststudierende und Arbeiterkind kann ich den Stolz gut verstehen.

„Und natürlich hat es mir Sicherheit gegeben, zu wissen, dass Geld da war und es hat mir die Sicherheit gegeben, zu wissen, dass ich nicht versagen kann. Ich hatte dank ihm einfach nie Angst zu versagen. Und ganz wichtig: Ich musste in meinem Leben nie eine Entscheidung für finanzielle Sicherheit treffen. Es ist ein Privileg, sich entfalten und ausprobieren zu dürfen, ohne Angst vorm Monatsende zu haben. Wenn das Buch ein Flop gewesen wäre, wäre es egal gewesen. Ich glaube, dass Menschen, die diese finanzielle Sicherheit nicht haben, weniger oft größenwahnsinnige Projekte starten.“

Aber dann ist Instagram doch genau für solche Menschen, die den regulären Weg in den Journalismus nicht schaffen, das Sprungbrett, um journalistisch arbeiten zu können.

„Klar! Ich sage ja nicht, dass Instagram schlecht ist. Aber warum sollten Journalist*innen ihr Mittagessen posten, um Aufträge zu kriegen? Wenn eine Journalistin Instagram nutzt, um ihre Texte zu posten und Aufträge akquiriert, finde ich das großartig. Instagram ist ein tolles Medium, wie jede andere soziale Plattform auch, aber, und das ist ein großes aber: Was ich damals getan habe, warum meine Mutter mir gesagt hat, dass sie nicht stolz auf mich ist: Ich habe mich selbst beschissen und belogen. Ich habe mir eingeredet, ich würde das für mein journalistisches Fortkommen machen, um meine Leser*innen zu erreichen.“

Was war dann das eigentliche Ziel?

„90 Prozent meiner Posts waren dazu da, um meine eigene Eitelkeit zu befriedigen und den Leuten da draußen zu zeigen, guck mal, was ich für ein geiles Leben habe. Oder halt für Menschen aus der Vergangenheit. Eine Bekannte hat ihr Profil absichtlich öffentlich geschaltet, nur damit ihr Ex sieht, wie gut es ihr geht. Und hätte es Instagram vor zehn Jahren gegeben, hätte ich das nach dem Verlust meiner Jugendliebe genauso getan. Das ist doch das Krasse: ‚Ich will, dass andere Menschen sehen, wie glücklich ich bin.‘ Aber sollten wir nicht einfach glücklich mit uns selbst sein und kein glückliches Leben inszenieren?“

Wo bleibt der Aktivismus?

Ich würde gerne auch ansprechen, was aus meiner Sicht in deinem Buch fehlt. Ich bin unfassbar zerrissen, was dein Buch an sich angeht. Ich glaube, dass wir beide Instagram sehr unterschiedlich wahrnehmen, da wir in komplett verschiedenen Bubbles stecken. Und ich kritisiere meine Bubble gerne! Du berichtest von deinen unzähligen Flugreisen und das Wort Klima kommt genau einmal vor, und zwar als Teil des Wortes Betriebsklima. Ich bin davon überzeugt, sollte ich ein Foto von mir in einem aktuellen h&m-Kleid hochladen, würde ich negatives Feedback erhalten. Ich könnte kein Bild mit Wegwerfbecher posten und ich habe keine Ahnung, wann ich das letzte Mal an einem Flughafen war, was vielleicht alles vorbildlich ist, aber es zensiert mich. Instagram bedeutet für viele marginalisierte Gruppen, eine Stimme zu haben, oder auch, gesehen zu werden, sichtbar zu werden, zu sein. Wenn Menschen, die keine Ahnung von Instagram haben, wie die von dir erwähnten Eltern und Großeltern, dein Buch lesen, hätten die ja gar keine Ahnung, dass es das politische und aktivistische Instagram gibt.

„Ich finde das heuchlerisch. Ich hätte niemals über Aktivismus auf Instagram geschrieben. Wenn Leute dich anmachen, weil du ein h&m-Kleid trägst, dann sag denen, die sollen die Fresse halten. Ich habe ja am Ende Accounts empfohlen.“

Ja, fünf Stück.

