Laut einer Umfrage machen 70 Prozent der Mitarbeiter Dienst nach Vorschrift. Es gibt Wege, das zu ändern.
Mitarbeiter als wichtigstes Kapital eines Unternehmens
Kerstin Gernig arbeitet als Business- und Team-Coach und leitet Erfahrungsaustauschgruppen für Unternehmer. Ihr Buch „Werde, was du kannst! Wie man ein ungewöhnlicher Unternehmer wird“ ist bei Murmann Publishers erschienen. Für unseren Partner Capital erklärt sie, wie man sein Unternehmen so führt, dass die Mitarbeiter Lust haben, mitzuziehen:
Es lohnt sich, immer wieder über Führung nachzudenken, denn das wichtigste Kapital eines Unternehmens sind die Mitarbeiter: ihre Köpfe, ihre Hände und ihre Herzen. Jeder trägt mit seinen individuellen Stärken zum Gewinn eines Unternehmens bei. Angesichts der Fülle an Literatur zum Thema Mitarbeiterführung, Mitarbeitergespräche oder auch Mitarbeitermotivation stellt sich allerdings die Frage, weshalb die jährlichen Gallup-Umfragen zur Mitarbeiterzufriedenheit eher ernüchternd ausfallen: 15 Prozent der Angestellten identifizieren sich mit ihrem Beruf – das sind die „happy few“. 70 Prozent machen Dienst nach Vorschrift und 15 Prozent befinden sich bereits in der inneren Emigration.
Diese Zahlen sagen nicht nur etwas über die Führungskultur in Deutschland aus, sondern auch über die Mentalität der Arbeitnehmer. Denn wer Dienst nach Vorschrift macht, überlässt die Verantwortung anderen, sowohl für das Unternehmen als auch für die eigene Entwicklung. Das lässt sich ändern.
Klare Spielregeln formulieren
Frustration entsteht bei Mitarbeitern häufig, wenn Spielregeln nicht klar sind, willkürlich verändert oder leichtfertig durchbrochen werden. Wo Spielregeln nicht geklärt sind, tut jeder, was er kann – nach bestem Wissen und Gewissen und nach seinen eigenen Vorstellungen. Diese Vorstellungen entsprechen nicht immer den Erwartungen der Führungskräfte. Deshalb lohnt es sich, über Spielregeln als zentralem Teil der Führungskultur nachzudenken: Wie partizipativ ist der Führungsstil? Wie hierarchisch sind die Strukturen? Wie viel Selbstverantwortung wird erwartet oder auch ermöglicht?
Wo Menschen eigene Ideen und Vorschläge einbringen können, werden sie kreativer, entfalten sie ihre Potenziale und identifizieren sie sich stärker mit ihren Aufgaben und dem Unternehmen. Bei einem partizipativen Führungsstil werden Spielregeln oft gemeinsam entwickelt oder zumindest reflektiert. Wer die Chance bekommt, an den Spielregeln mitzuwirken, übernimmt mehr Verantwortung für das Unternehmen und entwickelt auch ein anderes Zugehörigkeitsgefühl. Denn wenn nicht nur im, sondern ab und an auch am Unternehmen gearbeitet wird, entsteht eine andere Identifikation mit dem Unternehmen.
Schon ein Tag Auszeit im Jahr für solche Prozesse kann Wunder bewirken oder zumindest zu neuen Erkenntnissen beitragen. Dann müssten sich engagierte Mitarbeiter in Feedbackbögen nicht mehr beschweren, dass „auf Privatleben, Urlaub und Feierabend nicht genügend Rücksicht genommen wird“. In Zeiten ständiger Erreichbarkeit über Diensthandy oder Mails einerseits und steigenden Raten bei Stress und Burn-out andererseits, gehören Arbeitszeiten zu Spielregeln, bei denen es um das wichtigste Kapital ihres Unternehmens geht: die Menschen und ihre Gesundheit. Für Mitarbeiter und Führungskräfte spielt die Balance von Arbeit und Leben gleichermaßen eine zentrale Rolle. Deshalb sollten klare Spielregeln formuliert werden, die von Vorgesetzten auch vorgelebt werden.
