Über Sex zu reden, fällt vielen Frauen noch schwer. Vor allem, wenn es expliziter zugeht. Dabei kann der spielerische Umgang mit lustvollen Wörtern dem Sexleben einen Frischekick verpassen, findet unsere Community-Autorin.
„Ficken“ – hihi…
Neulich saß ich in der Bahn inmitten eines Pulks von Schulkindern. Sie waren geschätzt so acht, neun Jahre alt. Ein Junge warf mit großem Eifer explizite erotische Wörter in die Runde: „Ficken“ stand bei ihm ganz groß im Kurs. Denn dafür erhielt er die meisten Kicherer. Mädchen schlugen sich die Hände ins Gesicht oder hielten sich die Ohren zu. Die Jungs versuchten eher, sich gegenseitig mit expliziten Worten zu übertrumpfen. Nur ein Mädchen traute sich, halblaut „Schwanz“ zu sagen, um dann purpurrot anzulaufen. Schließlich wies eine ältere Dame die Truppe darauf hin, dass man solche Worte nicht in der Öffentlichkeit benutze. Daraufhin verstummten die Kids, um ihr beim Aussteigen ein kraftvolles „Muschi“ entgegenzuschleudern. Sie schüttelte den Kopf. Ich lachte in mich hinein. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie wir uns selbst als Kinder an „bösen“ Worten ergötzt hatten.
Wer definiert, was gute Erotiksprache ist?
Als Kind benutzt man Worte noch voller Unschuld. Sie sind weder positiv, noch negativ aufgeladen. Die wertende Deutung wird einem von Erwachsenen mitgegeben. Besonders, wenn es um erotische Sprache geht. Das ist heute noch so wie vor 40 Jahren. Und obwohl wir unter sexuellem Dauerfeuer durch Zeitungs- und Blogartikel und Pornoclips stehen, gehen wir mit erotischer Sprache noch so verschämt um, als seien wir in den 50er-Jahren.
Als Erotikautorin beschäftigt mich dieses Thema besonders, spaltet doch die Sprache meiner pornografischen Geschichten die Leser*innenschaft. Es gibt Fans, die das lustvolle Jonglieren mit wollüstiger Sprache toll finden. Und solche, denen es schon beim Lesen der teils expliziten Beschreibungen zu viel wird. Dinge beim Namen zu nennen, auch mal etwas derber und offensiver über Sex zu schreiben, scheint noch immer ein Tabu sein.
Während Männer sich über meine Sprache oft zum ersten Mal mit dem Genre Erotikbücher beschäftigen, sieht das bei den Frauen anders aus. Erotikbücher an sich sind ein sehr weibliches Segment. Umsatz wird aber vor allem mit erotischen Liebesgeschichten gemacht. Dabei werden nicht nur eher antiquierte Rollenmodelle propagiert (Junge Frau lässt sich von meist älterem oder zumindest dominantem Mann mit dunklem sexuellen Geheimnis die Welt erklären), sondern vor allem Sprachmuster benutzt, die sich in einem sehr engen Rahmen bewegen. Vulgär wird es da eher weniger. Was verdammt schade ist.
Vulgär wird es viel zu selten!
Ja, ich gebe es zu. Meine Sprache als Erotikautorin ist mitunter derb, obszön, feucht und nicht gesellschaftskonform. Ich breche ganz bewusst mit dem, was gesellschaftlich auch hinsichtlich Sprache noch immer als Norm gilt. Für Frauen bedeutet das meist Vanillasex-Sprache. Explizite erotische Begriffe stoßen da schnell auf Abwehr. Upps, das gehört sich doch nicht als Frau, solche Worte in den Mund zu nehmen. Wer definiert, was gute erotische Sprache ist?
Natürlich sind Geschmäcker unterschiedlich – gerade beim Lesen. Das ist auch gut so. Nicht jeder muss pornografische Romane mögen. Aber ich reibe mich an Kritiken, die meinen, eine solche Sprache könne oder dürfe gar nicht von einer Frau kommen. Da müsse ein männlicher Autor dahinterstecken. Überraschung: Nope. Da schreibt zu 100 Prozent eine Frau, sogar eine Feministin. Als Beleidigung empfinde ich solche Kritik übrigen gar nicht. Es zeigt mir eher, welche Barrieren immer noch im Kopf bestehen. Denn mal ganz ehrlich, Frauen nehmen beim Sex alles Mögliche in den Mund. Aber auch mal obszön über Sex reden, soll dann verboten sein?
Worte können Lust vergrößern
Neulich schrieb die Hamburger Sexologin Anja Drews einen klugen Artikel darüber, wie schwer sich in ihrer Beratungspraxis Frauen und Pärchen mit der erotischen Sprache tun. Wie klinisch die meisten Begriffe zur Beschreibung unserer Genitalien oder den Liebesakt sind. Doch wie soll Lust entstehen und sich vergrößern, wenn wir uns sprachlich einschränken? Und wie stark prägt unsere erotische Sprache das, was wir uns dann im Bett erlauben? Oder nicht erlauben.
Die Gedanken sind frei. Und so sollte es mit unserer Sprache auch sein. Es wird also Zeit, dass gerade Frauen sich aus den selbstauferlegten erotischen Sprachkäfigen wagen. Wer bestimmt denn, was vulgär ist und was gesellschaftlich akzeptabel? Was männliche erotische Sprache ist und was weibliche? Ob eine solche Abgrenzung überhaupt Sinn macht? Das können und sollten nur wir selbst tun. So wie wir uns als Frauen eben auch sonst unser Terrain an Freiheit und Selbstbestimmtheit – ob nun in Sachen Karriere oder Erotik – erobert haben und weiter erobern.
Entdecke den eigenen erotischen Sprachraum
Vor einiger Zeit schrieb mir ein Pärchen nach einer Lesung eine Mail und berichtete von einem schönen Experiment. Sie haben sich gegenseitig explizite Passagen aus einem Buch vorgelesen und machten sich so mit einer sexuellen Sprache vertraut, die sie so vorher nicht kannten. Am Anfang fiel es gerade ihr sehr schwer, bestimmte Worte in den Mund zu nehmen. Doch je mehr und öfter sie die im Buch benutzten expliziten Begriffe laut aussprach, desto vertrauter wurde sie mit ihnen. Desto weniger schmutzig und vulgär kamen sie ihr vor. Ihr Fazit: Beiden fällt es mittlerweile deutlich leichter, über sexuelle Wünsche zu sprechen. Inzwischen haben sie eine Art Hitliste ihrer beliebtesten Begriffe angefertigt, die sie ab und zu auch beim Sex einsetzen, um ihre Lust zu befeuern.
Es geht am Ende gar nicht um bestimmte Begrifflichkeiten. Sondern ums Entdecken eines eigenen erotischen Sprachraums. Der kann liebevoll sein, aber auch obszön. Das eine ist nicht besser als das andere. Sich selbst zu erlauben, neu und anders mit erotischer Sprache zu spielen, macht freier im Kopf. Und es hilft dabei, Wünsche, Sehnsüchte, Tabus im Bett auszudrücken. Guter Sex hat viel mit guter und offener Kommunikation zu tun. Also Frauen, gebt euch selbst die Erlaubnis zum Dirty Talk. Es wird eine Befreiung sein.
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