„Genau, und selbst die fand ich zu viel! Rückblickend würde ich die Empfehlungen komplett rausnehmen. Was steht es mir denn zu, anderen Leuten zu empfehlen, was sie sich anschauen oder wem sie folgen sollen! Stell dir mal vor, Jennifer Sieglar macht irgendwann mal eine komische Story und in meinem Buch steht ‚Folgt der bitte‘. Ich kann doch nicht anderen Menschen sagen, was sie zu tun haben. Wenn ich dafür kritisiert werde, Menschen aus meiner Bubble empfohlen zu haben, dann ist das gerechtfertigt, denn das geht nicht. Erst rufe ich dazu auf, die eigenen Accounts auszusieben, und dann erzähle ich euch mal, wem ihr jetzt folgen sollt. Das ist Werbung und genau das, was ich selber nicht gut finde. Da habe ich mich im Nachhinein zu wichtig genommen. Mir war es wichtig, zu betonen, dass ich nur mein Verhalten zeigen kann und was ich verändert habe, und mich nicht über andere zu erheben. Meine Mutter würde an der Stelle wieder sagen: ‚Nena, zu meiner Zeit war Follower*in ein Schimpfwort.‘ Achtung Selbstlob: Ich habe es eigentlich im gesamten Buch geschafft, nicht belehrend zu sein. Jedenfalls nicht schlimm, und ich finde, diese fünf Vorschläge am Ende sind belehrend.“

Glaubst du wirklich nicht, dass manche Accounts einen Unterschied machen? Stichwort Tamponsteuer? Das war Online-Aktivismus.

„Ich finde das ja alles gut. @Mädelsabende ist super. Die klären auf, ohne belehrend zu sein. Aber eine Louisa Dellert kann ich nicht ernst nehmen.“

Was ist mit @dariadaria?

„Kann ich auch nicht ernst nehmen. Das ist mein Problem. Aus meiner Sicht haben die beiden sehr strategisch gewechselt. Beide sind auf Instagram mit anderen Themen gestartet und das Thema Nachhaltigkeit wurde immer mehr en vogue, und ich will ihnen nichts unterstellen …“

Aber du tust es!

„Ich tue es. Ja. Dann lass es mich so formulieren: Ich wage zu bezweifeln, dass sie die Themen machen würden, wenn die Themen nicht laufen würden.“

Manchmal denke ich so bei Fashion-Influencerinnen, die schwanger werden.

„Ich fand wirklich schlimm, dass Louisa Dellert ihre Fans aufgerufen hat, für sie und für den Aktivismus zu spenden. Hätte meine kleine Schwester mich angerufen und erzählt, sie hätte ihr Taschengeld an Louisa Dellert gespendet, der hätte ich was erzählt. Jemand, der sich zwanzigmal am Tag selbst inszeniert und sich mehrfach am Tag selbst filmt und in die Kamera guckt, was Louisa Dellert macht, dann ist mir egal, zu welchem Thema sie das macht, das ist Selbstinszenierung par excellence. Das ist deren Job, und das ist auch ok, aber ich finde, man sollte sich nicht so wichtig nehmen. Und das ist das Problem unserer Generation: Wir sind nicht empathisch genug.“

Was meinst du damit?

„Meine liebste und glücklichste Freundin, die ich kenne, ist zum Beispiel nicht auf Instagram aktiv. Wenn ich mit ihr unterwegs bin, bin ich auch glücklich und ausgeglichen. Ich finde, wenn man inspiriert werden möchte, dann sollte man das erstmal im privaten Umfeld suchen. Ich nehme es vielen auch ganz einfach nicht ab. Im Buch kommt Aktivismus nicht vor, weil ich mir keine Meinung dazu erlauben kann, weil ich keine von ihnen getroffen habe. Alle anderen Influencer*innen, die ich beschreibe, habe ich getroffen und erlebt. Ich kann diese Szene bewerten. Wenn jemand ,Unfollow 2‘ schreiben möchte, feel free, ich habe meine Blase gezeigt.“

Geht es dir dann eher um die, die posten oder die, die folgen?

