Sex sei dann am besten, wenn man sich fallen lässt, so heißt es. Doch wie können wir uns fallen lassen, wenn so viel los ist im Kopf?
Warum machen wir uns so viele Gedanken?
Sex sei dann am besten, wenn man sich fallen lässt, so heißt es. Doch wie können wir uns fallen lassen, wenn so viel los ist im Kopf?
Eine Freundin berichtete mir kürzlich von folgender Situation: Sie landete mit einem Mann im Bett, anfangs war alles okay, sie hatte Lust auf ihn, er auf sie. Dann, plötzlich, ging nichts mehr. Ihr Kopf begann zu rattern: Schlafen wir zu früh miteinander? Ist das die richtige Situation? Der richtige Ort? Was, wenn er mich nicht heiß findet? Hat er da gerade auf meinen Bauch geguckt? Über ihre Unsicherheit gesprochen haben die beiden nicht. Ihre Lust ging flöten, seine auch. Nichts war mehr okay, zumindest nicht sexuell. Beide waren verunsichert.
Ich kenne dieses lustkillende Phänomen, zu verkopft für Sex zu sein, ebenfalls. Wenn es auftritt, denke ich an die Arbeit, an morgen, an den Stress, an alles, was ich noch zu erledigen habe, oder stelle mich infrage: Wieso hat sie mich gerade so angeschaut? Mach ich das gerade richtig? Findet sie ihn zu klein? Mein Körper zeigt mir dann deutlich, dass ich gerade offenbar doch keine so große Lust habe. Meist setzt mich das dann nur noch mehr unter Druck. Was passiert da in unseren Köpfen – und wie können wir mit so einer Situation umgehen?
Blockaden entstehen meist in unserem Unterbewusstsein
Zunächst ist wichtig zu wissen, dass unser Sex eben keine rein körperliche Sache ist. Ganz im Gegenteil: Damit wir überhaupt so etwas wie sexuelle Lust empfinden können, arbeiten mehr als fünf verschiedene Regionen in unserem Gehirn auf Hochtouren. Großhirnrinde, limbisches System, Gedächtnis, Belohnungssystem, die Liste lässt sich lange fortführen.
Weil das so ist, ist die Chance sehr hoch, dass uns irgendwo in diesem komplexen System gerade etwas blockiert. Unterbewusst wird beispielsweise alles, was wir gegenwärtig erleben, mit ähnlichen, vergangenen Situationen abgeglichen. Unser Gehirn ist in der Lage, sich an Erlebnisse zu erinnern, die wir gar nicht mehr vor Augen haben.
„Die Sexualität, die wir heute leben, ist das Endprodukt all unserer Erfahrungen“, schreibt Elia Bragagna, Psychotherapeutin und Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit dazu. Das betreffe unzählige Faktoren, unter anderem: körperliches Wohlgefühl, Zärtlichkeit, Nähe, Distanz, Respekt, Zuwendung, Akzeptanz, sich geliebt fühlen, Schutz, sich abgrenzen dürfen, erotisch-neugierig sein dürfen.
Je nachdem, wie unsere Erlebnisschwerpunkte waren, wird sich laut Bragagna bei einer sexuellen Annäherung die Erinnerung einmischen – und es uns entweder leicht oder schwer machen, uns in diese sexuelle Begegnung fallen zu lassen.
Unsere Erwartungen decken sich nicht mit unseren tatsächlichen Gefühlen
Das ist nicht alles. Ängste, Scham, Minderwertigkeitsgefühle, Schuld, Irritation: All diese Dinge, die wir erleben, wenn wir in eine eingangs beschriebene Situation der sexuellen Unsicherheit geraten, haben ihren Ursprung in einem Teil der Großhirnrinde. Wir entwickeln für uns selbst dort eine Art Situationslogik und richten uns nach ihr, ob sie nun gerade Sinn macht oder nicht. Wir ziehen dann etwa den Bauch ein, obwohl unsere Sexualpartner*innen gar nicht auf ihn geachtet haben, oder fühlen uns unästhetisch, obwohl die anderen uns ästhetisch finden.
„Solche Unzulänglichkeitsgefühle sind bei Sex ja eigentlich gar nicht gefragt, weil sie kontraproduktiv wirken.“
So erklärt sich Heike Melzer Blockaden beim Sex. Sie ist Sexualtherapeutin und Autorin und hat in ihrer Praxis häufig mit diesem Thema zu tun. Unsere Gesellschaft sei durch Pornos triebhaft vorgespannt, sagt sie. In uns habe sich eine Vorstellung, wie es optimal zu laufen habe, kultiviert. Beide haben Lust, fallen übereinander her, funktionieren. Nur entspricht das eben nicht der Realität und schafft laut Melzer ein Problem: Wir überladen unsere Sexualität mit Bedeutung und unrealistischer Erwartungen.
