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Das Baby raubt uns den Schlaf! – Hier kommen Tipps, wie es für alle leichter werden kann

Je kleiner die Kinder, desto größer die Augenringe: In unserer Kultur gilt es als normal, dass Babys furchbare Schläfer sind, die von uns Erwachsenen das richtige Schlafen erst lernen müssen. Dabei gibt es bewährte Strategien, mit denen ganze Familien mehr Schlaf bekommen.

Über Augenringe und die Furcht vor den Nächten

Junge Mütter sind müde Mütter – so will es das Klischee. Kein Spielfilm, keine Fernsehserie stellt den Alltag frischgebackener Eltern ohne eine plakative Schlafmangel-Szene dar: Die Mutter sieht aus wie ein Zombie, und das Baby schläft einfach nicht ein. Angesichts solcher kultureller Vorbilder ist es kein Wunder, dass viele Schwangere nicht nur die Geburt fürchten. Sondern auch die furchtbaren Nächte, die darauf folgen werden.

Dabei schlafen Neugeborene in Wirklichkeit ganz schön viel: im Schnitt 14 bis 18 Stunden pro Tag, so hat es der Schweizer Pädiater Remo Largo in viel beachteten Studien herausgefunden. Die Schlafmenge kann es also eigentlich nicht sein, die jungen Eltern so zu schaffen macht. Als stressig empfinden sie vielmehr das Schlafverhalten ihrer Babys: Legt man sie müde, aber wach, in ihr Bettchen, schlafen sie einfach nicht ein. Und wenn sie dann endlich doch schlafen, schrecken sie garantiert schon bald wieder hoch und wollen trinken, oder kuscheln, oder beides. Ein erholsamerer Nachtschlaf rückt damit tatsächlich für viele Familien erstmal in weite Ferne: Wer nachts drei, vier oder fünf Mal raus muss, fühlt sich am nächsten Morgen natürlich wie gerädert.

Es geht auch mit weniger Stress

Auf die Idee, dass es auch anders gehen könnte, kommen viele Mütter und Väter gar nicht. Schließlich haben wir in unserer Gesellschaft eine lange Tradition darin, uns gegenseitig weiterzugeben, wie das mit dem Babyschlaf so läuft: Anfangs schlafen die Kleinen scheiße, und nachher muss man sie schreien lassen, dass es besser wird. Dabei ist es in Wirklichkeit nicht der Babyschlaf an sich, der jungen Eltern das Leben so schwer macht. Sondern kulturelle Normen und Vorschriften, die wir so stark verinnerlicht haben, dass wir sie gar nicht mehr hinterfragen.

Nehmen wir etwa die Idee des Babybetts: Aus irgendeinem Grund erzählt uns alle Welt, dass unser Baby unbedingt von Anfang an einen eigenen Schlafplatz braucht: Eine Wiege, einen Stubenwagen, oder eben ein Babybett. Und so ziehen Heerscharen werdender Eltern los und kaufen ihrem ungeborenen Baby ein Bettchen – in der Erwartung, dass es darin dann auch schlafen wird. Doch Babys sind keine kleinen Erwachsenen. Was wir toll finden – Privatsphäre zum Beispiel – halten sie für völlig überschätzt. Ist ja eigentlich auch kein Wunder: Neun Monate lang haben sie in einem anderen Menschen gewohnt. Hundertprozentige Nähe, rund um die Uhr. Und jetzt sollen sie sich in einem vergitterten Kasten wohl fühlen, nur weil da ein kleiner Teddybär drinliegt? Nein: Babys und kleine Kinder zieht es, wenn sie müde sind, intuitiv in die Nähe der Eltern. An die Brust, auf den Arm. Hauptsache Körperkontakt. Und Geborgenheit.

Nähe ist evolutionär sinnvoll

Aus evolutionärer Perspektive macht dieses Verhalten total Sinn – schließlich waren Menschenbabys in der langen Geschichte unserer Art niemals gefährdeter als im Schlaf. Man muss sich das mal ganz praktisch vorstellen: Hätte ein Nomadenbaby in der Steinzeit überlebt, wenn seine Eltern es ganz alleine in sein Moosbettchen in der Nachbarhöhle gelegt hätten? Vermutlich nicht: So ein Menschenjunges ist für Raubtiere ein verflixt leckerer Snack, eine super Beute für verfeindete Stämme, und chancenlos, wenn die Temperaturen in der Nacht mal eben auf minus fünf Grad sinken.