Auf Augenhöhe kommunizieren
Stellt euch vor, eure Mitarbeiter geben auf die Frage, was ihnen am Führungsstil ihrer Chefin gut gefällt, folgende Antworten: „die Wertschätzung, die sie uns entgegen bringt; dass sie ein offenes Ohr für alle Probleme und Wünsche hat (beruflich und privat); dass alle im Team den gleichen Stellenwert haben, so dass es kein Konkurrenzverhalten innerhalb des Teams gibt; dass jeder wichtig ist und sie uns das auch zeigt; dass sie in allen Belangen äußerst großzügig ist; dass ihre Begeisterung (fast immer) ansteckend ist; dass wir viel Freiraum haben, eigenständig zu arbeiten; dass jeder nach seinen Stärken gefördert wird (sie kann Potenzial quasi „riechen“); dass sie im Grunde nicht führt oder anordnet, sondern uns Mitarbeiter meist in Entscheidungen einbezieht; dass sie uns Vertrauen entgegenbringt; dass sie uns Verantwortung überträgt, aber bei Fragen nicht allein lässt; das es immer wieder auch Raum für Spaß, Albernheiten und Blödsinn gibt.“ Klingt das zu schön, um wahr zu sein? Das sind O-Töne von Mitarbeitern.
Wer hätte keine Lust, in so einer Firma zu arbeiten?! Ein extrem erfolgreiches Unternehmen, das sich vor Initiativbewerbungen nicht retten kann. Hier wird mehr miteinander als übereinander gesprochen. Hier gibt es Zeit füreinander. Hier wird einfühlsam und auf Augenhöhe miteinander gesprochen. Eine der wichtigsten Aufgaben guter Führung ist es, Zusammenarbeit zu organisieren und Kommunikation auf Augenhöhe zu praktizieren. Genau das passiert hier.
Eine Kultur der Wertschätzung schaffen
„Sein heißt wahrgenommen werden.“ Menschen entfalten sich durch Aufmerksamkeit und Wertschätzung und verkümmern, wenn beides fehlt. Was nichts kostet, gehört paradoxerweise zu den kostbarsten Gütern: Zeit und Zuwendung. In Zeiten von „schneller, höher, weiter“ wird Zeit ein immer knapperes Gut. Und so entsteht bei vielen Menschen Unzufriedenheit, wenn das eigene Engagement nicht wahrgenommen wird. Wie oft höre ich in Mitarbeiterfeedbacks zur Führungskultur: „Positives Feedback bekommt man sehr selten.“ Doch genau darauf kommt es bei erfolgreicher Führung an: sich Zeit zu nehmen, um zuzuhören, nachzufragen, hinzusehen, wahrzunehmen und wertschätzendes Feedback zu geben. Das heißt nicht einfach, zu loben, um zu motivieren, sondern im Gespräch die Arbeit und den Menschen wahrzunehmen, seine Leistung und seine Stärken, seine Gesundheit und sein Befinden.
Wer nicht über die Schwächen der Mitarbeiter klagt, sondern mit ihren Stärken arbeitet, entfaltet Potenziale. Nichts ist für erfolgreiche Führung wichtiger, als zum Potenzialentfalter zu werden. Dazu gibt es eine einfache Übung: Man sollte sich einmal fragen, wer der wichtigste Mensch im eigenen Leben neben Vater und Mutter war. Und dann fragt man sich, was diesen Menschen ausgezeichnet hat. Als Coach erlebe ich, dass vielen Klienten auf diese Frage nur sehr wenige Menschen einfallen.
Gerade als Führungskraft geht es darum, eine defizitorientierte Sichtweise, die in der Schule mit dem Rotstift begonnen hat und mit der Konzentration auf Schwächen fortgesetzt wird, in eine stärkenorientierte Perspektive zu verwandeln und zu einem der wichtigsten Menschen im Leben seiner Mitarbeiter zu werden. So lässt sich ein faszinierender Klimawandel erleben.
Wer Spielregeln transparent gestaltet, auf Augenhöhe kommuniziert und sich Zeit für wertschätzendes Feedback nimmt, hat drei Schlüssel für erfolgreiche Führung in der Hand.
Mehr bei EDITION F
Neue Mitarbeiter ab Tag eins fürs Unternehmen begeistern – 7 Tipps für Chefs. Weiterlesen
Welche zehn Faktoren deutsche Arbeitnehmer am meisten anspornen. Weiterlesen
Heidi Stopper: „Arbeitgeber müssen sich bewegen“. Weiterlesen