Ich selbst ging lange davon aus, es würde helfen, Ängste und Sorgen noch während der Situation anzusprechen. Womöglich ist das aber doch nicht der richtige Weg. Denn am verletzlichsten sind wir dann, wenn wir nackt sind, im wahrsten Sinne des Wortes.
Es entsteht offenbar ein Dominoeffekt, wenn wir während einer unangenehmen Situation auch noch über unsere vermeintliche sexuelle Unzulänglichkeit philosophieren. Klappt es gerade partout nicht im Bett, weil eine*r oder beide gerade in eine Unsicherheit geraten, sollte man sich erst einmal anderen Dingen zuwenden. Nichts erzwingen, eine Pause machen. Einen Film anschauen, etwas essen gehen, oft kommt die Lust später wieder zurück.
Wie wir damit umgehen können, wenn’s nicht klappt …
„Einfach mal abwarten, ergebnisoffen schauen, was passiert“, sagt Melzer. Oft käme die Lust später wieder zurück; und wenn nicht, auch nicht schlimm. Wir müssten hinausgelangen aus diesem Performancemodus, in dem wir Erwartungen an uns selbst erfüllen wollen, die nicht erfüllbar sind. Nichts sei normaler, als dass es hin und wieder nicht hinhaue. Wenn es mit dem Kopf ausschalten nicht klappe, könnte man ihn stattdessen für Kopfkino nutzen.
Ein Beispiel aus Melzers Praxis: Ein Paar, bei dem der Mann Potenzstörungen beklagte, berichtete davon, wie er beim Tatortschauen auf dem Sofa erregt wurde, weil sie ihn streichelte. Sie entschieden dann, das auszunutzen und ins Bett zu gehen, um dort Sex zu haben. Auf dem Weg ins Schlafzimmer sei seine Lust aber Treppenstufe um Treppenstufe abgeflacht – weil sein Kopf arbeiten konnte und er in Performancedruck geriet.
Das zeigt, wie fragil Lust sein kann. Statt sich dann aber Vorwürfe zu machen, sollten wir den umgekehrten Weg einschlagen: „Kopf nach oben, Brust raus und nicht in Selbstvorwürfen stecken bleiben, die einem angeschlagenes Selbstbewusstsein dann dem Rest geben.“ Wichtig sei es Haltung zu wahren und liebevoll zu sich selbst darüber hinweg zu schauen, gerade wenn es mal nicht so klappt wie geplant. „Und das Lachen nicht vergessen, eines der wichtigsten Zutaten im Bett.“
Indem wir in so einer unangenehmen Situation selbstbewusst sagen: „Geht gerade nicht, vielleicht später“ könnten wir gegenseitiger Verunsicherung vorbeugen und dem Gegenüber das Gefühl geben: alles halb so wild.
… und über unsere jeweilige Erwartung an Sex sprechen können
Melzer erlebe oft, dass die Menschen im Bezug auf Sexualität aneinander vorbei agieren: „Es kommt zum Beispiel vor, dass mir die Frau sagt, er brauche zu lange – und der Mann dann völlig perplex ist, weil er dachte, er müsse so lange durchhalten, damit sie Spaß hat.“ Gerade in der Partnerschaft sollte man offen über die persönlichen Erwartungen an Sex sprechen: was es wirklich dazu braucht, sich wohl zu fühlen, sich fallen lassen zu können, welche Zeit, welcher Ort, welches Gefühl, wie oft. Das fungiere als Abgleich beider Erwartungshaltungen.
„Der Leistungsgedanke kann so heruntergefahren werden“, sagt Melzer. Wir könnten dabei nämlich auch gleich mit berücksichtigen, dass es etwa in drei von zehn Fällen einfach nicht passen wird. Das schafft emotionale Stabilität – vor dem eigentlichen Sex.
Das bestätigt auch Psychotherapeutin Bragagna: „Der beste Ansatz, zu erreichen, dass sinnliche Situationen so entstehen und ablaufen, wie es uns gut tut, ist, sich selbst zu kennen und die passenden Schritte zu setzen, damit die Sexualität so verläuft, wie wir es brauchen.“
Der Schlüssel ist offenbar, mehr auf unsere Bedürfnisse zu achten und auf unseren Körper zu hören. Dabei gibt es nichts, wofür wir uns schämen müssen. Auch dann nicht, wenn es mal nicht klappt.
Der Originaltext von Till Eckert ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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