„Ich finde diesen Personenkult einfach furchtbar. Letztens hat ein Radiomoderator am Ende des Gesprächs mit mir gesagt, dass man mir auf Instagram folgen kann. Da habe ich gesagt: Warum will man mir denn folgen? Man sollte lieber seine Zeit nutzen und die eigenen Träume verwirklichen. Jennifer Sieglar hat auch ein Buch übers Grünsein geschrieben, und ich habe dadurch gelernt, meine Angewohnheiten, zu verändern, weil sie fundiert recherchiert und erklärt hat. Sie hat nicht einfach zehnmal am Tag ihr Gesicht in die Kamera gehalten und geredet.“

Wenn aber nun Menschen mit Behinderung, People of Color, muslimische Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, keinen Zugang zu Redaktionen haben und sich dann über Instagram selbst inszenieren, um sich diesen Zugang selbst zu erarbeiten, ist es dann trotzdem immer noch heuchlerisch?

„Da steht mir keine Meinung zu, weil Instagram für mich kein Journalismus ist.“

Ok.

„Außer es wird klug genutzt, so wie ,Mädelabende‘ das macht. Aber warum ist dieser Account ein informierendes Medium? Da sitzen 25 Redakteur*innen, die recherchieren! Ich mag es einfach nicht, wenn sich alles auf eine Person konzentriert. Das ist Personenkult und hat nichts damit zu tun, andere Menschen informieren zu wollen. Jede*r kann heute senden, das ist eine Mediengleichberechtigung. Früher musstest du beim ,Spiegel‘ arbeiten, um deine Meinung kundzutun. Das war wie Richter und Henker, und heute kann jede*r mitmachen. Mediendemokratisierung, egal wie toll, birgt aber auch Gefahren. Wenn jede*r senden kann, wird auch Schrott gesendet.“

Slutshaming & Body Positivity

Im Buch rätst du deinen Leser*innen von Bikinifotos ab. Im Frühstücksfernsehen bist du einen Schritt weiter gegangen und hast gesagt, als Wirtschaftsjournalistin war es dämlich von dir, ein Foto von dir im Bikini zu posten.

„,Granatendämlich‘ hab ich gesagt!“

Ist das Slutshaming?

„Dazu sag ich was ganz anderes: Wenn du eine Diana sein kannst, sei keine Kardashian. Ich finde es ganz schlimm, wie Frauen im Moment ihre Brüste in die Kamera halten und sich selbst inszenieren, und darunter Feminismus schreiben. Mir kommt es im Moment so vor, als ob viele Mädchen nicht für Feminismus und Gleichberechtigung kämpfen wollen, wo wir doch noch einen sehr langen Weg vor uns haben, sondern sie wollen sich nur selbst inszenieren und benutzen das Label Feminismus dafür. Nackte Haut hat auf Instagram nichts zu suchen und das ist auch keine Form der Befreiung!“

Was ist mit der Body-Positivity-Bewegung? Ashley Graham? Melodie Michelberger?

„Da kommen wir in einen sehr spannenden Bereich. Die Volontärin bei meinem Verlag forscht zu diesem Thema und musste bei ihrer Recherche feststellen, dass auch die Bilder der Profile im Bereich Body Positivity fast alle bearbeitet oder im richtigen Licht inszeniert sind. Leider gibt es auch innerhalb dieser Bewegung nur wenige Accounts, bei denen nicht bearbeitet wird.“

Trotzdem sind das endlich mal andere Körperformen, die wir sehen! Wenn wir vor zehn Jahren eine Zeitschrift aufgeschlagen oder den Fernseher angemacht hätten, hätten wir weder bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ noch in der Gala jemanden wie Ashley Graham gesehen.

„Aber muss man die Frauen dafür ausziehen?“

Das Problem ist ja auch, dass wir nackte Frauenkörper grundsätzlich sexualisieren und wenn wir nackte Frauenkörper in einem nicht sexualisierten Kontext sehen, wie zum Beispiel Lena Dunham es bei ,Girls‘ gemacht hat, dann kann es helfen, dass das aufhört.

