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Vier Frauen über Pausen: „Wir haben sie verdient!“

Atemlosigkeit, ständige Erreichbarkeit, unaufhörlicher Fortschritt und trotzdem nie am Ziel ankommen – der Alltag vieler Menschen gleicht einem Hamsterrad. Was fehlt, sind die Pausen. Wir haben mit vier Frauen über ihre Strategien zum Abschalten gesprochen und sie nach ihren schönsten Pausen gefragt.

Unsere Gesellschaft kann nicht gut Pause machen. Denn sogar die Pausen sind durch gesellschaftliche Vorstellungen bestimmt: Hobbys sind zum neuen Statussymbol geworden, der Urlaub bleibt nicht nur in der eigenen Erinnerung abgespeichert, sondern auch gleich im Instagramprofil. Und wer immer weiter macht und im Dauerstress ist, folgt eh dem größten Trend: Ständiger Fortschritt ist zu einem wichtigen Erfolgsfaktor erhoben worden – sei es in der Wirtschaft, dem Arbeits- oder Privatleben. Dabei könnten Pausen zumindest ein Versuch sein, diesen ewigen gesellschaftlichen Routinen zu entfliehen. Doch wie gelingt das und was hält uns davon ab, endlich das Gegenteil von rastlos zu sein – nämlich zumindest zeitweise entspannt? 

Die Illustratorin Gizem Winter, die Fotojournalistin Emine Akbaba, die Grundschullehrerin Claudia Neff-Butz und die Autorin Lisa Harmann erzählen von ihren Pausen. Wir haben sie gefragt, was sie davon abhält, sich zu entspannen und welche Tipps sie anderen Frauen geben, um Pause zu machen. 

Gizem Winter

Foto: Robert Winter

Gizem Winter ist Illustratorin und Grafikdesignerin. Schallplatten, Hauswände, Papier oder Damentoiletten in Köln Ehrenfeld – für Gizem kann all das zur Leinwand werden für ihre Skizzen und cartoonartigen Illustrationen. Aber Gizems Kunst ist auch auf der digitalen Leinwand zu sehen: Ihre Illustrationen waren Teil der Netflixserie „Stranger Things“. 

Was tust du um richtig abzuschalten? 

„Es ist nicht immer einfach abzuschalten, manchmal muss ich mich zwingen, eine Pause zu machen. Und diese Pausen können viele Dinge sein – oder nichts, wenn möglich – wie ein paar Dehnungen machen oder vielleicht spazieren gehen, für eine Weile offline gehen. Wenn ich mich wirklich festgefahren fühle, hilft es mir, eine warme Dusche zu nehmen oder ein paar Minuten zu meditieren, um abzuschalten.“

Welche Pause hast du zuletzt richtig genossen?

„Ich glaube, es war vor ein paar Wochen, als ich Terminstress hatte, aber keine Motivation und Energie, um mit der Arbeit zu beginnen. Es war ein sonniger Tag, also ging ich mit meinem Hund spazieren und kaufte mir eine heiße Schokolade, die ich nie wirklich mochte vorher, und hörte einige alte türkische Lieder und dachte eine Weile nicht über die Arbeit nach, es war nur eine perfekte einstündige Pause und es wurde seitdem zu einer Art Ritual.“

Was hindert dich daran, Pausen zu machen, und was würde dir helfen?

„Die Sorge, nicht kreativ oder produktiv genug zu sein, oder das Gefühl zu haben, meine Zeit zu verschwenden, hindert mich daran, Pausen einzulegen, was kein wirklich gesunder Gedanke ist. In letzter Zeit habe ich es vermisst, mich zu langweilen, so wie früher als Kind. Es gibt immer so viele Projekte, Pläne und Verantwortlichkeiten in unserem Leben, dass wir uns nicht immer die Zeit nehmen können, die wir brauchen. Ich brauche diese Langeweile hin und wieder.“

Welchen Tipp gibst du Frauen, denen es schwerfällt abzuschalten?

„Ich arbeite selbst daran, bin mir also nicht sicher, ob mein Rat wirklich zählt, aber ich würde jedem empfehlen, auf sich selbst, seinen Körper und Geist zu hören. Ich denke, unser Körper spricht sehr offen zu uns, wenn wir eine Pause brauchen, wenn es zu viel ist. Es ist wichtig zu wissen, dass diese Pausen uns helfen, vorwärts zu kommen.“

Emine Akbaba

Foto: Emine Akbaba

Emine Akbaba ist Fotojournalistin und ein Mitglied von Women Photograph: eine gemeinnützige Organisation, die Frauen und nichtbinären visuellen Journalist*innen mehr Sichtbarkeit verschaffen will. Mit ihrer Fotografie konfrontiert Emine die Betrachter*innen vor allem mit Fragen der Gleichstellung, der Frauenrechte, der Geschlechter und der Redefreiheit – insbesondere im Nahen Osten. Auf ihrem Instagram-Kanal kann man Emine bei ihrer Arbeit begleiten. Für ihre Werke wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nikon Photo Award und dem Medienkunstpreis. 

