Als ich meine Großmutter im Altersheim besuchte, fand ich ein kleines Zitat über das Altern und die Zeit, die bleibt. Mit großer Wirkung.
Die Zeit, die war
Ich bin 32 Jahre alt geworden, Zwei-und-dreißig. Als ich klein war, dachte ich, jenseits der 30 wäre ich sooooo alt. Ein Augenzwinkern später, steht da zwar diese Zahl auf dem Papier, aber alt bin ich trotzdem nicht. Das immerhin, ist doch schon einmal sehr beruhigend …
Mittlerweile denke ich allerdings viel nach, über die Zeit, die bleibt. Und konsequenter Weise über die Zeit, die war. Ich gehöre zu den Menschen, die durch viele, viele Reisen und daraus resultierenden Erlebnissen, ein großes Kontingent an Erinnerungen in petto haben. Aus diesen schöpfe ich, schaue gerne zurück, blättere in meinem Fotoalbum des Vergangenen. Jeder kennt das: die süßen Erinnerungen an eine längst hinter sich gelassene Zeit, die so fern erscheint und doch gleichzeitig so greifbar nah. Man möchte in der Zeit zurück reisen und wieder den genialen Roadtrip quer durch Australien, den Fallschirmsprung in Kanada oder die einzigartige Nacht mit der Künstlertruppe, damals, in Buenos Aires, erleben, die erst im Morgengrauen auf irgendeinem Dach der Stadt endete. Sehnsüchtig und melancholisch denke ich: Mist, wie soll ich dieses Älterwerden bloß hinbekommen?
Zeit, Abschied zu nehmen?
Bestenfalls ohne ständig in der Vergangenheit zu leben und mein Umfeld mit längst verblassten Heldentaten zu langweilen – aber wie verabschiede ich mich von dem Wunsch, wieder jung zu sein, um diese Zeit erneut erleben zu können?
Diese und weitere Fragen zum Thema alt werden stelle ich mir, ohne dass eine Antwort auch nur entfernt am Horizont erscheint. Bis ich letztens über folgendes Zitat des französischen Schriftstellers Antoine de Saint Excupery stolperte:
„Es ist gut, wenn uns die verrinnende Zeit nicht als etwas erscheint, das uns verbraucht oder zerstört, sondern das uns vollendet …“
Auch wenn ich eine heimliche Totalschwäche für kleine Postkartensprüche habe und das jetzt etwas abgedroschen klingt, aber selten habe ich eine so erkenntnisreiche Weisheit für mich entdeckt.
Was macht mich glücklich?
Ich bin gar kein Freundin von diesen Lebens- und Glücksratgebern, die nun schon seit vielen Jahren in nicht-todzukriegender Anzahl den Büchermarkt überschwemmen. Ich denke, jeder muss seine eigene Definition von Glück entwickeln. An dieser Basis liegt auch der Schlüssel zum glücklichen Altern …
Lange habe ich gerätselt, wo ich mein eigenes Glück finde. Sind es die vielen Reisen? Das Freiheitsgefühl? Eine glückliche Beziehung? Zeit mit der Familie? Ein erfüllender Job? Einfach nur Zeit, Dinge zu tun, die ich gerne mache? Ich darf eines verraten: Es ist alles davon – aber nur zur richtigen Zeit. Und vor allem und das ist das wichtigste: im richtigen Tempo.
Das richtige Glück zur richtigen Zeit
Ich bin zu folgendem Schluss gekommen: Es gibt unendlich viele Arten von Glück. Aber man kann sie nur erfahren, wenn man lernt, sie mit den Geschwindigkeiten seines Lebens in Einklang zu bringen. Was meine ich damit?