Nur unmittelbar angekuschelt an einen anderen Menschen schlafen zu können, war für unsere Vorfahren also nicht nur gemütlich, sondern schlicht eine Überlebensstrategie – die bis heute in unseren Genen nachwirkt. Das ist übrigens auch der Grund dafür, dass viele Neugeborene so herzzerreißend weinen, wenn sie im Kinderwagen oder in der Babyschale im Auto keinen unmittelbaren Körperkontakt haben – da springt in ihnen nämlich ein uraltes Survival-Programm an, das da lautet: Im Notfall schrei, so laut du kannst – nicht, dass du im Aufbruchsgetümmel deines Clans aus Versehen vergessen wirst!

Babys sind also keine schlechten Schläfer. Sie schlafen nur anders, als wir Erwachsenen es in unserer Kultur häufig erwarten. Der erste Schritt hin zu erholsamen Nächten für alle ist es deshalb, die angeborenen Schlafbedürfnisse unserer Kinder zu verstehen und zu erfüllen. Dann kommt die Entspannung für uns Großen fast wie von selbst.

Babys müssen nicht sofort lernen, alleine zu schlafen

Was brauchen Babys und kleine Kinder also, um gut und geborgen einschlafen zu können? Nähe, Rückversicherung, Schutz. Verabschieden wir uns also von der Idee, kleine Kinder müssten am besten von Anfang an lernen, alleine einzuschlafen, um später groß und selbstständig zu werden. Das Gegenteil ist der Fall: Die allermeisten kleinen Kinder brauchen beim Einschlafen Begleitung. Und je bereitwilliger und zuverlässiger wir unseren Kindern diese Hilfestellung geben, desto leichter lösen sie sich davon später, wenn sie alt genug zum Alleinschlafen sind.

Schluss also mit der „Müde, aber wach“-Lüge: Die wenigsten Babys finden in den Schlaf, wenn man sie augenreibend, aber wach in ihr Bettchen legt, die Spieluhr anmacht und das Zimmer verlässt. Aber fast alle Babys schlafen super beim Stillen oder beim Milchtrinken aus dem Fläschchen ein, im Tragetuch oder in der Tragehilfe, oder beim gemeinsamen Kuscheln im Bett. Dass Eltern vor solchen Einschlafritualen oft zurückschrecken, hat wieder kulturelle Gründe: Das Kleine soll sich bloß nichts Falsches angewöhnen! Dabei spricht nichts dagegen, Babys und kleinen Kindern genau die Einschlafhilfen zu gewähren, die allen das Leben leichter machen.

– Es ist völlig okay, die beruhigende Wirkung des Stillens zur Einschlafbegleitung zu benutzen.

– Es ist total in Ordnung, wenn das Baby tagsüber nur im Tragetuch schläft, und nie in seinem Bett.

– Es spricht nichts dagegen, jeden Nachmittag eine Siesta zu machen, ein schlafendes Baby auf dem Bauch.

– Und es ist total normal, sich jeden Abend mit dem zwei-, drei-, vierjährigen Kind hinzulegen und mit ihm zu kuscheln, bis es eingeschlafen ist.

Schlaf ist Schlaf, und Schlaf ist gut. Schlaf im Bett ist nicht wertvoller als Schlaf irgendwo sonst. Und mehrmals täglich liebevolle Einschlafbegleitung war und ist in vielen Teilen der Welt schon immer unverbrüchlicher Teil des Elternseins – also genau das Gegenteil einer schlechten Angewohnheit.

Das Wachwerden und Aufstehen müssen macht mürbe

Zweiter Schritt: Die Nächte selbst. Dazu muss man wissen: Es ist völlig normal und gesund, dass Babys nachts immer wieder wach werden und Milch und Nähe brauchen, um wieder einschlafen zu können. So richtig anstrengend wird die Sache allerdings dadurch, dass unsere Babys in unserer westlichen Kultur oft woanders schlafen als wir. Denn das bedeutet: Jedes Mal, wenn das Kleine uns braucht, müssen wir wach werden und aufstehen. Und genau das ist es, was uns so fertig macht.