Was tust du, um richtig abzuschalten? 

„Wenn ich wieder einmal nicht weiterkomme und das Gefühl habe zu ersticken; nicht ,richtig atmen‘ kann, schalte ich mein Smartphone aus und bin erst einmal für einige Tage nicht erreichbar. Immer und überall erreichbar zu sein, schränkt mich in meiner Kreativität ein. Um das zu vermeiden und meine Energie wieder aufladen zu können, genieße ich den Aufenthalt in der Natur, vor allem wenn es sonnig ist und ich das Wechselspiel von Licht und Schatten beobachten kann.

Außerdem lese ich viel, zurzeit interessiere ich mich sehr für den persischen Dichter Rumi. Um richtig abschalten zu können, versuche ich das Hier und Jetzt zu genießen. Einfach in dem Moment zu sein. Bei Kerzenlicht und schöner Musik, meinen Gedanken zu lauschen und einfach mal die Außenwelt abzuschotten. Nach drei, vier Tagen merke ich dann, dass ich wieder bereit bin.

Wenn ich jedoch gerade im Ausland bin, habe ich meistens nicht die Möglichkeit, mein Smartphone für mehrere Tage auszuschalten. Dann liebe ich es, früh aufzustehen und den neuen Tag mit dem Sonnenaufgang zu begrüßen. Dem Sonnenaufgang zuzusehen, erfüllt mich mit Ruhe und Zufriedenheit und ermöglicht es mir, den Tag zu schätzen. Wie anstrengend er auch sein mag. Wenn ich jedoch wieder einmal mit Arbeit überschüttet werde, nehme ich mir spontan frei und verreise. Dann hilft nur noch das Reisen in ferne Länder, wo ich einfach fotografiere, um mich daran zu erinnern, was ich an meinem Beruf schätze.“

Welche Pause hast du zuletzt richtig genossen?

„Die Pause, die ich zuletzt richtig genossen habe, war im September in der Türkei. Genauer gesagt in der Stadt Selcuk. Zuvor bin ich schon knapp drei Wochen in dem Land gereist und habe für meine Arbeit über die Frauenmorde in der Türkei recherchiert und Familien getroffen. Dafür war ich alle vier Tage in einer neuen Stadt; die Interviews und das Treffen mit den Familienangehörigen sind sehr emotional und laugen einen förmlich aus. Eigentlich sollte ich weiterreisen. Die Pause in Selcuk war am Anfang nur ein Wunschdenken. Als jedoch einer der Interviewtermine abgesagt wurde, habe ich sehr spontan entschieden, einen Tag dort zu verbringen.

Nachdem ich jedoch dort angekommen bin, habe ich schnell gemerkt, dass ich dort länger bleiben muss. Denn ich wusste einfach, dass mir die Stadt guttun wird. Ich habe dieses gewisse ,Kribbeln‘ gefühlt. Ich wollte schon immer die antike Stadt Ephesos sehen. Hatte jedoch nie richtig Zeit dafür. Ohne Zeitdruck habe ich mich auf den Weg zu den Ruinen gemacht; bin entlang der Olivenbäume gewandert, habe dem Vogelgezwitscher zugehört, während die intensive Mittagssonne mich aufwärmte. Als ich in den Ruinen der antiken Stadt spazierte, stellte ich mir vor, wie die Stadt wohl in ihrer Glanzzeit aussah? Aus einem Tag wurden zwei.“ 

Was hindert dich daran, Pausen zu machen, und was würde dir helfen?

„Oftmals bin ich diejenige, die sich selber sabotiert. Denn ich denke zu viel nach und versuche, alles perfekt zu machen. Wenn sich die Perfektionistin in mir meldet, arbeite ich viel zu viel, da ich mir einfach nicht zugestehen möchte, jetzt in diesem Moment die Arbeit für einige Stunden zur Seite zu legen und später, ausgeruhter, zu beenden, da mir die Kraft dafür fehlt.

Was mich auch oftmals daran hindert, ist die Schwierigkeit, um Hilfe zu bitten. Als freie Fotografin arbeite ist fast jeden Tag bis spät in den Abend hinein. Ich habe eigentlich einen getakteten Arbeitsalltag, jedoch kann ich abends nicht aufhören zu arbeiten. Das muss ich definitiv ändern. Ich muss konsequent bleiben und die Arbeit am nächsten Tag fortführen; mir bewusst machen, dass ich die Pause unbedingt brauche.“ 

Welchen Tipp gibst du Frauen, denen es schwerfällt abzuschalten?

