Foto: Gabriela Gioia

Ja, Scheitern ist scheiße, aber wir können verdammt viel daraus lernen

Scheitern ist gerade ziemlich modern. So wie es lange Zeit absolut tabu war, über sein Scheitern zu reden, wird es nun cool. Und das aus gutem Grund.

Queen of Scheitern

In Amerika wird über keinen erfolgreichen Unternehmer gesagt, dass er es wirklich geschafft hat und er vorbildlich für andere Gründer ist, wenn er nicht mindestens einmal so richtig fett auf die Schnauze gefallen ist. Scheitern als Auszeichnung, als Prädikatssiegel. Viel ist übers Scheitern schon gesagt und geschrieben worden – hier kommt mein „Senf” dazu, drei Impulse für dich.

Lass deine Gefühle zu

Zunächst einmal in aller Deutlichkeit: Scheitern ist Scheiße! Scheitern tut weh, keiner sehnt  sich danach, Scheitern bringt erst mal nur Schmerzen, Tränen, Wut, Verzweiflung, Selbstgeißelung à la „Ich Idiot, ich bring wirklich nix Gescheites zustande – schon wieder versagt.“ Das ist so und das wird immer, immer, immer so sein, wenn du scheiterst. In diesem ersten Moment ist es auch gar nicht cool oder hip oder eine tolle Herausforderung. In diesem Augenblick ist es ein fettes Problem.

Meine Bitte an dich: Gib diesen Gefühlen Raum! Sie haben ihre Berechtigung und wollen in gewisser Weise auch gewürdigt werden, zumindest wollen sie gesehen und wahrgenommen werden und nicht gleich wieder rausgeschmissen. Gönne dir ganz bewusst eine Zeit des Schimpfens, Weinens, Jammerns und Haderns. Reiß dich nicht gleich wieder zusammen – umgehe und verdränge diese Gefühle nicht, sondern stelle dich ihnen. Das erfordert Mut, wird aber belohnt. Wenn all diese scheusslichen Gefühle da sein dürfen, werden sie nämlich allmählich sanfter und beruhigen sich. Glaube mir, das hab ich selbst so oft erlebt. Die Indianer sagen: „Der Weg ist da, wo die Angst ist.” Also bitte: Gehe durch diese Gefühle hindurch und nicht drumherum.

Erzähl vom Scheitern

Mein zweiter Impuls und dringender Appell: Rede darüber! Vertraue dich Freunden oder Familie an, schütte dein Herz aus, weine! Es ist immens wichtig, dass wir so etwas nicht mit uns allein im stillen Kämmerlein ausmachen, sondern es teilen. Warum? Weil Du zum einen sehen wirst: Viele andere kennen das auch! Viele ach so erfolgreiche, ehrgeizige und bewundernswerte Mitmenschen sind auch schon oft gescheitert, empfinden die gleichen Ängste, Unsicherheiten und Zweifel wie du! Und du weißt ja: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ja, es wird leichter, wenn man es teilt! Weil es dich sofort entlastet, wenn du siehst: Andern geht’s auch so, ich bin hier nicht der einzige Loser in der großen, weiten Welt. Also: Rede drüber!

Siehe die Chance, die das Scheitern dir eröffnet

Und dann, wenn du genügend lang geweint, gehadert und gewütet hast, wenn du dich anvertraut und mit anderen geredet hast – dann kommt die Zeit, einen bewussten Entschluss zu fassen und das ist mein dritter Impuls: Fasse den Entschluss – am besten ein für alle mal – dass nichts umsonst oder zufällig geschieht!

Wie hast du als kleines Kind das Laufen und Fahrradfahren gelernt? Dadurch, dass du erst mal hunderte Male auf die Nase fällst, weil es eben nicht klappt mit den verdammten ersten Schritten ohne Mamas Hilfe! Kinder wissen das: Sie brüllen, fluchen wie ein Rohrspatz mit wütenden Tränen in den Augen – und stehen auf und versuchen es noch einmal und noch einmal.

Also, wenn sich der Schmerz gelegt hat, fang bitte mit diesem „noch einmal und noch einmal” an. Überlege nicht ständig, was schief gelaufen ist oder wer Schuld hat. Die Schuldfrage sollte uns sowieso wenig interessieren, das ist etwas für die Justiz. Beschäftige dich lieber mit folgenden Punkten:

  • Wo hast du Zeichen übersehen, wo wärst du besser rechts statt links abgebogen?
  • Überlege dir ganz viele Alternativen, wie du anders handeln hättest können, je mehr, desto besser. Das trainiert ungemein für die Zukunft. Es gibt nie nur den EINEN Weg. Was hättest du sonst noch tun können? Und was noch? Und was darüber hinaus noch? So viele Alternativen wie möglich. Sammle sie, völlig unabhängig davon, wie erfolgsversprechend diese wirklich letztendlich sind. Erweitere damit deinen Horizont der Möglichkeiten – trainiere die Gewissheit, dass es immer ganz viele Wege gibt.
  • Spiel dann von den Top-3-Alternativen die Wege durch: Was würde passieren, wenn du so oder so oder so handeln würdest?
    Was wär anders? Welche Konsequenzen hätte es auf wen? Was wäre wiederum davon die Konsequenz?
  • Gehe an dieses Spielen mit Alternativen wirklich spielerisch neugierig heran und um Himmels willen nicht mit dem Anspruch, jetzt ein für alle Mal die perfekte Lösung zu finden. Bloß nicht! Nie den einen perfekten Weg finden wollen, sondern viele neue Wege, die auch möglich
    sind. Und die du dann beim nächsten Mal ausprobieren kannst. Nicht mit dem Anspruch: „Oh Gott, dieses Mal muss es aber klappen.“ Sondern mit Neugier: „Schauen wir doch mal, was dann passiert, ich bin gespannt!“

Ich wünsche dir viele gute Übungsmöglichkeiten dazu! Werde ein immer besserer und besserer Scheiterer, aber bitte nie ohne all die Gefühle, die damit einhergehen. Scheitern ist und bleibt Scheiße – aber wir können enorm viel davon lernen und daran wachsen!

Mehr bei EDITION F

Zu scheitern ist schmerzhaft – aber es bedeutet nicht das Ende. Weiterlesen

Wir scheitern immer schöner. Weiterlesen

Lisa Harmann: „Dem Scheitern begegne ich mit Humor“ Weiterlesen

Anzeige