Wieder ist es ein Blick in die Menschheitsgeschichte, der uns verrät, wie sich die Natur die Sache mit dem Babyschlaf eigentlich mal gedacht hatte. Für den allergrößten Teil der Historie unserer Art schliefen Babys und Kleinkinder nämlich unmittelbar neben ihren (stillenden) Müttern. Das machte die Nächte nicht nur deshalb einfacher, weil dann nachts niemand mehr zum Stillen und Trösten aufstehen musste. Die US-amerikanischen Wissenschaftler James McKenna und Helen Ball konnten auch nachweisen, dass sich die Schlafzyklen unmittelbar nebeneinander schlafender stillender Mütter und ihrer Babys synchronisieren. Das heißt: Teilen sich Mama und Baby die Matratze, gleiten sie bald gemeinsam und parallel durch Leichtschlaf-, Tiefschlaf- und Traumphasen – und werden hin und wieder gleichzeitig wach zum Stillen und Schmusen.

Was für einen Unterschied das für die Schlafqualität macht, konnten Videostudien eindrucksvoll beweisen. Sie zeigten nämlich, dass im Familienbett schlafende stillende Mütter zwar keinesfalls seltener wach wurden als Mütter, deren Babys im eigenen Bettchen schliefen. Doch am nächsten Morgen konnten sich die Familienbett-Mütter an die meisten der nächtlichen Schlaf-Unterbrechungen gar nicht mehr erinnern. Und fühlten sich bedeutend fitter und ausgeschlafener als die Mütter, die nachts aufgestanden waren.

Junge Eltern können sich und ihrem Baby also auf einen Schlag zu ruhigeren Abenden und erholsameren Nächten verhelfen, wenn sie sich auf ihre Rolle als liebevolle Einschlafbegleiter einlassen und ihre Kleinen auch nachts nah bei sich schlafen lassen. (Empfehlungen zum sicheren Co-Sleeping beachten!)

Was ist, wenn die Nächte trotzdem noch belasten?

Und wenn die Nächte dann immer noch belastend sind? Dann ist es Zeit für Schritt drei: Eine gesunde Balance der Bedürfnisse herstellen. Denn ja, manche Kinder sind unruhigere Schläfer als andere. Aber kein Kind hat etwas davon, wenn seine Eltern dauerhaft vor Schlafmangel am Stock gehen. Einzelne blöde Nächte, weil das Baby gerade zahnt oder Bauchweh hat: Klar, da müssen Mütter und Väter manchmal durch. Doch wenn die Schlafsituation trotz Einschlafbegleitung und Familienbett dauerhaft zermürbt, ist es Zeit, etwas zu ändern. Dafür gibt es sehr viele verschiedene Möglichkeiten. Hier eine kleine Auswahl:

– Manchmal liegt die Schlafenszeit des Kindes zu früh oder zu spät für seinen Biorhythmus, oder ein zu langer Mittagschlaf hat Auswirkungen auf den Nachtschlaf. Dann kann es sinnvoll sein, daran zu drehen.

– Schläft ein Baby dauerhaft nur bei Mama ein, kann der Partner nach und nach ein eigenes Einschlafritual etablieren, um sein Kind ebenfalls in den Schlaf begleiten zu können – dabei am besten mit dem Mittagsschlaf anfangen, tagsüber gewöhnen kleine Kinder sich oft leichter um als am Abend.

– Wird ein Kind nachts immer wieder wach und will spielen und herumgetragen werden, können Eltern darauf bestehen, dass die Nacht zum Schlafen da ist und dass sie nachts gerne Nähe im Liegen geben, aber nicht aufstehen.

– Viele ältere Stillkinder schlafen nachts besser, wenn sie neben Papa liegen – der riecht nämlich nicht nach Milch.

– Will ein Stillkind nachts die Brust überhaupt nicht mehr hergeben und verbringt die Nacht quasi dauerstillend, kann bei Babys ab zehn Monaten das Einführen einer etwa sechsstündigen nächtlichen Stillpause eine gute Lösung sein.

Egal wie man es für sich löst: Die Erwartungen an den Babyschlaf sollten realistisch sein

Gibt es eine Garantie für gute Nächte, wenn Eltern all diese Überlegungen beherzigen? Nein, natürlich nicht: Kinder sind verschieden, Eltern sind verschieden, und was für eine Familie funktioniert, muss für die andere noch lange nicht passend sein.

Deshalb ist es unabdingbar, dass Mütter und Väter gemeinsam mit ihrem Kind ihren ganz eigenen Schlaf-Weg finden – ob mit oder ohne Stillen, mit oder ohne Familienbett. Und das klappt umso besser, je realistischer unsere Erwartungen an den Babyschlaf sind – und je beherzter wir alte Glaubenssätze zu „guten“ und „schlechten“ Schlafgewohnheiten über Bord werfen.

Hinweis: Für alle, die mehr Tipps haben wollen – zum Thema Schlaf hat die Autorin auch ein Buch geschrieben.

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