„Meiner Meinung nach fällt es vielen Frauen schwerer abzuschalten, da sie alles perfekt machen möchten und das Gefühl haben, sich immer und überall beweisen zu müssen. Sie haben das Bedürfnis es allen recht zu machen; sie haben das Gefühl, nicht Nein sagen zu können und wollen alles managen. All das habe ich selber für eine lange Zeit geglaubt und dabei verlernt, auf mein ,Bauchgefühl‘ zu hören, da ich mich als Frau in allen Bereichen beweisen wollte.

Bis ich mir endlich eingestanden habe, nicht alles sofort machen zu müssen und konstant erreichbar sein zu müssen. Dann ist nun einmal die Wohnung nicht aufgeräumt, es ist nichts zu essen da oder die Wäsche stapelt sich. Vor allem ist es wichtig Zeit, nur für sich selbst zu nehmen; einfach mal tun und lassen, was du willst. Leider trägt das erschreckende Frauenbild auf Social Media nicht gerade dazu bei, dass mehr Frauen das so sehen können.“ 

Claudia Neff-Butz

Foto: Privat

Claudia Neff-Butz ist Grundschullehrerin und obwohl das ihr Traumberuf ist, erkennt sie einige Schwachstellen im System: nicht erst, aber besonders seit der Corona-Pandemie wird deutlich, dass die Bedingungen in Schulen mehr als eine Herausforderung sind, darüber spricht und schreibt Claudia in den sozialen Medien. Aber auch analog engagiert sie sich politisch in NGOs wie dem Verein für Toleranz und Menschlichkeit Südpfalz e.V., der sich gegen Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, Sexismus, Gewalt gegen Frauen und jegliche andere Form der Unterdrückung starkmacht. 

Was tust du um richtig abzuschalten? 

„Die Herausforderung beim ,Abschalten‘ ist für mich das Fokussieren, das Im-Moment-Sein. Beim Handlettering gelingt mir das recht gut. Ich sortiere meine Gedanken und damit meist auch mich selbst. Der Garten ist für mich ein absoluter Ruheort – meist ohne wirklich zu ruhen. Wenn die Hände schmutzig sind, geht’s mir gut.“

Welche Pause hast du zuletzt richtig genossen?

„Die virtuelle Kaffeepause mit einer Freundin. Fest verabredet, über Skype. Ein ,naher‘ Moment, trotz Corona.“

Was hindert dich daran, Pausen zu machen, und was würde dir helfen?

„Sowohl mein Beruf, als auch mein ehrenamtliches und politisches Engagement sind recht zeitintensiv – wenn das Politische und das Private eins sind, kann das schwierig sein. Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Schräglagen machen mich unruhig und zuweilen rastlos. Im Pausemachen bin ich nicht wirklich gut. Mir fällt es oft schwer, mich aufs Nichtstun einzulassen und Auszeiten zu genießen.“

Welchen Tipp gibst du Frauen, denen es schwerfällt abzuschalten?

„Einen, den ich auch selbst viel mehr beherzigen sollte: es öfter GENUG sein zu lassen, sich nicht in Kleinigkeiten – und manchmal auch in Unwichtigkeiten – zu verlieren. Die eigene Produktivität nicht als wichtigsten Maßstab zu sehen und Pausen nicht als ,Belohnung‘ für Geleistetes, sondern als festen Bestandteil des Alltags.“

Lisa Harmann

Foto: Annette Etges

Lisa Harmann ist Journalistin und Buchautorin. Zusammen mit ihrem Mann startete sie den Blog „Nusenblaten“ und später mit Katharina Nachtsheim eines der größten Elternblogs Deutschlands: „Stadt Land Mama“. Die beiden haben in Co-Autorinnenschaft außerdem das Buch „WOW MOM“ geschrieben, in dem sie der Frage nachgehen, was es braucht, damit Mütter im Familientrubel nicht untergehen und sich zwischen Fürsorge und Loslassen nicht selbst verlieren.

Was tust du um richtig abzuschalten? 

„Um richtig abzuschalten, hilft mir auf jeden Fall ein Locationwechsel. Weg von zu Hause und woanders sein, andere Dinge sehen, erleben, raus aus dem Bedürfniserfüllungsmodus. Neben Haushalt und Kindern arbeite ich ja auch von zu Hause aus. Um die schwere, nasse Decke der Verantwortung und des Immerzu-effektiv-sein-Wollens von den Schultern zu kriegen hilft mir Feiern gehen, unter Freund*innen sein, tanzen, mitsingen. Auch Reisen helfen mir total. Oder Ausreiten, auf dem Pferd sitzend vergesse ich alles. Aber das mach ich viel zu selten, einmal im Jahr. In Coronazeiten ist es eher Joggen oder Walken im Wald, einfach wegrennen, auch physisch mal kurz alles hinter sich lassen.“ 

Welche Pause hast du zuletzt richtig genossen?