„Ja, aber Männer machen das nicht. Männer fangen nicht an, sich auszuziehen, nur weil sie eine Wampe haben. Sie präsentieren sich nicht nackt auf Instagram und schreiben: Wir finden das so kacke, dass in der GQ nur Männer mit Sixpack gezeigt werden!“

Es gab die #dadbod-Bewegung.

„Ja, ok, aber nicht in dem Ausmaß. Ich finde, wir Frauen degradieren uns mit dieser Bewegung und reduzieren uns auf unsere Optik. Ich fand auch das ,Be A Lady‘-Video schrecklich. Das ist Werbung fürs ,Girls Girls Girls‘-Magazin, und da werden nur Stereotype gezeigt. Damit machen wir uns wieder nur klein. Wir ziehen uns aus und sagen ,Free the Nipple‘, Alter, Leute, warum? Auch am Strand machen wir doch nicht alle FKK.“

Aber du kennst den Hintergrund der „Free the Nipple“-Bewegung? Weil Männerbrüste auf Instagram nicht zensiert werden? Putin und Chelsea Handler?

„Aber wann zeigen Männer schon ihre Nippel auf Instagram? Das Wort Feminismus wird von solchen Frauen missbraucht, während es Frauen gab, die wirklich für Frauenrechte und das Wahlrecht gekämpft haben. Ich bin die erste Frau in meiner Familie, die studiert hat! Und dann erzählt mir eine junge Frau, sie zieht sich für den Feminismus aus? Ernsthaft? Dann gib geflüchteten Frauen in deiner Umgebung umsonst Nachhilfe, unterstütze sie bei ihrem Weg, dann tust du wesentlich mehr für den Feminismus. Das ist wirklich meine Meinung! Für mich ist das der blanke Horror. Ich würde übrigens über Männer genau dasselbe sagen. Ich rate natürlich auch keinem Mann zu Badehosenpics auf Instagram!“

Du schreibst fettgedruckt über Heidi Klums Show: „Deine Show ist alles, aber kein Female Empowerment.“ Warum an so einer Stelle nicht sagen, was Female Empowerment wäre? An jeder Stelle, wo du namentlich berichtest, wie scheiße, unglaubwürdig oder fake eine Influencerin ist, hätte man doch direkt ein positives Gegenbeispiel aufzeigen können? Glaubst du wirklich, die sind alle gleich, egal wofür sie sich einsetzen?

„Du meinst, ich sollte sagen, wer ‚gut‘ ist auf Instagram? Bei Heidi Klum hätte ich vielleicht Gegenbeispiele bringen können, aber ganz ehrlich: Wie soll man Germany‘s Next Topmodel jemals in Female Empowerment verwandeln? Unmöglich! Soll ich dir ehrlich was sagen? Ich habe so viele Influencer*innen getroffen, von denen ich vorher begeistert war! Ich habe es 2017 als Ehre empfunden, Leonie Hanne zu interviewen, kaum zu glauben, aber wahr. Ich war aufgeregt, sie zu treffen! Ich war euphorisch! Ich hätte damals jeder*m ihren Account für Fashion-Tipps empfohlen! Ich habe sie getroffen und fand sie so uninspirierend und war so enttäuscht, dass ich ihr direkt entfolgt bin. Deshalb habe ich versucht ‚sehr-weit-weg‘-Accounts zu empfehlen wie zum Beispiel den von Michelle Obama. Ihr Buch ‚Becoming‘ ist meiner Meinung nach auch Selbstdarstellung, aber das hilft jungen Frauen wirklich, vor allen Dingen People of Color. Auch Arianna Huffington hat Großes geleistet, und ich empfehle ihren Account. Aber vielleicht hätte ich auch das bleiben lassen sollen. Ich tue mich mittlerweile echt schwer, Menschen, die ich noch nie in der Realität getroffen habe, zu empfehlen.“

Nena Schink: Unfollow!: Wie Instagram unser Leben zerstört. Eden Books, Februar 2020, 14,95 Euro. Nenas Buch ist kürzlich auch als Hörbuch erschienen.

Das Buch ist selbstverständlich auch bei lokalen Buchhändler*innen eures Vertrauens zu finden. Support your lokal Book-Dealer!

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