Brennende Oberschenkel, kämpfende Gedanken und der rote Teppich der Zielgeraden – warum tut man sich das an? Zwischen Schweiß, Selbstzweifeln und der magischen Kraft des Laufens hat unsere Autorin Theresa Althaus beim Halbmarathon vieles über sich und ihren Körper herausgefunden.
Durchhalten, denke ich. Noch zwei Kilometer. Mein Atem geht schnell, meine Oberschenkel brennen, ich spüre meine Füße nicht mehr. Jeder Schritt fühlt sich an wie ein kleiner Kampf – gegen meinen Körper, dem langsam die Energie ausgeht, aber vor allem gegen meinen Kopf. Ich befinde mich am Rudolfplatz, auf Kilometer 19 des Kölner Halbmarathons. Um mich herum: Hunderte begeisterte Schaulustige, die kleine Pappschilder in die Luft halten und motivierende Statements rufen, und ganz viele andere Jogger*innen, die sich mit mir über den Asphalt quälen.
Aufgeben ist so kurz vor der Zielgeraden keine Option mehr – aber trotzdem fühlen sich diese letzten Kilometer so mühselig an, dass ich mich heimlich frage: Wieso hast du dich angemeldet? Und Geld ausgegeben, um dich zwei Stunden lang zu quälen? Warum verdammt noch mal tust du dir das hier überhaupt an? Mein Kopf rebelliert, aber ich kämpfe mich weiter: vom Rudolfplatz zum Neumarkt, über die Schildergasse, am Dom vorbei. Als ich um die Häuserecke biege und ein paar Meter vor mir die mit rotem Teppich ausgelegte Zielgerade sehe, fühle ich keine Freude, sondern nur das Verlangen, die erlösende Linie endlich zu überqueren. Meine Füße tragen mich zum Teppich, plötzlich sehe ich alles rot, die Welt um mich herum verschwimmt zu einem sirenenfarbigen Einheitsbrei und mir wird schwindlig. Und dann habe ich es vollbracht. Ich bleibe stehen, stütze die Hände auf meinen Oberschenkeln ab und schaue mich um, Schweiß rinnt mir die Stirn herab: „Geschafft, geschafft“, murmeln meine Gedanken vor sich hin.
Als ich mich ein paar Monate zuvor zum Halbmarathon anmeldete, war ich voller Tatendrang. Ich gehe sehr gerne und regelmäßig laufen und bezeichne mich als begeisterte Joggerin. Ich fühle mich ausgeglichener, resilienter und selbstbewusster, wenn ich regelmäßig vor die Tür gehe und mit Musik auf den Ohren losrenne. Ich kann mich mit einer entspannten Joggingrunde aus emotionalen Einbahnstraßen befreien, meine Gedanken ordnen und schwierige Ereignisse verarbeiten. Joggen ist für mich, auch wenn das bagatellisierend klingt, manchmal wirklich so eine Art Therapie (wenngleich es eine reguläre Psychotherapie natürlich niemals ersetzen kann). Gleichzeitig ist es gut für den Körper, für den Stoffwechsel und für die Haut. Ich komme an die frische Luft, sehe den Himmel, ein paar Bäume und im besten Fall auch die Sonne.
Als Teenagerin machte ich Sport aus den falschen Gründen
Dabei ist die Beziehung zwischen mir und dem Sport nicht immer gesund gewesen: Als ich als Teenagerin mit dem Joggen anfing, tat ich das aus den falschen Gründen. Ich wollte Kalorien verbrennen, um abzunehmen und dem Schönheitsideal zu entsprechen. Als ich in den 2000er-Jahren aufwuchs, schien Schlanksein für Frauen noch das Erstrebenswerteste auf der Welt zu sein. Ich las jede Woche die BRAVO, las mir Tipps an, wie ich an Gewicht verlieren und endlich „schön sein“ kann. Erst ein paar Jahre später begann ich zu hinterfragen, in welche schädlichen Glaubenssätze ich da reingerutscht war und ich bezwang mein ungesundes Verhältnis zum Sport und zum Essen. Das führte zunächst dazu, dass ich komplett mit dem Laufen aufhörte.
Dass ich letzten Endes doch wieder zur passionierten Läuferin wurde, liegt daran, dass mir klar wurde: Joggen ist für mich wirklich mehr als nur Sport. Meine Laufrunden fühlen sich an wie mein kleiner, persönlicher Safer Space. Ich bin ganz auf mich gestellt, ich muss auf niemanden hören, werde von niemandem belehrt und muss mich nicht kleinmachen oder anpassen, um anderen zu gefallen – all diese Dinge, die Frauen* seit ihrer Geburt durch weibliche Sozialisation beigebracht werden, fallen für einen kurzen Moment weg. Laufen ist eine Auszeit von dem ständigen Gefallen-Wollen und Erledigen-Wollen und Beweisen-Wollen, dem gerade wir Frauen in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind.
Wenn ich jogge, bin ich einfach da, mit meinen Gedanken, meinem Körper und meiner Kraft. Für mich fühlt sich das ermächtigend an in einem sozialen Gefüge, das mir diesen Raum nicht geben möchte: Gerade Frauen haben meistens lange To-Do-Listen, kümmern sich oft erst um andere und stellen das eigene Wohlbefinden hinten an. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2023 tragen Frauen in Hetero-Beziehungen immer den „Mental Load“, unabhängig davon, ob sie Vollzeit oder Teilzeit arbeiten – während Männer ihren Beitrag im Haushalt generell eher überschätzen. „Mental Load“ beschreibt in der Psychologie die geistige und organisatorische Last, die ein Mensch tragen muss, um das alltägliche Leben am Laufen zu halten. Eine Form der Belastung also, die meist für die anderen unsichtbar bleibt.
Laufen ist für mich aber auch eine Möglichkeit, mir selbst zu beweisen, was mein Körper draufhat. Ich bin während meines Halbmarathons durch viele Höhen und Tiefen gegangen, besonders die letzten Kilometer waren ein Kampf. Aber ich habe auf diesen 21,0975 Kilometern wieder und wieder gemerkt, dass ich mehr Kraft habe, als ich denke. Das gibt mir Selbstbewusstsein und fühlt sich gut an – und überträgt sich sicherlich auch auf andere Lebensbereiche, in denen ich mich dann auch viel fähiger fühle, als ich vorher dachte. Das ist wichtig, denn Frauen* leiden in allen Lebensbereichen deutlich häufiger unter Selbstzweifeln als Männer. Im Jahr 2018 bewies eine Studie der Arizona State University, dass Studentinnen sich oft trotz gleicher Noten weniger zutrauen als ihre männlichen Kommilitonen. Frauen müssen endlich sehen, wie viel sie auf dem Kasten haben. Laufen hilft mir dabei, das für mich zu erkennen.
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