„Das ist eine echt gute Frage. Ich glaub, da muss ich wirklich zurück in die Vor-Coronazeit. Karneval in Köln ist so eine Zeit, in der ich immer wahnsinnig gut abschalten kann von allem. Wenn ich an die Tage im Februar denke, wie wir da mit den besten Leuten auf den Bänken stehen, ist das für mich im Rückblick immer ein richtiges Euphorieschweben. Nur im Moment lebend und genießend. So leicht fühl ich mich sonst selten im Jahr. Ich liebe diesen freudegetragenen rheinischen Frohsein einfach sehr …“

Was hindert dich daran, Pausen zu machen, und was würde dir helfen?

„Also wenn wir über kleinere Päuschen reden, dann nehme ich mir die schon. Ein Käffchen in Ruhe nach dem Mittagessen mit den Kids zum Beispiel. Nochmal kurz durchschnaufen nach dem Job am Vormittag und vor dem Hausaufgaben- und Hobbymarathon, der dann mit den Kindern beginnt. Abends auch mal TrashTV wie Prince Charming, weil der Geist nicht mehr schafft – das sind auch Päuschen. Oder kurz mit einem Buch ins eigene Schlafzimmer abhauen, wenn hin und wieder ein Geschwisterstreit tobt. Ich geh auch viel spazieren seit Corona. Haustiere helfen ja auch zum Runterkommen. 

Was ich bräuchte, um mehr Pausen zu machen? Weniger Arbeit, weniger Kinder und mehr Zeit vermutlich. In unserem neuen Buch sagt die Therapeutin Dr. Friederike Gerstenberg, dass wir die Zeit, die wir für uns selbst brauchen, komplett unterschätzen. Wir sollten immer 50 Prozent mehr als geplant draufrechnen, um auf eine realistische Einschätzung zu kommen. Wichtig finde ich: Wir müssen uns diese Pausen aktiv nehmen, aber mal Chaos Chaos sein lassen.

Es kommt nämlich niemand, der sagt: Jetzt leg dich erstmal hin, ich bring dir alles und versorge dich. Pausen werden uns leider in den meisten Fällen im Alltag nicht auf dem Silbertablett serviert. Wir müssen sie uns nehmen und wie einen wichtigen Termin einplanen oder wirklich bewusst auf unseren Körper und unseren Geist hören, wenn er sagt: Ich kann nicht mehr.“

Welchen Tipp gibst du Frauen, denen es schwerfällt abzuschalten?

„Ach, da gibt es keine ultimativen Tipps, glaube ich. Jeder Frau tut ja etwas anderes gut. Mir hilft da das Bild der Stewardess, die dazu rät, sich im unwahrscheinlichen Falle eines Druckabfalls in der Kabine erst einmal selbst die Atemmaske aufzusetzen – und sich erst dann um mitreisende Kinder zu kümmern. Wir müssen vor allem schauen, dass es uns gutgeht, damit wir uns auch gut um andere kümmern können.

Leider neigen wir als Mütter ja oft dazu, alle anderen Interessen und Befindlichkeiten als wichtiger einzustufen als die eigenen, statt uns selbst mal auf Platz eins der Prioritätenliste zu setzen. Das soll aber jetzt niemanden unter Druck setzen. Ich glaube, mit wachsendem Alter der Kinder ergeben sich auch von selbst wieder Lücken. Und da kann ich nur raten: Nutzt die für euch selbst – und nicht für Care- oder bezahlte Arbeit! Just for you! Mit allem, was auch immer euch guttut. 

Mit meiner Co-Autorin habe ich gerade ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie sich diese Lücken als Frau wieder füllen lassen. Dieses Auftauchen aus der intensiven Kinderphase kann nämlich auch eine richtig tolle Chance sein, sich neu zu erfinden oder aus all dem Guten aus der Vor-Kinderzeit und all dem Guten, das uns die Mutterschaft gebracht hat, ein großartiges neues Ganzes zusammenzustellen. Ein Mosaik aus dem Besten von Früher und Heute sozusagen. Die beste Version von uns selbst mit all den essentiellen Erfahrungen, die wir bereits machen durften. Ich sehe da unglaublich viel Potenzial.“

Dieser Artikel erschien bei EDITION F erstmals am 16. Dezember 2020.

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