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Berufliche Sinnsuche vom Spielplatz aus – von zermürbenden Zweifeln in der Elternzeit

Autor*in
Josephine Sowah

Der Wiedereinstieg nach der Elternzeit kann zäh und bedrückend sein, wenn man nicht in eine sichere Festanstellung zurückkehrt. Josephine hat diese Erfahrung gemacht – und will allen Mut machen, denen es ähnlich geht.

Alte Turnschuhe statt goldene Jimmy Choos

Freitag, 14 Uhr, London, Battersea Park. Ich sitze auf einer Bank und blicke auf den Teich und auf die Enten. Mein Baby schläft in der Trage, mein Zweijähriger buddelt zehn Meter entfernt im Sandkasten. Die Sonne glitzert im Wasser und man könnte es den ersten schönen Frühlingstag nennen. Ich blicke an mir herunter und sehe alte Turnschuhe und eine Fleecejacke.

Drei Jahre zuvor, als ich hochambitioniert mein One-Way-Ticket nach London einlöste, hätte ich noch jede Wette unterschrieben, dass ich an einem Tag wie heute gerade von einem fancy Lunch mit internationalen Kolleg*innen kommen würde, irgendwo auf der Oxford Street, im Kopf schon den vollgeplanten Abend. Ich meine Leute, es wäre London Fashionweek und hallo, ich arbeite natürlich für die „Vogue“. Wenn ich mich an so einem Freitag betrachten würde, wären da keine Jogginghosen, sondern ein royalblaues Chanelkostüm und goldene Jimmy Choos.

Wo bleibt der Applaus?

Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne. Und bei der Vogue hat bisher noch kein Schwein von mir gehört. In meinem Leben, das nicht aus Redaktionsmeetings und Pressereisen, sondern aus Spielgruppen und Kindercafés besteht, fällt das aber zum Glück niemandem auf. Mit sieben trat ich zum Vorlesewettbewerb in der Grundschule an und wunderte mich über das zaghafte Klatschen nach meiner leidenschaftlichen „Little Panda“-Performance statt tosenden Applauses. Mit 13 lernte ich Udo Lindenberg kennen und präsentierte ihm meine selbstgeschriebenen Raps als MC Lola und hörte darauf „Mach weiter Mädchen, einfach weitermachen“ und verließ das Hotel ohne Plattenvertrag.

Mit 16 zierten meine Ölbilder die kleinstädtische Galerie und ich war sicher, die Tate Modern ruft bald an, es war dann aber doch nur die Mutter einer Mitschülerin, die das Bild von der Straße haben wollte, in der sie früher wohnte. Mit 18 war ich über die Absage von MTV in der ersten Runde als VJ doch sehr überrascht und lief unfassbar enttäuscht mit dicken Tränen die Wangen runter kullernd über die Oberbaumbrücke. Mit 19 dachte ich als regelmäßige Komparsin bei GZSZ ein euphorisches Blinzeln in den Augen des Regisseurs zu erahnen, es folgte kein Rollenangebot, wahrscheinlich war es doch nur eine verlorene Wimper.

Endlich: ein eigenes Magazin

Als Redaktionspraktikantin erspähte ich bei einem Reportagedreh im Fitnessstudio einen von den Beatsteaks und dachte, ein paar glorreiche Jahre als Groupie würden folgen, mehr als ein Grinsen kam nicht bei mir an und ich musste zurück in die Redaktion. Mit 20 dann die Zusage für einen der begehrten Hildesheimer „Kreatives Schreiben“-Studienplätze, ich vergaß mich zu immatrikulieren, der Zug der baldigen Schriftstellerin war erstmal abgefahren und es ging zum Wirtschaftsstudium nach Schwaben.

Mit 24 dann als jüngste Verlegerin eines deutschlandweiten Magazins endlich als Keyspeakerin vor tausend Menschen im Rampenlicht. Tat gut, aber als ein paar Jahre später die britische Liebe wichtiger wurde, stiefelte ich mit 29 für zehn Euro die Stunde in ein schäbiges Londoner Büro, um Prominews zu schreiben, im Bauch ein strampelnder Zwerg, das Glück riesengroß, alles andere egal. Nun, zwei kleine Jungs später, kein Traumjob, der auf meine Rückkehr wartet. Keine Idee, wie es beruflich weitergehen soll, die großen und wilden Visionen von früher nicht mehr da, dafür mehr Kilos und Augenringe bis in die Knie.