Ich meine, dass das Leben aus verschiedenen Stromschnellen besteht. Unterschiedlich schnell sind diese – je nachdem in welchem Stadium des Lebens wir uns befinden. Wenn wir selbst ganz klein sind, und unsere Welt so wunderbar überschaubar, tasten wir uns in kleinen, verhaltenen und langsamen Schritten voran. Schritt um Schritt, immer in gemäßigtem Tempo, erkunden wir unsere Umgebung, nehmen uns Zeit für die Erkundung. Wofür sollten wir auch beschleunigen?
Irgendwann wollen wir raus in die Welt
Je weiter wir heranwachsen, je weiter wächst auch unser Lebensradius und die Geschwindigkeit, in der wir uns in unserer Welt bewegen. Als Teenager sind wir bestenfalls noch im Elternhaus und werden dadurch ein wenig im Tempo gedrosselt, aber trotzdem drängen wir raus in diese Welt, deren Horizont immer weiter wird. Wir laufen schneller, schneller, schneller und entdecken den Globus.
Kommen wir dann in unsere Zwanziger, so war es zumindest in meinem Fall, wollen wir die Welt am Liebsten umarmen und mit einer schwindelerregenden Geschwindigkeit durch unser Leben sprinten. Alles erleben, überall dabei sein, bloß nicht zu lang an einem Ort, bloß keine Bindungen, lieber zu schnell als zu langsam, alles mitnehmen, eine Party geht noch, eine Reise geht noch, Eile, Eile – Schlafen können wir, wenn wir tot sind.
Plötzlich verändert sich das eigene Tempo
Jetzt ist heute. Ich denke, ich bin immer noch so schnell wie früher, aber es stimmt nicht. Eine Zeitlang habe ich noch probiert, mit dem Tempo von früher mitzuhalten, dann war ich einfach erschöpft. Ich merkte, das ist es, was unglücklich macht: Jedes Alter, jede Lebensstufe hat eben auch seine eigene Geschwindigkeit – als ich dies verstand, wurde ich ruhiger. Und glücklicher. Ich muss jetzt nicht mehr jedes Wochenende durchtanzen, das Leben in Rekordgeschwindigkeit durchlaufen wie Usain Bolt. Ich möchte auch nicht wie die peinlichen zu alt-gewordenen Partymäuschen noch durch die Clubs der Teens ziehen und so tun, als sei ich gerade 18 Jahre alt geworden.
Ich möchte nicht gehetzt wirken, wie die, die niemals irgendwo angekommen sind, und mit 45 immer noch Erfüllung in der Hektik suchen. Ich möchte nicht ständig „superbusy” spielen. Ich lasse so furchtbare Ausdrücke wie FOMO, „Fear of missing out”, hinter mir. „Act your age“ möchte ich sagen – lebt doch euer eigenes Alter, lasst es für euch leben. Natürlich soll und muss man da zwischendurch ausbrechen, mal revolutionieren und wieder eine Nacht zum Tag machen.
Fühlt sich so ankommen an?
Aber im Großen und Ganzen: Jedes Alter hat viel zu bieten. Jedes Alter ist es wert, gelebt zu werden und ist für die unterschiedlichsten Lebensschritte wichtig. Tocher, Tante, Mama, Oma – die Zeit, die uns vollendet. Ich habe die Ruhe gefunden, auch ein anderes Tempo wertzuschätzen. War ich früher kaum in der Lage, mal an einem Freitagabend zu Hause zu bleiben, so lerne ich nun die Vorzüge von Entschleunigung kennen. Kam ich früher nur im Urlaub dazu, Bücher zu lesen, so schaffe ich es nun auch im Alltag, Romane zu wälzen.
Und war früher der Gedanken an eine eigene Familie, an die wohl größte Verantwortung des Lebens noch weit, weit weg, so merke ich, dass nun auch dafür die Zeit gereift ist. Eine eigene Familie bedeutet auch ein anderes Tempo – man bewegt sich gemeinsam; nicht im Gleichschritt aber zusammen. Etwas später als früher gedacht, ist es vielleicht bald soweit. Die Zeit die bleibt ist die Zeit die uns vollendet. Ich freue mich darauf.
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