Verwirklichung fern vom zähen Mami-Alltag

Die Male, die sich in den letzten Jahren jemand nach meinem Berufsleben erkundigt hat, kann ich an einer Hand abzählen. „Ich bin eigentlich Chefredakteurin. Also, äh, ich hatte mal mein eigenes Magazin. Aber ich weiß gerade nicht, wie ich irgendwas machen soll.“ Eine weitere Nachfrage gab es nie. Nicht konkret zu wissen, wie es für mich beruflich weitergeht, hat uns bisher nicht davon abgehalten, einen auf Familie zu machen. Doch seit von ‚Verknalltheitsphase‘ keine Rede mehr sein kann, stellen sich erste Zweifel ein.

Und bäm ist er da – der Wunsch nach Absicherung und Verwirklichung fern vom zähen Mami-Alltag und ich kann mir noch so oft einreden, dass es ein Geschenk ist, dass ich mich gerade nicht wegen einer Vollzeitstelle vierteilen muss und das mich und niemand anderen zur Expertin meiner Kinder macht. Aber die Realität ist: Mein Mann zahlt in die Rente ein, während ich nachmittags auf unsere Kinder aufpasse. Und damit mir das nicht eines Tages zum Verhängnis wird, muss jetzt was passieren.

Geld verdienen auf Instagram?

Es würde naheliegen, online zu starten. Eine Mutter aus dem Baby-Yogakurs hat mit Fotos von ihrem Kind unter dem Hashtag #mixedbaby binnen drei Monaten über 25.000 Follower*innen generiert und bekommt jetzt Produkte, die sie bewerben soll, nach Hause geschickt und darf dafür Rechnungen stellen. Das Baby sieht zwar fast auf jedem Bild traurig aus, aber die Mutter strahlt gestylt in die Kamera. Wenn man von 100 Bildern dann täglich eins zum posten raussucht und den Beitrag entsprechend textet, um danach im Sekundentakt auf Aktualisieren zu drücken, um zu checken, wieviele Likes er bekommt, geht so ein Tag ja auch irgendwie schnell rum, eigentlich ganz schlau

Ich verstehe wirklich jede*n, der dieses Phänomen nutzt, um Geld zu verdienen und schaue vielen richtig gern dabei zu. Aber ich selbst würde nur im Strahl kotzen, müsste ich in eine Kamera von meinem belanglosen Tag erzählen oder Wildfremden ihre langweiligen Kommentare beantworten, um Traffic zu generieren – und das will ja nun wirklich niemand sehen. Die Sonne kommt wieder raus, das Baby wacht auf und der Große hat Hunger. Es ist unheimlich schwer, mit kleinen Kindern, die 24/7 um einen herumscharwenzeln, in dem Dschungel an Verpflichtungen und Möglichkeiten seinen eigenen, neuen, beruflichen Weg zu finden – zumindest ohne die Möglichkeit, sechs Wochen auf dem Jakobsweg darüber zu sinnieren.

Träume können sich ändern

Ein halbes Jahr später: Ich gebe freiberuflich an Volkshochschulen Kurse für Kreatives Schreiben, ohne selbst ein Buch geschrieben zu haben. Eher mäßig bezahlt, aber ich fühle mich besser dabei, als während der zahlreichen Kreativitätsblockaden am Schreibtisch daheim, an dem trotz Wunsch ans Universum in den letzten sechs Monaten kein Bestseller entstanden ist. Die Aufträge reichen nicht, um alle Rechnungen zu bezahlen, es gibt null Absicherung für Rente, krankheitsbedingten Arbeitsausfall, Mutterschaftsgeld & Co – aber es ist ein Beginn. Träume können sich ändern.

Das Leben wartet immer wieder mit neuen Herausforderungen. Und alles kommt zu seiner Zeit. Die berufliche Sinnsuche nach der Elternzeit, wenn man nicht aus einer sicheren Anstellung kommt, kann einsam machen, zermürbend sein und sich in die Länge ziehen, bis man wirklich wieder ankommt. Doch egal, was du machst, ob du die Richtung noch nicht weißt oder der aktuelle Plan nicht ganz aufgeht – wenn das Gefühl nur ein kleines bisschen stimmt, bleib dran!

Josephine Sowah schreibt über Identitätskrisen als Mutter, Söhne und internationale Ehemänner. Auf Instagram: findet ihr sie hier.

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